26.04.2024

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Folge 18-21 vom 07. Mai 2021 / Widerstandsrecht / In der Praxis wenig wert / Manche Kritiker der Corona-Restriktionen sehen den Rechtsstaat in Gefahr und sinnieren über das Recht zum Widerstand. Doch ein Blick ins Grundgesetz zeigt: Die Verfassung bleibt da recht theoretisch

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-21 vom 07. Mai 2021

Widerstandsrecht
In der Praxis wenig wert
Manche Kritiker der Corona-Restriktionen sehen den Rechtsstaat in Gefahr und sinnieren über das Recht zum Widerstand. Doch ein Blick ins Grundgesetz zeigt: Die Verfassung bleibt da recht theoretisch
Wolfgang Kaufmann

Während die Bundesregierung mit ihrer „bundeseinheitlichen Corona-Notbremse“ das föderale Prinzip aushöhlt und der Staat Grundrechte in bislang einzigartiger Weise beschränkt, rufen Kritiker dieses Treibens dazu auf, eine ganz andere Art von Notbremse zu betätigen. Damit spielen sie auf den Artikel 20 des Grundgesetzes an. Während in dessen ersten drei Absätzen die tragenden Säulen unserer gesellschaftlichen Grundordnung benannt werden, als da sind Demokratie, das Rechts- beziehungsweise Sozial- und Bundesstaatsprinzip sowie die Gewaltenteilung, heißt es dann im Absatz 4: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“

Dieser Passus wurde im Zuge der Notstandsgesetzgebung mit dem 17. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 24. Juni 1968 in den Artikel 20 eingefügt, um das Abwehrrecht des Bürgers gegenüber einem verfassungswidrig handelnden Staat zu begründen. Mögliche Widerstandshandlungen können dabei vom individuellen oder kollektiven passiven Ungehorsam bis hin zum aktiven und unter Umständen letztlich auch bewaffneten Widerstand reichen. 

Allerdings ist unter Staatsrechtlern umstritten, wann dieses Notwehrrecht der Deutschen tatsächlich zu greifen beginnt. Während einige Widerstand bereits in dem Moment für legitim halten, in dem der Staat punktuell beginnt, den Boden der ordnungspolitischen Rationalität oder des Grundgesetzes zu verlassen, sieht die Mehrheit den Moment zum Handeln erst dann für gekommen, wenn die verfassungsmäßige Grundordnung in ihrer Gänze auf der Strecke zu bleiben droht.

Nur, wenn alles Normale versagt

Das ist auch der Standpunkt des derzeitigen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes, Stephan Harbarth. Das Gericht selbst hat sich bislang aber noch nicht ausdrücklich zu dieser Frage geäußert – jedoch gibt es eine Entscheidung aus dem Jahre 1956, in der es zum Thema Widerstandsrechte der Bürger angesichts staatlicher Übergriffe und Verfassungsbrüche heißt: Wer solche gewähren wolle, müsse „den grundsätzlichen Unterschied zwischen einer intakten Ordnung, in der im Einzelfalle auch Verfassungswidrigkeiten vorkommen mögen, und einer Ordnung, in der die Staatsorgane aus Nichtachtung von Gesetz und Recht die Verfassung, das Volk und den Staat im ganzen verderben“, ins Kalkül ziehen. Denn nur im letzteren Falle sei Widerstand gegen die Obrigkeit legitim. Und mit genau dieser Argumentation wird nun heute versucht, den 1968 dann schließlich in Kraft gesetzten Absatz 4 des Artikels 20 des deutschen Grundgesetzes zur ebenso substanz- wie wirkungslosen Hohlformel zu degradieren.

Wenn der Staat sich mit seiner Corona-Politik über die Verfassung hinwegsetzte, soll der Widerstandsfall keineswegs schon gegeben sein. Oder wie es der Staatsrechtler Josef Isensee in einem Aufsatz mit dem Titel „Widerstandsrecht im Grundgesetz“ darlegte: „Das Widerstandsrecht reagiert nicht auf einzelne Rechtsverstöße, für die … Abhilfe besteht.“ Erst wenn „alle Mittel der Normallage“ versagten, dürften die Bürger „zu den heiklen Mitteln des Rechtsbruchs und der Gewaltsamkeit greifen“. 

Als probate Instrumente, welche Widerstand unnötig machen und somit auch delegitimieren, gelten dabei insbesondere Klagen oder Verfassungsbeschwerden wegen einer Einschränkung der Grundrechte oder des Erlasses verfassungswidriger Gesetze durch die Legislative – selbst wenn diese Schritte unter ganz bewusster Missachtung des Grundgesetzes erfolgten. Solange es theoretisch also noch möglich ist, juristisch gegen den übergriffigen Staat anzukämpfen, soll keine Berufung auf Artikel 20 möglich sein. Das heißt im Klartext, dass bis zum Ende der formellen Existenz des Bundesverfassungsgerichts durch Selbstauflösung oder Zwang niemand behaupten darf, es fehle an „normalen“ Abhilfemöglichkeiten zur Beendigung einer staatlichen Tyrannei.  

Muss es erst zu spät sein?

Außerdem muss auch im Falle der Geltendmachung des Widerstandsrechts immer der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden, was die Pflicht einschließt, stets das mildeste mögliche Mittel der Gegenwehr zu wählen. Unter Berücksichtigung solcher Vorgaben wären Attentate wie das von Claus Schenk Graf von Stauffenberg zum Zwecke der Tötung des Diktators Adolf Hitler in aller Regel illegitim. Der Absatz 4 des Artikels 20 des Grundgesetzes gewährt den Bürgern hierzulande somit ein Notwehrrecht gegenüber dem Staat oder diktatorisch auftretenden Einzelpersonen, welches nach vorherrschender Meinung der juristischen Experten erst dann gelten und Wirkung entfalten soll, wenn es dazu in der Realität schon zu spät ist. 

Damit schafft der Passus logischerweise kein echtes Recht und dient als bloße Beruhigungspille für die Bürger. Darüber hinaus ignoriert er jedoch auch eine absolute Selbstverständlichkeit: Das einzig wahre politische Subjekt überhaupt, nämlich das Volk, braucht keine gesetzliche Erlaubnis, um Gefahren für sein eigenes Wohl abzuwenden. Wobei der diesbezügliche Volkswille im Prinzip recht einfach durchsetzbar ist. Bei einer flächendeckenden Verweigerungshaltung gegenüber dem Staat, aufgrund derer kaum noch jemand dessen schädliche oder demokratiefeindlichen Gesetze befolgt, wären Exekutive und Judikative sehr bald am Ende ihres Lateins und ganz ohne Volksaufstand zur Kapitulation gezwungen.

Wunschtraum „stille Revolution“

Entscheidend ist also nicht der dramatische offene Widerstand einiger Weniger, sondern das Handeln der breiten Masse. In der wachsenden Ignoranz gegenüber den Regeln zum „Infektionsschutz“ sehen manche schon den Hinweis, dass Deutschland am Beginn einer solchen „stillen Revolution“ stehe. In deren Verlauf wären für solche Stimmen dann freilich auch noch andere Formen der passiven Verweigerung, wie das Einstellen der aufgezwungenen Zahlungen zur Alimentierung des staatlichen Rundfunks, denkbar. 

Das wiederum könnte einen Schneeballeffekt auf dem Felde des zivilen Ungehorsams auslösen. Die Angst hiervor könnte mitspielen bei besorgten Diskussionen unter Politikern hierzulande, wie viele Einschränkungen man den Bürgern jetzt noch zumuten dürfe.