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Folge 19-21 vom 14. Mai 2021 / Ein Keil zwischen Eltern und Kind / Was ist so schlimm an Kinderrechten? Was so harmlos und fürsorglich klingt, könnte sich schon bald als Einfallstor des Staates in die Rechte der Eltern erweisen. Dabei hat sich der Staat bislang keineswegs als besserer Anwalt der Kinder gezeigt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-21 vom 14. Mai 2021

Ein Keil zwischen Eltern und Kind
Was ist so schlimm an Kinderrechten? Was so harmlos und fürsorglich klingt, könnte sich schon bald als Einfallstor des Staates in die Rechte der Eltern erweisen. Dabei hat sich der Staat bislang keineswegs als besserer Anwalt der Kinder gezeigt
Birgit Kelle

Kinder sind auch Menschen, deswegen genießen sie jedes einzelne Menschenrecht. Dies könnte ein sehr kurzer Beitrag werden, würde man diese juristische Binsenweisheit an die nun seit über 25 Jahren dauernde Debatte über die Einfügung gesonderter „Kinderrechte“ ins Grundgesetz anlegen. Menschenrechte haben kein Verfallsdatum, keine Altersgrenze, keine Hautfarbe, kein Geschlecht und keine Bedingung, mit der ein Mensch in Vorleistung gehen müsste, um sie zu erhalten. 

Unnötige Doppelung

Doch da das Argument, Kinderrechte seien nur eine überflüssige Doppelung, das unzählige renommierte Verfassungsrechtler mit unzähligen juristischen Gutachten über die Jahre in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages vorgetragen haben, für manche politisch nicht zählen soll, kommt der Rechtsausschuss des Bundestages am kommenden Montag, dem 17. Mai, erneut zusammen, um über ein Lieblingsprojekt der Sozialdemokraten zu debattieren. Nach jahrelangem Ringen in zahlreichen Gremien der Großen Koalition existiert wieder einmal ein angeblich finaler Textvorschlag zur Erweiterung des Artikels 6 Grundgesetz, und erwartungsgemäß steht den einen zu viel drin und den anderen zu wenig. Grüne, Linkspartei und FDP haben zusätzlich eigene, deutlich umfangreichere Formulierungsvorschläge vorgelegt. 

Gerade schwingen sich die Beschwichtigungsrhetoriker der CDU auf, um den eigenen Leuten das Kinderrechte-Projekt schönzureden. Dass man eine Formulierung gefunden habe, die explizit das Elternrecht nochmal betone. Laut Vorschlag soll als 2. Absatz in Artikel 6 GG nun dieser Text eingefügt werden: „Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt.“

Alle Formulierungen hier sind Rechte, die den Kindern bereits zustehen. Man formuliert eine Erinnerung an sich selbst als Grundrecht, denn die verfassungsmäßigen Rechte und Ansprüche der Kinder (also jene, die bereits existieren) seien also zu achten und zu schützen. Das bereits existente Elternrecht wird ebenfalls erinnert. Was will man damit sagen? Dieser Zusatz ist also eine Doppelung, die keinen Sinn macht, es sei denn, man hat vor, vielleicht doch noch auf den letzten Metern des Verfahrens die Formulierungen zu ändern oder das Tor zu öffnen für neue Interpretationsspielräume in künftigen Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes, lautet doch ein juristischer Erfahrungssatz: Wer Verfassungsrecht sät, wird Rechtsprechung ernten. 

Nun klingt das Vorhaben „Kinderrechte“ spontan so unglaublich sympathisch, dass jene, die dagegen argumentieren, per se immer schlechte Karten haben. Wer mag schon etwas dagegen haben, oder gar öffentlich gegen Kinderrechte argumentieren? 

Und so ist es nicht immer einfach, zu erklären, dass das Einfügen eigenständiger Kinderrechte in die Verfassung keinem Kind nutzt. Denn alles, was nun als Blaues vom Himmel versprochen wird, könnte bereits jetzt ohne Verfassungsänderung mit einfachen Gesetzen sofort umgesetzt werden. Das gestehen sogar die Befürworter der Kinderrechte ein, beharren dann aber auf einem angeblich „symbolischen Charakter“ dieser Aktion. Man sollte sich eher die Frage stellen, warum genau jene Politiker, die so viel für Kinder tun wollen, es nicht längst getan haben und stattdessen lieber an der Verfassung schrauben möchten. Spannend wird es in Sachen Kinderrechte, wenn die Frage auftaucht, welches Recht konkret die Kinder zukünftig haben sollen – und wer genau in unserem Land eigentlich das Kindeswohl definiert.

Generalverdacht gegen Eltern

Wer also die Aufnahme von Kinderrechten in die Verfassung fordert, hat anderes im Sinn, als Rechtslage oder Schutz von Kindern zu verbessern. Es geht vielmehr um das Reißen der Kompetenzgrenze, die Eltern derzeit halten – und zwar gegen den Staat. Denn die spannende Frage ist ja, wer künftig juristisch diese neu zu schaffenden Rechte der Kinder vertritt, und vor allem gegen wen? 

Nach aktueller Rechtslage besitzen laut Artikel 6 GG die Eltern eine „natürliche“ Vertretungsvollmacht für ihre Kinder, weil unsere Verfassung mit Vertrauen in die Eltern annimmt, dass diese ein natürliches Interesse am Wohlergehen ihrer Kinder haben. Kinderrechte in der Verfassung wären also der ausgesprochene Generalverdacht gegen die Erziehungskompetenz von Eltern. Es würde mit der Selbstverständlichkeit brechen, dass Eltern selbst entscheiden, was gut und richtig ist für ihre Kinder, wie sie ihre Kinder erziehen, welche Werte sie weiterreichen, was sie ihren Kindern erlauben oder verbieten. 

Dieses Recht müssen Eltern nicht erst erwerben, sie haben es bereits. Die Rechte ihrer Kinder können sie damit auch gegen die Einmischung des Staates vertreten, wenn sie es für nötig halten, weil die Freiheitsrechte des Grundgesetzes immer auch Abwehrrechte gegen die Einmischungstendenzen des Staates sind. Kinderrechte taugen also eher als Keil zwischen Eltern und Kind und als neues staatliches Instrument, um die Vertretung von Kinderrechten aus dem Machtbereich der Familie zu schälen und den Staat als zusätzlichen neuen Advokaten der Kinder zu installieren.

Um jenen vorzubeugen, die glauben, man müsse Kinder besser vor Misshandlung und Unfähigkeit von Eltern schützen: Das tun wir bereits ausgiebig in diesem Land, dafür haben wir ein flächendeckendes Netz von Jugendämtern. Deren Arbeit braucht Geld und Personal, nicht blumige Verfassungszusätze. Seit 2010 haben wir aber auch ein juristisch ziemlich heikles Gesetz: Seither kann der Staat Eltern die Kinder bereits auf Verdacht wegnehmen, er muss Eltern die Kindeswohlgefährdung vorher nicht einmal nachweisen, stattdessen ist die Beweislast umgekehrt worden: Eltern müssen in so einer Situation beweisen, dass sie sehr wohl erziehungsfähig sind. 

Zudem kann man durchaus die Frage stellen, wie weit die Politik von den Sorgen normaler Familien entfernt sein muss, um mitten in einer Pandemie ein Projekt wie „Kinderrechte in die Verfassung“ voranzutreiben, nachdem Hunderttausende Familien um ihre Existenz bangen und ihre Kinder bereits seit einem Jahr von genau demselben Staat nicht einmal einen geregelten Schulbetrieb garantiert bekommen. Wir haben eine Bildungsministerin, von der man inmitten der größten Bildungskrise seit Ende des Zweiten Weltkrieges nicht viel hört. Eine ganze Kindergeneration wird bereits ein ganzes Schuljahr hin und her geschoben, jedoch weniger wegen der Infektionszahlen, sondern eher wegen der Frage, wo sie am wenigsten im Wege sind, wenn ihre Eltern im Homeoffice sitzen. 

Der Staat ist nicht der bessere Anwalt

Kein Verfassungsrecht dieser Welt ist nötig, um Mädchen und Jungen ihre Kindheit zurückzugeben, das Recht, mit Freunden zu spielen, Vereinssport zu betreiben und ja, vernünftig unterrichtet zu werden. Vom Herbst über den Winter bis ins Frühjahr saßen sie immer wieder wochenlang in Schals und Jacken eingewickelt in Klassenzimmern bei offenem Fenster frierend, während die Kanzlerin ernsthaft als Lösung den Ratschlag erteilte, man möge gegen das Frieren ein paar Kniebeugen machen und in die Hände klatschen. Erwachsene wären durch das Arbeitsrecht vor solchen Bedingungen geschützt. Mit Kindern kann man das machen?

Nachdem man der gesamten Bevölkerung seit einem Jahr Bewegungsfreiheit, Reisefreiheit, Berufsausübung, Freizeitgestaltung und selbst Schlittenfahren, Eislaufen und Familientreffen einschränkt, möchte dieselbe Regierung nun den Kindern neue Verfassungsrechte garantieren, die dazu dienen, Elternrechte einzuschränken. 

Man will ja nicht Böses unterstellen, aber es lohnt doch konkret zu schauen, was es bedeutet, wenn der Staat meint, das Kindeswohl definieren zu können, und Eltern dabei nicht als Partner, sondern möglicherweise als Gegner betrachtet. Wir haben erlebt, dass in der Pandemie Gesundheitsämter in mehreren Bundesländern Rundschreiben an Eltern verfassten, in denen damit gedroht wurde, dass man die Kinder aus den Familien nehmen könne, wenn sie ihre kranken Kinder nicht auch innerhalb der eigenen vier Wände in ihren Zimmern isolieren. Das sollte schon für Kleinkinder gelten! Zwar stand diese Amtsanmaßung rechtlich auf tönernen Füßen, doch zeigt sie, wie es aussehen kann, wenn seelenlose Beamte glauben, sie könnten Eltern vorschreiben, wie sie zu Hause mit ihrem kranken Kleinkind umzugehen haben. 

Nicht auszudenken, auf welche Gedanken die Beamten kommen könnten, wenn man ihnen das Recht gäbe, die Rechte der Kinder selbst zu definieren. Was kommt dann? Das Kinderrecht, gegen Corona geimpft zu werden, weil Eltern, die dagegen sind, das Kindeswohl gefährden? Längst werden Kinderimpfungen als Zugangsvoraussetzung für den Schulbetrieb im Herbst diskutiert. Werden Eltern dagegen noch Einspruch erheben können, oder gelten sie dann als Gesundheits- und Bildungsgefährder ihrer Kinder? Das sind keine Hirngespinste, sondern es ist leider genau das, was daraus gemacht werden kann, wenn man einmal zulässt, dass sich der Staat gegen die Eltern in Stellung bringen kann. 

Der Grund, Kinderrechte in der Verfassung zu verankern, ist also der politische Wille, eine Argumentationshilfe mit Verfassungsrang zu schaffen für alle weiteren politischen „Wohltaten“, die man notfalls an den Eltern vorbei an die Kinder bringen will. Die Grünen fordern nicht von ungefähr in ihrem Formulierungsentwurf mehr politische Teilhaberechte mit Verfassungsrang für Kinder. 

Im Kontext anderer Rechte

Es lohnt also, sich „Kinderrechte“ immer auch im Zusammenspiel mit anderen existenten oder geplanten Gesetzen anzusehen, etwa mit dem gerade ebenfalls von verschiedenen Parteien forcierten Wunsch nach einem neuen Transsexuellengesetz. Nur zwei Tage nach der Sitzung des Rechtsausschusses steht im Bundestag die 2. und 3. Lesung eines neuen „Selbstbestimmungsgesetzes“ auf dem Plan. Alle vorliegenden Entwürfe, auch die Varianten der FDP und der Regierungskoalition, beinhalten den Vorschlag, dass Kinder bereits ab 14 selbst über einen Geschlechterwechsel entscheiden sollen. Wären die Eltern dagegen, würde ein Familiengericht eingeschaltet, wo der Staat dem Kind hilft, gegen das Nein seiner Eltern vorzugehen. 

Nahezu gleichzeitig soll nun im Grundgesetz das Recht der Kinder auf „Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten“ verankert werden. Eigenverantwortung klingt wunderbar, gerade in der Pubertät ist das zwischen Eltern und Kind eine ständige Verhandlungsmasse. Die sexuelle Orientierung und das eigene Geschlecht sind bei Jugendlichen zentrale Themen der pubertären Entwicklung. Wie es aussieht, soll gerade das Recht der Kinder auf Geschlechterwechsel installiert werden, um „eigenverantwortlich“ und „selbstbestimmt“ handeln zu dürfen. 

Kinderrechte sind keine Errungenschaft für Kinder, sondern ein Angriff auf die Rechte der Eltern und deren Möglichkeiten, ihre Kinder zu beschützen – auch vor den Ideologen im Staatsapparat. 

Birgit Kelle ist Publizistin und schreibt u.a. für „The European“, „Die Welt“ und „Focus“. Zuletzt erschien „Noch Normal? Das lässt sich gendern! Gender-Politik ist das Problem, nicht die Lösung“ (FinanzBuch Verlag 2020).

www.birgit-kelle.de