19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 16-21 vom 23. April 2021 / Nidden / Angriff auf eine alte Tradition / Litauen will die Fischerei auf dem Kurischen Haff verbieten – Anwohner befürchten fatale Folgen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-21 vom 23. April 2021

Nidden
Angriff auf eine alte Tradition
Litauen will die Fischerei auf dem Kurischen Haff verbieten – Anwohner befürchten fatale Folgen
Uwe Jurgsties

Fassungslosigkeit macht sich in  der Gemeinde Nidden [Neringa] breit. Das Litauische Parlament plant, die kommerzielle Fischerei auf der litauischen Seite des Kurischen Haffs für immer zu verbieten. Am 19. März wandte sich der Bürgermeister von Nidden, Darius Jasaitis, an das Parlament der Republik Litauen mit der Forderung, eine Änderung des Fischereigesetzes, die ein Verbot der kommerziellen Fischerei auf dem Kurischen Haff und in allen Binnengewässern der Republik vorsieht, nicht umzusetzen, sondern die Fischerei, welche die Identität dieses Landes prägt, zu erhalten.  

Unterstützung erhielt der Bürgermeister von Wissenschaftlern, Fischern, Ethnologen, Bürgern und anderen Personen. Sie wandten sich an die Medien und die Verantwortlichen, sich für die Einheimischen der Nehrung, für Erhalt von Traditionen und Werten sowie für das kulturelle Erbe verantwortlich zu zeigen. Die Verantwortlichen wurden dazu aufgerufen, die Situation noch einmal objektiv zu bewerten und die Konsequenzen einer solchen Entscheidung für das einzigartige „Gesicht“ des Küstengebiets der Republik Litauen sorgfältig zu prüfen.

„Das Fischereigewerbe und das traditionelle Geschäft – das sind die Werte, die die Menschen in diesem Land geschaffen haben, auf die wir stolz sind, die wir schützen und die für die Welt interessant sind“, sagte Jasaitis. „Ich hoffe sehr, dass das Gesetz so nicht bleibt, wie es von den Abgeordneten geplant wurde, dass die vielen Argumente und die Fakten berücksichtigt werden ... Immerhin ist ... das Fischen ... eine jahrhundertealte Tradition dieser Region.“

Obwohl die Zahl der Fischereiunternehmen in Nidden in der letzten Zeit erheblich zurückgegangen ist, lebt dieses Handwerk noch und wird von Generation zu Generation weitergegeben. Für viele Einheimische ist es eine Fortsetzung der Traditionen der Eltern und Vorfahren und nicht nur ein gewinnorientiertes Geschäft.

Das Fischereigeschäft in der Region Nidden sollte als Lebensgrundlage für die lokale Bevölkerung bezeichnet werden, es sollte nicht mit dem industriellen Fischereigeschäft gleichgesetzt werden – es geht um Mindestmengen für die Bedürfnisse von Urlaubern und Einheimischen. 

Russische Exklave wird einspringen

Mit dem Inkrafttreten des Verbots der kommerziellen Fischerei und der wachsenden Nachfrage nach frischem Fisch in Nidden würde dieser wahrscheinlich aus dem Königsberger Gebiet kommen, was bedeutet, dass die Fischer auf der russischen Seite des Kurischen Haffs ihre Fischfänge erhöhen und an die Litauer denselben Fisch teurer oder tiefgefroren verkaufen werden. Dies würde auch eine Verlängerung der Lieferkette bedeuten, während die EU-Institutionen darauf drängen, Lieferzeiten so kurz wie möglich zu halten, lokale Ressourcen zu verwenden, sowie die Zahl der gefahrenen Kilometer und die Umweltverschmutzung nachhaltig zu reduzieren. Deshalb ist die Kurische Nehrung ein vorbildliches Beispiel für eine gute Praxis, wie der frische Fisch direkt von den Fischerbooten aus dem Kurischen Haff und der Ostsee in wenigen Minuten den Gaststättenbesuchern serviert werden kann, ohne kilometerlange Transporte, Kühlung oder Lagerung.

Laut Wissenschaftlern gibt es derzeit keinen merklichen Rückgang der Fischmenge im Kurischen Haff. Einige Fischarten hätten sogar zugenommen. Laut dem Biologen Erlandas Paplauskis bestreitet die Wissenschaft, dass die Fische ausgerottet worden seien, da Untersuchungen zeigten, dass etwa der Bestand der Brassen im Kurischen Haff gut sei und sich sogar verbessert habe. Das Problem im Kurischen Haff liege bei niedrigeren Zanderbeständen oder anderen größeren Fischarten. Man könne zum Beispiel die Fangquoten um zirka 30 Prozent reduzieren, aber nicht die Fischerei komplett verbieten, da dies keinen klaren Effekt erzielen werde.

Traditionsfischen ist Weltkulturerbe

Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass die sozialen und kulturellen Traditionen, die den lokalen Lebensstil dieser Zeit widerspiegeln und von den Fischern geprägt wurden, zu den wertvollsten Merkmalen der Kurischen Nehrung gehören. Deswegen sind sie in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen worden.

„Als 1995 UNESCO-Gutachter auf die Kurische Nehrung kamen, fanden sie nicht nur eine außergewöhnliche Natur, sondern auch eine interessante Koexistenz zwischen Mensch und Natur. Wir traten in die Listen als Kulturlandschaft mit eigener Identität und unbestreitbaren Symbolen ein, und wenn man die Beschreibung des sogenannten ,außergewöhnlichen universellen Wertes‘ (Outstanding Universal Value, OUV) betrachtet, werden die Fischerei und die Fischerhäuser sogar sieben Mal erwähnt“, sagte Aušra Feser, die Direktorin des Nationalparks Kurische Nehrung. „Wenn wir also nächstes Jahr den regelmäßigen UNESCO-Bericht schreiben, stoßen wir auf diverse Probleme, die den UNESCO-Status angehen, weil die Fischereitraditionen in der Verfassung sehr klar beschrieben sind und ein völliges Verbot der kommerziellen Fischerei ein fataler Fehler wäre und gegen das internationale Abkommen verstoßen würde.“