26.04.2024

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Folge 15-21 vom 16. April 2021 / Beton gegen den Untergang / Im Land der Erfinder – Als ein Baupionier den Stahlbetonbau in der Architektur perfektionierte und sogar Schiffe damit bauen ließ

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-21 vom 16. April 2021

Beton gegen den Untergang
Im Land der Erfinder – Als ein Baupionier den Stahlbetonbau in der Architektur perfektionierte und sogar Schiffe damit bauen ließ
Nils Aschenbeck

Auf dem Freigelände des – aktuell geschlossenen – Deutschen Schifffahrtsmuseums in Bremerhaven steht aufgebockt auf dem Freigelände die „Paul Kossel“, ein unscheinbares kleines Schiff, kaum wert, beachtet zu werden. Wäre da nicht das Baumaterial: Der Schiffsrumpf besteht aus Beton. Das Motorboot, das 14,3 Meter lang, 6,6 Knoten (entspricht etwa zwölf Kilometer pro Stunde) schnell und mit nur einer kleinen Kabine ausgestattet ist, wurde 1919 in Beton gegossen und 1920 zu Wasser gelassen. Es war das erste Betonschiff der Welt – und es sollte, so der Wunsch des Konstrukteurs und Unternehmers, die Welt erobern.

Es gab einmal eine Zeit, als Deutschland das Land der Erfinder und Pioniere war und als diese versuchten, ihre Ideen oder Visionen zu einem Geschäft zu machen. Heutzutage wird das kaum noch jemand wagen. Wer in Pandemie-geplagten Zeiten als Selbstständiger oder Kleinunternehmer die Welt verändern will, auf den wartet der finanzielle Ruin.

Das war einmal anders. Der Schöpfer des Schiffes, das im Bremerhavener Museum zu sehen ist und das scheinbar den Naturgesetzen widerspricht, ist ein Beispiel dieses deutschen Erfindergeistes:  Paul Kossel. Der Bremer Stahlbetonpionier war in ein Unternehmen eingestiegen, das um die Wende zum 20. Jahrhundert gegründet wurde, und hatte dieses klug gegen die bereits mächtige Konkurrenz der etablierten Betonbauunternehmen wie Wayss & Freytag und andere positioniert. 

Kossels Nische waren standardisierte „Viktoria“-Betondecken und vor allem der „Schnellbau Kossel“. Kein Unternehmen sonst konnte in einer derart hohen Geschwindigkeit Betonbauten errichten. Kossel hatte diverse Patente im Bereich des Betonbaus angemeldet – mit Beton kannte er sich wie kaum ein anderer aus. Er hatte die Baustellen industrialisiert, Verschalungen wurden auf Schienen von Siedlungshaus zu Siedlungshaus geschoben, und er hatte den Beton überall dort eingeführt, wo bislang noch nach traditioneller Art gemauert wurde. 

Zu seinen großen Projekten gehört eine Mustersiedlung in Bremen An der Finkenau (Stadtteil Oslebshausen), bei der selbst die Dachgauben aus Beton gegossen sind, sowie Siedlungsprojekte in Amsterdam und Rotterdam mit modernen Flachdach-Reihenhäusern. Auch das Haus des bekannten Architekten Oud auf der Stuttgarter Weißenhof-Siedlung wurde nach dem Kossel-Schnellbauverfahren errichtet. Kossel war in den 1920er Jahren so erfolgreich, dass er zahlreiche Niederlassungen gründen konnte, darunter waren Filialen auf Borkum und in Hannover, aber auch in Sankt Petersburg. Sogar bis in die Türkei reichte das Imperium. 

Innovatives Betonschiff

Bereits während des Ersten Weltkriegs, als der Wohnungsbau zum Erliegen gekommen war, hatte Kossel mit Schiffskörpern aus Beton experimentiert. Im Krieg war Eisen ein knapper und rationierter Rohstoff, der für zivile Schiffsprojekte kaum zur Verfügung stand. Kossel hatte hier eine Marktnische gesehen – mit Stahlbeton-Rümpfen konnte er den Stahlbedarf im Schiffbau massiv reduzieren. Er war nach ausgiebigen Versuchen zu dem Ergebnis gekommen, dass sich Stahl fast mühelos durch Stahlbeton ersetzen lässt. 

Sein erstes Betonschiff mit eigenem Antrieb – die „Paul Kossel“ – lief 1920 in Bremen-Hastedt vom Stapel, direkt vom Kossel-Firmengelände. Es erwies sich als durchaus brauchbar und war bis in die 1970er Jahre im Einsatz – als Schlepper, als Ausflugsschiff, als Fischkutter und als Wohnschiff. Der letzte Eigentümer war das Bremer Hafenamt, das das Betonschiff schließlich dem Schifffahrtsmuseum übergab. 

Doch trotz der erwiesenen Tauglichkeit des Schiffes entwickelte sich Kossels Projekt nicht zu einem Erfolg. Nach 1925 standen der Industrie wieder genügend Rohstoffe zur Verfügung, es gab keinen Grund mehr, Stahl durch Stahlbeton zu ersetzen. Das Betonschiff fand keinen Nachfolger. Doch Kossel baute weiter mit Beton. Er gehörte zu den großen deutschen Bauunternehmern, war im Siedlungsbau tätig und auch erfolgreich bei kommunalen Projekten.

Mit der Weltwirtschaftskrise 1930 geriet das Unternehmen – wie viele andere auch – in eine Schieflage, die Niederlassungen konnten nicht mehr unterhalten werden. Selbst die „Paul Kossel“ musste verkauft werden. 

Anders als die Konkurrenz erfuhr das Unternehmen Kossel auch nach 1933 keinen Aufschwung. Kossel wurde von den NS-Auftraggebern systematisch übergangen. Seine enge Zusammenarbeit mit sozialdemokratisch regierten Kommunen in den 1920er Jahren schien nun ein gewichtiger Grund, um seine Expertise auf dem Gebiet des Betonbaus zu ignorieren.

Nach Kriegsende und nach Ende der NS-Herrschaft wurden die Karten neu gemischt und Kossel durfte vollkommen zu Recht auf kommunale Aufträge hoffen. Doch die Aufträge blieben auch diesmal aus – wohingegen sich die Konkurrenz, die mit dem NS-Regime offen und gewinnbringend kollaboriert hatte, vor Arbeit kaum retten konnte.

Kossel starb 1947, sein Unternehmen wurde bald abgewickelt. Geblieben ist heute die „Paul Kossel“ auf dem Freigelände des Deutschen Schifffahrtsmuseums. Geblieben ist mit dem Schiff aber auch die Erinnerung an deutschen Unternehmergeist und -wagemut.