25.04.2024

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Folge 16-21 vom 23. April 2021 / Dombaumeister / Ganz schön hoch hinaus / Den Kölner Dom kennt jeder. Doch sein genialer Erbauer blieb halb anonym: Meister Gerhard, der vor 750 Jahren starb

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-21 vom 23. April 2021

Dombaumeister
Ganz schön hoch hinaus
Den Kölner Dom kennt jeder. Doch sein genialer Erbauer blieb halb anonym: Meister Gerhard, der vor 750 Jahren starb
Martin Stolzenau

Der Kölner Dom ist das bedeutendste Bauwerk der Stadt, gilt als der vollkommenste deutsche Bau der Hochgotik und besitzt damit Weltgeltung. Er ist das Wahrzeichen und der Hauptanziehungs- punkt für Touristen aus aller Welt. Als maßgeblicher Bauauftraggeber ist der Kölner Erzbischof Konrad von Hochstaden überliefert. Er ging damit in die Geschichte ein und ist vielen Kölnern auch in der Gegenwart bekannt. Dagegen ist Meister Gerhard oder latinisiert Meister Gerhardus, der den Bauplan schuf und ab 1248 die erste Bauphase realisierte, heute nur noch Baufachleuten und Historikern ein Begriff. 

Dabei blieb Gerhards Bauplan auch für alle nachfolgenden Dombaumeister richtungsweisend. Selbst der Weiterbau des Doms nach 1842 erfolgte auf der Grundlage von Gerhards Plänen. Seine Vorgaben gelten auch für die jetzige Dombauhütte. Damit erreichte der herausragende Dombaumeister, der seine Ausbildung bei französischen Dombauprojekten der Gotik erhalten hatte, auch über seinen Tod vor 750 Jahren hinaus abseits von der öffentlichen Wahrnehmung und fast anonym bis heute eine enorme Nachwirkung.

Der Dombaumeister wurde um 1210 wahrscheinlich im Mosel-Ort Reil geboren, wo seit der Römerzeit Wein gedeiht und der jetzt als Ortsteil zur Verbandsgemeinde Traben-Trarbach gehört. In Reil gab es die Adelsfamilie von Ryle, die mit den Schillingen von Ryle verwandt war, die als Ministeriale des Erzbischofs fungierten und in der Marzellenstraße in Köln ein Stadthaus besaßen.

Gerhard von Ryle interessierte sich wohl früh für das Baufach, absolvierte seine erste Ausbildung sicher in der heimischen Region und ging dann auf Wanderschaft nach Frankreich. Wegen stilistischer Ähnlichkeiten kann man davon ausgehen, dass er am Bau der gotischen Kathedralen von Troyes und Paris beteiligt war und dabei sein enormes Wissen zur Gotik erwarb. Dann war er wohl als Parlier (Sprecher der Dombauleute) und eigenständiger Meister in Nordfrankreich unterwegs, was durch Werkspuren nachvollziehbar ist. 

Die Standardform der gotischen Kathedrale bildete im Grundriss ein christliches Kreuz, erstreckte sich in der Hauptrichtung von West nach Ost und damit nach Jerusalem, der Stätte des Wirkens und der Auferstehung Christi, und umfasste drei bauliche Hauptteile: Langhaus, Querhaus und Chor. Das Mittelschiff des Langhauses erreichte eine viel größere Höhe als die flankierenden Seitenschiffe, was im Zusammenspiel von Breite und Höhe bis heute einen atemberaubenden Blickeffekt ermöglicht. Sein Wissen um die französischen Gotikbauten prädestinierte den Meister Gerhard wohl für einen vergleichbaren Neubau in Köln.

Nach vorausgegangenen karolingischen und ottonischen Domen wollten der Erzbischof Konrad von Hochstaden und seine Kölner Domherren eine moderne und größere Kathedrale im Stil der Gotik, die weit und breit ihresgleichen suchen sollte. Die Macht und Größe der Kirche sollte mit mächtigen Symbolen himmelwärts streben und die Gläubigen beeindrucken. Für dieses Anliegen berief man Gerhard als Werkmeister nach Köln.

Tödlicher Sturz vom Gerüst

Am 25. März 1247 wurde der Dombau beschlossen. Der beauftragte Meister erstellte die Baupläne, beeindruckte mit seiner Planung und stand an Maria Himmelfahrt 1248 im Schatten des Erzbischofs, der den Grundstein legte. Dann hatte Meister Gerhard für über 20 Jahre die Regie über das wachsende Bauwerk. Er übernahm von der von ihm geschätzten Kathedrale von Amiens in Nordfrankreich die Gewölbeform und Wandgliederung, offenbarte schon beim Kapellenkranz und der alten Sakristei seine stilistische Meisterschaft und erreichte mit seiner produktiven Dombauhütte beim Chor letztlich eine Höhe von 20 Metern.

Der Dombaumeister war in Köln heimisch geworden, hatte geheiratet und wegen seiner Verdienste um den Dombau ein Landstück in der Marzellenstraße in Erbpacht verliehen bekommen. Parallel war der Meister auch an der Abteikirche in Altenberg und am gotischen Chor des Mönchengladbacher Münsters beteiligt. Alles schien bestens.

Dann aber gab es im April 1271 einen später nicht aufgeklärten Gerüst-Unfall am Kölner Dombau. In zeitgenössischen Schriften werden „mysteriöse Umstände“ genannt. Meister Gerhard wurde schwer verletzt, rang mit dem Tode und starb am 24./25. April 1271 in Köln. 

Zum Glück gab es eine detaillierte Bauplanung für den Dombau von seiner Hand. Alle nachfolgenden Dombaumeister hielten sich an seine überlieferten Originalbaurisse. So entstand ein einzigartiger Sakralbau. Während das Verhältniss von Breite zu Höhe des Mittelschiffs in Chartres eins zu 2,6, und in Notre-Dame in Paris eins zu 2,75 besitzen, erreichte der Kölner Dom nach den Vorgaben von Meister Gerhard ein Verhältnis von eins zu 3,8. Das sind die steilsten Proportionen einer gotischen Kathedrale weltweit. 

Die schmale Steilheit des Langhauses ermöglicht beim Aufwärtsblick dank der Planung des Meisters einen „überirdischen Eindruck“, der durch keine Horizontalelemente wie vorspringende Gesimse unterbrochen wird. Die Einzigartigkeit des Doms erhält mit dem Aufwärtsblick auf das Gewölbe der Vierung mit seiner geometrischen Regelmäßigkeit seine Krönung. Es ist auch ohne Gedenkstein ein in Stein gehauenes Denkmal für den ersten Kölner Dombaumeister, dem in Köln zudem eine Meister-Gerhard-Straße gewidmet ist, bei der aber selbst viele Kölner nicht wissen, nach wem sie benannt worden ist: dem Mann, der ein Jahrtausend-Bauwerk erschaffen hat, das selbst den Bombenterror des Zweiten Weltkriegs überstanden hat.