25.04.2024

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Folge 17-21 vom 30. April 2021 / Tatarensturm / Plünderung statt Sold / Die Ursachen und Auswirkungen der gewaltigen Streitmacht des polnischen Königs Johann II. Kasimir

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-21 vom 30. April 2021

Tatarensturm
Plünderung statt Sold
Die Ursachen und Auswirkungen der gewaltigen Streitmacht des polnischen Königs Johann II. Kasimir
Wolfgang Kaufmann

Ostpreußen hat nicht erst 1945 dunkle und bittere Stunden erlebt, sondern musste auch schon während der Jahre 1656/57 viel erleiden. Ursache war in diesem Fall der Eintritt von Brandenburg-Preußen in den Zweiten Polnisch-Schwedischen Krieg, welcher im Sommer 1655 begonnen hatte. Anlass dazu war die Weigerung des polnischen Königs Johann II. Kasimir, den neuen schwedischen König Karl X. Gustav anzuerkennen. Letzterer fand schließlich im Juni 1656 mit Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg und Herzog in Preußen, einen militärisch potenten Verbündeten. 

Krim- und Lipka-Tataren

Das vereinigte brandenburgisch-preußisch-schwedische Heer bereitete Johann II. Ende Juli 1656 in der Schlacht von Warschau eine schwere Niederlage, woraufhin der Pole auf Rache sann und sein Heer durch die Indienstnahme von Zehntausenden Krim- und Lipka-Tataren vergrößerte. Diese muslimischen Kämpfer kamen aus dem Krim-Khanat, das seit 1654 an der Seite Polens stand, sowie aus Litauen, wo sie im 14. Jahrhundert mit dem Segen des Großfürsten Vytautas eingewandert waren. Anfang Oktober 1656 griff Johann II. die nunmehr zahlenmäßig deutlich unterlegene Streitmacht von Karl und Friedrich Wilhelm an. In der hierdurch entbrannten Schlacht von Prostken zogen seine Gegner den Kürzeren und verloren 7000 Mann sowie all ihre Kanonen. Anschließend erhielten die Tataren unter der Führung des polnisch-litauischen Generals Wincenty Aleksander Korwin Gosiewski und ihres Unter-Khans Ghazi Aga die Gelegenheit, plündernd durch den Südosten des Herzogtums Preußen zu ziehen, um sich dergestalt schadlos zu halten, weil ihnen kein Sold zustand.

Der im Zuge dieses „Tatarensturms“ verwüstete Landstrich hatte eine Größe von rund 180 mal 75 Kilometern. Ganz besonders hart betroffen waren dabei die Regionen um Insterburg, Gumbinnen, Goldap, Angerburg, Drengfurt und Lyck. Insgesamt zerstörten die Marodeure 13 Städte, 249 Dörfer und 37 Kirchen. 

Zu den materiellen Schäden kamen über 100.000 Tote. 23.000 Bewohner des späteren Ostpreußens – Männer, Frauen, Kinder und Greise – metzelten die Tataren sogleich auf meist viehische Weise nieder. So brieten sie den Bürgermeister von Goldap auf dem Marktplatz seiner Stadt bei lebendigem Leibe am Spieß. Aufgrund der dramatischen militärischen Niederlage in Prostken waren die brandenburgisch-preußischen Truppen nur ganz punktuell in der Lage, dem Treiben der Schlächter Einhalt zu gebieten und die Bevölkerung vor der Vernichtung zu retten, wie beispielsweise in Lyck. Dort stellte Oberst von Auer ein Dragoner-Regiment auf, dem es gelang, die Burginsel im Lycker See, auf die sich zahlreiche Zivilisten geflüchtet hatten, gegen die Tataren zu verteidigen.

Darüber hinaus starben nach dem Abzug der Horden Gosiewskis und Ghazi Agas während des folgenden Winters weitere 80.000 Menschen in ihren ausgeplünderten und niedergebrannten Ortschaften an Hunger oder Kälte. Hierzu kamen dann noch die ungezählten Opfer des zweiten Tatarensturms im Jahre 1657, der diesmal vor allem im Bartener Land für Verwüstungen und zahlreiche Tote sorgte. Zu denen gehörte auch der Reichsfreiherr Georg Schenk zu Tautenburg, welcher im Dorf Groß Stürlack in Stücke gehackt wurde. Und zu all dem Unglück brachte das Reiterheer auch noch die Pest mit, was weitere Menschen das Leben kostete, aber glücklicherweise zu keiner großen Epidemie führte.

Verschleppungen

Ein finsteres Kapitel ist darüber hinaus die Verschleppung von 34.000 Bewohnern des Herzogtums Preußen durch die Tataren. Allein in dem kleinen Kirchspiel Ostrokollen wurden 1362 Menschen eingefangen und hernach als Sklaven in die Türkei oder auf die Krim verkauft. Die historischen Quellen berichten über zahllose tragische Einzelschicksale wie das des Pfarrers Baranowski aus Kallinowen. Der überlebte zwar im Gegensatz zu vielen seiner Gemeindemitglieder, musste aber künftig ein elendes Dasein als Galeerensklave auf Kreta fristen, wo er alsbald verstarb. Niemals wieder nach Hause zurück kehrte auch die Gräfin Marianna von Lehndorff aus Chelchen bei Kowahlen, die man mit ihren Kindern nach Konstantinopel gebracht und auf dem dortigen Sklavenmarkt verhökert hatte – die Mutter an einen jüdischen Glashändler namens Aron und die Kinder an andere Krämer. Das geht aus Bittbriefen der Gräfin aus der Gefangenschaft hervor, in denen sie um die Zahlung eines Lösegeldes von 100 Talern für ihre Freilassung flehte. Allerdings konnte der Ehemann Bastian Dietrich von Lehndorff die geforderte Summe nicht aufbringen. Dessen Mutter Rosine war übrigens auch mit entführt worden – jedoch hatten die Tataren sie bereits auf dem Marsch nach Süden erschlagen, weil sie nicht schnell genug laufen konnte.

Die Heimsuchung von Land und Leuten in Ostpreußen durch die muslimischen Invasoren endete erst mit dem Separatfrieden von Wehlau zwischen Friedrich Wilhelm und Johann II., den der Große Kurfürst am 19. September 1657 nach längeren Geheimverhandlungen mit polnisch-litauischen Unterhändlern schloss. Dieser Seitenwechsel bescherte dem Hohenzollern zugleich noch die volle Souveränität über sein Herzogtum Preußen.





Strippenzieher ihrer Zeit

Johann II. Kasimir erkannte den schwedischen König Karl X. Gustav nicht an. Nach der Niederlage im Juli mobilisierte er eine gewaltige Tatarenstreitmacht. Karl X. Gustav wurde von Königin Christina zum Thronfolger und Erbprinzen von Schweden ernannt und folgte ihr am 17. Juni 1654 auf den Thron.

Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm I. lebte 1620 bis 1688 und erreichte mit dem Vertrag von Wehlau 1657 die Souveränität Preußens.