29.03.2024

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Folge 14-21 vom 09. April 2021 / Der Wochenrückblick / Verlässliche Politik / Warum wir auch nicht wissen, was los ist, und wieso sich Markus Söder bloß vorsehen soll

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-21 vom 09. April 2021

Der Wochenrückblick
Verlässliche Politik
Warum wir auch nicht wissen, was los ist, und wieso sich Markus Söder bloß vorsehen soll
Hans Heckel

Eile ist geboten! Um es gleich vorwegzusagen – nachdem wir von der Entschuldigung der Kanzlerin zu ihrer verstolperten „Osterruhe“ komplett überrollt wurden, geben wir zu Protokoll, dass wir jede Vorahnung dafür verloren haben, welche Haken die Politik als Nächstes schlägt. Wir bitten also um Nachsicht, wenn wir hier nur hektische Zwischenstände bespiegeln können. So sind halt die Zeiten. Im Berliner Neusprech nennt man das „verlässliche Politik“, auf welche die „Bürgerinnen und Bürger schließlich einen Anspruch haben“. 

Es bleibt aber dabei, Eile ist geboten. Warum gerade jetzt? Nun, schon vor Ostern neigte sich die dritte Welle gefährlich zur Seite, die tägliche massive Steigerung der heiligen Inzidenzzahl verlor bedenklich an Schwung, kam schließlich zum Erliegen. Das passt nicht ins Konzept, wenn man als Impresario für „verlässliche Politik“ gerade auf Eskalation aus ist, auf Einheits-, Mega-, Hammer- oder „Brücken“-Lockdowns, die man so dringend benötigt, um seinen Machtanspruch gebührlich in Szene zu setzen.

Was macht man aber, wenn die Zahlen nicht mehr zur politischen Botschaft passen? Am besten, man schafft sich eine eigene Realität abseits der enttäuschenden Statistik. Eine solche Realität kann sich der eifrige Politiker mit allem vollmalen, was er sich wünscht. So wie der Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher, der sich mit der Verhängung einer nächtlichen Ausgangssperre ab Karfreitag für die erste Reihe der Hammerharten qualifiziert hat.

Allerdings kann auch der redlichste Politiker nicht in Ruhe malen, wenn ihm ein böser Journalist dazwischenpinselt. Auf einer Pressekonferenz kurz vor den Feiertagen wollte ein solcher von Tschentscher wissen: „Wenn man sich das DIVI-Intensivregister anschaut, dann liegt die Zahl der belegten Intensivbetten in Hamburg nahezu durchgehend bei 500. Wo ist da also die zweite oder dritte Welle zu sehen? Müssten diese Auslastungen nicht nach oben gehen? Und wenn denn Engpässe bei diesen Intensivbetten drohen, warum hat man dann seit August diese Intensivbetten um zirka 15 Prozent abgebaut, anstatt sie aufzubauen?“

Mit diesen Fragen hatte der Sozialdemokrat nicht gerechnet, seine Antwort ist aber gerade deshalb solchermaßen denkwürdig, dass sie gerahmt und an die Wand gehängt gehört für kommende Generationen. Peter, der Hammerharte, hob an: „Also (es folgt eine peinlich lange Pause), diese Frage müssten Sie mit einem Intensivmediziner einmal besprechen. Was das bedeutet: Dass wir noch ein paar freie Intensivbetten haben und wie wenig das eigentlich ist von dem, was möglicherweise passieren kann!“

Bitte? Die Tatsache, dass sich so gut wie nichts bewegt, ist also der schlagende Beweis dafür, was „möglicherweise passieren kann“, sich also noch bewegen „könnte“. Um diese Argumentation nachvollziehen zu können, muss man wohl Spitzenpolitiker sein, wenn auch nur in einem ganz kleinen Bundesland. Und der Abbau der Betten? Nichts dazu. Wie es aussieht, hat es Tschentscher, der selbst Mediziner ist, bislang vermieden, die Sache „mit einem Intensivmediziner einmal (zu) besprechen“, sonst hätte er wenigstens ein paar Zahlen parat. 

Aber was soll er mit den blöden Daten, der Bürgermeister hat sein Bild schon fertig und legt los. Die nächtliche Ausgangssperre ist ein voller Erfolg. Wer, wie der Verfasser dieser Zeilen, in der Nähe eines zentralen Knotenpunkts von Bussen und Bahnen lebt, kann das gut beobachten: Da herrscht kurz vor 21 Uhr eine Jahrmarktstimmung wie seit Vor-Corona-Zeiten nicht mehr. Ein Gedränge und Gerenne und Geschiebe ist das – herrlich, so viel Leben auf engstem Raum! Schließlich müssen die Leute, die früher über den ganzen Abend verteilt nach Hause fuhren, jetzt alle auf einmal los.

In Sachen „Kontaktbeschränkung“ ist die Hansestadt ohne Zweifel einen großen Schritt weitergekommen. In welche Richtung, interessiert genauso wenig wie die Zahl der Intensivbetten. Ist ja auch egal: Die Sperre duftet doch so herrlich nach Durchsetzungsstärke, nach Entschlossenheit, und nur darauf kommt es an.

Auch wenn Tschentscher in der Pressekonferenz ein wenig unwohl geworden sein dürfte – Armin Laschet würde dennoch gern mit dem Hamburger tauschen. Denn für den frischen CDU-Chef läuft es im Moment so überhaupt nicht rund. Er verfranzt sich immer tiefer im Lockdown-Gewirr, sodass er nach dem Aufstehen vermutlich selbst erst mal in seinen Notizen nachsehen muss, was er gestern gesagt hat, um heute nicht schon wieder etwas völlig anderes zu vertreten. Eigentlich wollte sich der NRW-Ministerpräsident einen Namen machen als bürgernaher Lockerer. Dieser Tage jedoch überraschte er uns mit der Idee eines „Brücken-Lockdown“. Der solle gelten, bis viele Menschen geimpft seien, um lockern zu können. Aber was heißt denn „viele“? Allgemeines Rätselraten. Es kam noch dicker. Laut „Bild“ hat Laschet sein Brückenprojekt mit Angela Merkel abgestimmt.

Ach du grüne Neune! Ist der denn von allen guten Geistern verlassen? Das ist doch wieder eine Falle! Lernt er das nicht? Jahrelang hatte er der Kanzlerin die Treue gehalten, bis sie ihn bei Anne Will in die Pfanne gehauen hat, ohne Vorwarnung. Als ihn Markus Lanz auf den hinterhältigen Treuebruch seiner Lehnsherrin ansprach, guckte Laschet wie einer, dem man gerade eine Zigarette auf dem Handrücken ausdrückt. 

Sonst kommt die rheinische Frohnatur ja immer so heiter daher, als habe sie ihre Karnevalsmütze nur kurz auf der Toilette vergessen. Nicht so bei Lanz: Krampfhaft bemühte sich Laschet, nicht die Fassung zu verlieren angesichts von Merkels Verrat – ein Indianer kennt keinen Schmerz, erst recht, wenn er vom Rhein kommt! Oder? Und ob er den kennt, man sah es ihm deutlich an.

Zu allem Überfluss zeichnet sich eine Allianz zwischen Merkel und Laschets Erzrivalen Markus Söder ab. Ausgerechnet Söder, der 2015 noch Front gemacht hatte gegen die Grenzöffnung der Kanzlerin. Das verstehe noch einer. Nun wanzt sich der Franke ohne Scham an Merkel ran. Ohne die Unterstützung der Kanzlerin könne ein Unionskandidat im Bundestagswahlkampf „kaum erfolgreich sein“, zwinkert Söder.

Bedauernswerter Laschet. Da kann man ja zu viel kriegen! Söder indes ist gut beraten, das trostlose Schicksal seines Konkurrenten genau zu studieren. Henryk Broder schwant, dass Merkel in ihren letzten Kanzlermonaten nur noch „Rache nehmen“ wolle. Er hat nur noch nicht raus, wofür – und an wem. Wie wär’s mit Markus Söder? Vielleicht hat sie dessen Reden von 2015 ja doch noch nicht vergessen? Merkel könnte ihm erst mal zur Kanzlerkandidatur verhelfen, um ihm kurz vor der Bundestagswahl eiskalt den Dolch in den Rücken zu rammen. Wie Laschet. Dann wüsste auch der CSU-Chef, wie man Schwarze Witwe schreibt – und für Angela Merkels Gesinnungsfreundin Annalena Baerbock wäre der Weg frei ins Kanzleramt.