28.03.2024

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Folge 13-21 vom 01. April 2021 / Detlev Rohwedder / Wer hatte sowohl ein Motiv als auch die Möglichkeit zum Mordanschlag? / Vor 30 Jahren fiel der Präsident der Treuhandanstalt in seinem Haus einem Heckenschützen zum Opfer. Etwa tausend Spuren gingen die Sicherheitsbehörden seitdem nach

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-21 vom 01. April 2021

Detlev Rohwedder
Wer hatte sowohl ein Motiv als auch die Möglichkeit zum Mordanschlag?
Vor 30 Jahren fiel der Präsident der Treuhandanstalt in seinem Haus einem Heckenschützen zum Opfer. Etwa tausend Spuren gingen die Sicherheitsbehörden seitdem nach
Wolfgang Kaufmann

Am Abend des 1. April 1991 – das war ein Ostermontag – saß Detlev Rohwedder, der Präsident der Treuhandanstalt (THA) zur Privatisierung der ehemaligen Volkseigenen Betriebe (VEB) der DDR, am Schreibtisch im Obergeschoss seines Hauses am Kaiser-Friedrich-Ring im Dortmunder Stadtteil Niederkassel. Als er sich schließlich um 23.31 Uhr erhob, um zu Bett zu gehen, traf ihn ein Schuss aus einem Schnellfeuergewehr des belgischen Typs Fusil Automatique Léger (FAL). Das Projektil vom NATO-Standardkaliber 7,62 Millimeter zerfetzte sowohl die Aorta als auch die Luft- und Speiseröhre des 58-Jährigen, der daraufhin in Sekundenschnelle verblutete. Kurz darauf peitschte der nächste Schuss und zerschmetterte Rohwedders Frau Hergard den Arm. Anschließend schlug noch eine dritte Kugel im Bücherregal des Arbeitszimmers ein.

Wie die polizeilichen Ermittlungen ergaben, hatte der Attentäter aus genau 63 Metern Entfernung gefeuert. Er befand sich dabei in einer Schrebergartenanlage, in der er drei Patronenhülsen, einen Plastikstuhl, ein Handtuch, einen Feldstecher und drei Zigarettenstummel hinterließ. Dazu kam ein kurzes 13-zeiliges Bekennerschreiben der Rote Armee Fraktion (RAF). 

Dritte Generation der RAF

Dieses wurde fünf Tage später um eine ausführlichere Version ergänzt, die im Bonner Büro der Nachrichtenagentur Agence France-Presse (AFP) einging. Darin stand in RAF-typischer Kleinschreibung: „wir haben am 1.4.1991 mit dem kommando ulrich wessel den chef der berliner treuhandanstalt detlev karsten rohwedder erschossen.“ Zur Begründung hieß es, der „brutale sanierer“ sei „seit zwanzig jahren in schlüsselfunktionen in politik und wirtschaft“ tätig gewesen und danach zum „bonner statthalter in ost-berlin“ aufgestiegen, wo er „die wirtschaft der ex-ddr genauso wie die sozialen strukturen dort“ systematisch habe zerstören sollen.

Ehemalige Mitarbeiter der Stasi

Der einzige greifbare Beleg für die Beteiligung der RAF ist ein am Tatort gefundenes Haar, das 2001 vom Bundeskriminalamt (BKA) per DNA-Analyse dem 1993 gestorbenen RAF-Mitglied Wolfgang Grams zugeordnet wurde. Von Grams stammen allerdings nicht die am Tatort zurückgelassenen Zigarettenstummel, da er nicht die an den Stummeln festgestellte Blutgruppe A hatte.

Angesichts der dünnen Beweislage wurden verbreitet Zweifel an der Täterschaft der RAF laut, zumal die damals angeblich aktive sogenannte dritte Generation der RAF nur als kaum zu greifendes gesichtsloses Phantom daherkam. Selbst heute kennt die Bundesanwaltschaft nicht einmal die Hälfte der Mitglieder dieser dritten Generation namentlich. Von den neun Morden, die ihr außer dem Attentat auf Rohwedder noch zur Last gelegt werden, konnte lediglich die Erschießung des GSG-9-Mannes Michael Newrzella durch Grams zweifelsfrei aufgeklärt werden.

Die teilweise schon kurz nach der Tat kursierenden alternativen Theorien bezüglich der Tötung Rohwedders gehen von drei unterschiedlichen Tätern beziehungsweise Täterkreisen aus. Schnell richtete sich der Verdacht gegen ehemalige Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR. Die hätten sowohl die logistischen Möglichkeiten als auch ein starkes Motiv gehabt. So soll die Stasi alles darangesetzt haben zu verhindern, dass die Treuhand das verschwundene Parteivermögen der SED aufspürt. Angeblich ging es dabei um 800 Millionen D-Mark. Ebenso kam das Gerücht auf, Stasi-Mitarbeiter hätten 1989/90 selbst Millionenguthaben versteckt und die Suche nach diesen Geldern sabotieren wollen. Als möglicher Drahtzieher wurde unter anderem Ralf-Peter Devaux genannt. Der ehemalige Stasi-Offizier klagte erfolgreich gegen alle, die ihn mit dem Anschlag in Verbindung zu bringen versuchten, wie beispielsweise die Filmemacher Werner Czaschke und Clemens Schmidt vom Westdeutschen Rundfunk (WDR).

Frustrierter einsamer Wolf

Gemunkelt wurde ebenfalls über einen frustrierten sogenannten einsamen Wolf (lone wolf) aus dem Osten mit militärischer Ausbildung als Scharfschütze, der den Treuhandchef Rohwedder wegen dessen Vorreiterrolle bei der Abwicklung der DDR-Wirtschaft ermordet haben soll. Immerhin traf es damals fast 14.600 vormalige VEB mit rund vier Millionen Beschäftigten. Da schlummerte in der Tat einiges an Rachepotenzial. Aber auch diese Version konnte nie durch handfeste Belege gestützt werden.

CIA oder Auftragskiller

2004 verwiesen die US-amerikanischen Enthüllungsautoren sowie Wirtschafts- beziehungsweise Geheimdienstexperten John Perkins und Fletcher Prouty darauf, dass Rohwedder bei der Privatisierung der DDR-Betriebe eher auf Sanierung als auf Stilllegung oder Verkauf habe setzen wollen und darüber hinaus in manchen Fällen erwogen habe, die Beschäftigten zu Miteigentümern zu machen. Das sei weder im Sinne derer gewesen, die beim Verkauf Volkseigener Betriebe Schnäppchen hätten machen wollen, noch jener, deren Interessen es zuwidergelaufen wäre, wenn eine derartige Mitarbeiterbeteiligung zu einem Präzedenzfall mit Vorbildwirkung geworden wäre. Also müsse man, so Perkins und Prouty, die Hintermänner des Attentates in internationalen Wirtschafts- und Finanzkreisen suchen. 

Mitarbeiter des US-amerikanischen Auslandsgeheimdienstes CIA oder angeheuerte Auftragskiller hätten gemäß diesem Erklärungsansatz dann die Drecksarbeit erledigt. Auch hierfür existieren keinerlei Beweise. Allerdings schlug die Treuhand unter der Nachfolgerin des Sozialdemokraten Rohwedder, der Christdemokratin Birgit Breuel, in der Tat eine wesentlich härtere Gangart ein und agierte deutlich weniger sozial. Statt „behutsam sanieren“ hieß es nun „schnell privatisieren“ – mit allen negativen Folgen.

Zur Aufklärung des Attentates auf Rohwedder gingen die Sicherheitsbehörden in den letzten drei Jahrzehnten insgesamt rund tausend Spuren nach. Dennoch führt die Bundesanwaltschaft das Ermittlungsverfahren unter dem Aktenzeichen 2 BJs 62/91-2 nach wie vor „gegen unbekannt“.





Opfer und Verdächtigte

Detlev Rohwedder wurde am 3. Juli 1990 vom DDR-Ministerrat zum Präsidenten der Treuhand bestimmt. Vorher hatte er Hoesch saniert.

Wolfgang Grams wurde am 27. Juni 1993 auf dem Bahnhof von Bad Kleinen durch die GSG 9 gestellt und entzog sich der Festnahme durch Selbstmord.

Der Diplom-Jurist und ehemalige Stasi-Oberst Ralf-Peter Devaux war von 1987 bis 1990 stellvertretender Leiter der Hauptverwaltung Aufklärung.