25.04.2024

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Folge 19-21 vom 14. Mai 2021 / Streitfall Kinderrechte In der kommenden Woche berät der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags über die angestrebte Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz. Anmerkungen zu einer umstrittenen Initiative / Ein überflüssiges Projekt / Der Weg der „Kinderrechte“ von einer Idee der Vereinten Nationen hin zur geplanten Änderung der deutschen Verfassung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-21 vom 14. Mai 2021

Streitfall Kinderrechte In der kommenden Woche berät der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags über die angestrebte Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz. Anmerkungen zu einer umstrittenen Initiative
Ein überflüssiges Projekt
Der Weg der „Kinderrechte“ von einer Idee der Vereinten Nationen hin zur geplanten Änderung der deutschen Verfassung
Josef Kraus

Die Debatte um eine gesonderte Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz ist so alt wie die Verfassung selbst. Bereits der Parlamentarische Rat hatte sich 1948/49 damit befasst, das Thema aber rasch beiseitegelegt. Etwas Fahrt nahm die Debatte 1990 im Zuge der Vereinigung in der Gemeinsamen Verfassungskommission auf, wurde dort aber nicht weiter verfolgt. Seit 1992 allerdings verschwindet das Thema nicht mehr aus den Debatten. 

Am 20. November 1989 nämlich hatten die Vereinten Nationen das Übereinkommen über die Rechte des Kindes („Kinderrechtskonvention“/KRK) verabschiedet. Bis auf die USA haben alle UN-Mitgliedstaaten die Konvention inzwischen ratifiziert, Deutschland 1992. Aus den Berichten des UN-Kinderhilfswerks UNICEF lässt sich jedoch ableiten, dass die UN 1989 beim Thema Kinderrechte vor allem Entwicklungsländer im Sinn hatten. 

Längst verankerte Rechte

Für Deutschland gilt: Die KRK mit ihren 54 Artikeln ist nach deren Ratifizierung durch den Bundestag vom 5. April 1992 als Gesetz im Rang eines Bundesgesetzes in Kraft. Eine Verpflichtung, die KRK in den Verfassungsrang zu erheben, gab es nicht. Das sei angefügt, weil sich Befürworter einer Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz oft auf die UN-KRK berufen.

Die Debatte flackerte dann immer wieder auf, bis die CDU in ihrem Wahlprogramm von 2017 ankündigte, sie wolle in der nachfolgenden Legislaturperiode die Kinderrechte ins Grundgesetz aufnehmen. Der CDU/CSU/SPD-Koalitionsvertrag enthielt denn auch folgerichtig die Absicht, dies bis Ende 2019 umzusetzen. Doch über das Wie konnten sich die Koalitionäre lange nicht einigen. Der CDU/CSU schien es um Symbolpolitik zu gehen, der SPD um massive Eingriffe in das Dreiecksverhältnis Kinder-Eltern-Staat. Der „Geist“, der bei der SPD dahinterstand, war ja schon Jahre zuvor durchgesickert. Im März 2002 hatte der damalige SPD-Generalsekretär Olaf Scholz „eine kulturelle Revolution“ ausgerufen, um „die Lufthoheit über den Kinderbetten zu erobern“. Seine Parteigenossin Renate Schmidt (damals Bundesfamilienministerin) assistierte im Herbst 2002 im Zuge der Debatte um die Einführung eines Schulfaches „Familienkunde“: „Wir müssen lernen, was Liebe ist. Da kann der Staat helfen.“

Weiter der Reihe nach: Das Ziel, die Sache bis Ende 2019 abzuschließen, wurde weit verfehlt. Aber nun, in den letzten Monaten und Wochen der Legislaturperiode, die im Herbst endet, soll die Sache durchgezogen werden. Hektische Betriebsamkeit entfaltet sich. Ein Koalitionsausschuss erarbeitete einen Entwurf, mit dem sich der Bundestag am 15. April in erster Lesung befasste. Im Anschluss an eine 30-minütige Beratung wurde die Vorlage gemeinsam mit einem Gesetzentwurf der FDP zum Thema an den Rechtsausschuss überwiesen.

Die von der Groko vorgeschlagene Grundgesetzänderung soll die Grundrechte von Kindern im Text des Grundgesetzes besser sichtbar machen. So sollen kindesspezifische Aspekte wie das Kindeswohlprinzip und das Anhörungsrecht des Kindes im Verfassungstext betont und dadurch die Rechtsstellung von Kindern und Familien unterstrichen werden. Insbesondere sei es ein Kernanliegen der Grundgesetzänderung, das Elternrecht und die Elternverantwortung nicht zu beschränken. 

Wozu das Ganze?

Warum dann dieser Lärm um nichts? Das geltende Grundgesetz gilt für alle (!) in Deutschland Lebenden – unabhängig von Alter, Geschlecht usw. Siehe Artikel 1 GG: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das heißt: Aller Menschen aller Altersgruppen! Zudem gilt laut Artikel 103 GG (1): „Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.“ Auch ein Heranwachsender, selbst wenn dessen Rechte treuhänderisch von seinen Eltern wahrgenommen werden.

Niemals gab es auch nur Zweifel daran, dass alle Grundrechte und aller Grundrechtsschutz für alle gelten. Bereits 1968 hatte das Bundesverfassungsgericht festgehalten: Kinder sind Wesen mit eigener Menschenwürde und dem eigenen Recht auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit. 

Ist eine Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz also überhaupt nötig? Nein, denn es gibt keine Schutzlücke für Kinder. Ein Grundrecht muss auch nicht doppelt garantiert werden, das wäre ein Systembruch. Mit eigenen Kinderrechten würde der Grundrechtsschutz parzelliert, er würde zu einer Art Sondergrundrecht und damit zu einem Einfallstor für weitere Sonderrechte. Warum dann nicht eigene Grundrechte für Senioren?

Diese Grundgesetzänderung mag gut gemeint sein, aber sie ist nicht nötig, fand auch der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, vor zwei Jahren. Man muss es noch härter sagen: Diese Grundgesetzänderung ist banale Schaufenstersymbolik und reine Symbolpolitik, um im Interesse der Zwei-Drittel-Mehrheit andere Parteien und die mit ihnen assoziierten Lobby-NGOs zu bedienen.

Aber diese Grundgesetzänderung ist nicht nur überflüssig, sondern womöglich auch schädlich. Es wird gern damit argumentiert, dass im Groko-Text ja die Rechte der Kinder und das Kindeswohl „angemessen“ berücksichtigt werden sollen. Wer aber definiert, was „angemessen“ ist und was „Kindeswohl“ ist? Es werden die Gerichte, letztlich auch das Bundesverfassungsgericht, sein, die das auslegen und dabei den „Geist“, der dahinter steckt, mitberücksichtigen. Insofern muss bei solchen Verfassungsänderungen mitbedacht werden, welche Rechtsprechung das zur Folge haben kann.

Der Kompromiss zwischen Union und SPD ist alles andere als „ein sehr gutes Ergebnis“ und die ausgehandelte Formulierung die „bestmögliche Umsetzung“, wie es der für die CDU/CSU-Fraktion federführende Fraktions-Vize Thorsten Frei am 12. Januar 2021 an seine Fraktionsmitglieder schrieb.

Droht ein fauler Kompromiss?

Wie die Sache ausgeht? Es ist zu befürchten, dass es zu einem faulen Kompromiss kommt. Denn die GroKo braucht für die notwendige Verfassungsänderung eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat. Allein hat sie dieses Quorum bei weitem nicht, zumal 28 mutige CDU/CSU-Abgeordnete um Sylvia Pantel, Hans-Jürgen Irmer, Klaus-Peter Willsch, Arnold Vaatz und Max Straubinger schon angekündigt haben, dass sie der Verfassungsänderung nicht zustimmen werden. 

Nun beginnt also ein Gefeilsche der GroKo um Stimmen der FDP und der Grünen. Der Preis dafür werden Zugeständnisse sein, die zu Lasten der Elternrechte gehen. Man vergesse nicht: Die Grünen wollen mehr Selbstbestimmungs- und Beteiligungsrechte der Kinder und Jugendlichen. Siehe auch ihre Initiativen für eine Absenkung des Wahlalters! Oder siehe die Gesetzentwürfe von Grünen und FDP vom Juni 2020, wonach eine Berichtigung des Geschlechtseintrages und eine Änderung der Vornamen ab Vollendung des 14. Lebensjahres auch ohne Mitwirken des gesetzlichen Vertreters möglich sein sollen.

Wie schizophren die ganze Debatte ist, zeigt nicht zuletzt, dass über das entscheidende Kinderrecht schon gar nicht mehr diskutiert wird: ein Recht auf Geburt! Und das angesichts von nach wie vor konstant rund hunderttausend Abtreibungen pro Jahr in Deutschland.

Fazit: Der Groko-Entwurf mag das geringste Übel sein. Noch besser wäre es, wenn er scheiterte.

Josef Kraus war von 1987 bis 2017 Präsident des Deutschen Lehrerverbandes.