Eine junge Afroamerikanerin darf eine Lobeshymne auf einen „alten weißen Mann“ halten. Aber wehe, eine weiße Person, geschweige denn ein Mann, übersetzt das Gedicht, das Amanda Gorman zur Amtseinführung Joe Bidens im Januar vorgetragen hat. In Zeiten, in denen man auf ethnische Empfindlichkeiten besonders einseitige Rücksichten nehmen muss, ist das ideologisch nicht mehr haltbar. So haben in Spanien und den Niederlanden zwei erfahrene weiße Übersetzer die Segel gestrichen, nachdem über sie ein Shitstorm hereingebochen war, weil sie das Werk übersetzen sollten oder wollten. 

Gormans Heldengesang „The Hill We Climb“ ist jetzt auf Deutsch unter dem Titel „Den Hügel hinauf“ erschienen. Der Hamburger Hoffmann und Campe Verlag stellte für ein einziges, gar nicht einmal langes Gedicht gleich ein Geschütz von drei weiblichen Übersetzern auf. Der renommierten Übersetzerin Uda Strätling, die bereits Werke des nigerianischstämmigen US-Autors Teju Cole übertragen durfte, ohne dass jemand Anstoß daran nahm, hat man mit der dunkelhäutigen Moderatorin Hadija Haruna-Oelker und der als Kopftuch-Befürworterin bekannten Muslimin Kübra Gümüşay zwei migrantische Aufpasserinnen zur Seite gestellt. Um auf Nummer Sicher zu gehen und damit ja kein Bedeutungsverlust des armseligen Gedichts passiert, ist es zweisprachig abgedruckt, mit Fußnoten und einem Vorwort von Oprah Winfrey versehen. Zehn Euro kosten die somit aufgeblähten 64 Seiten, die mit einer Startauflage von 50.000 Exemplaren im Handel sind.

Gorman wird es freuen. Es steigert ihren Bekanntheitsgrad. Die junge Frau hat sich schon als Präsidentschaftskandidatin für 2036 ins Gespräch gebracht. Aber vorher erhält sie noch den Literaturnobelpreis. Nicht weil sie gut wäre, sondern weil sie politisch opportun ist.