19.04.2024

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Folge 19-21 vom 14. Mai 2021 / Ostpreußens dunkle Geheimnisse / Masuren-Krimis in der ARD – Eine Kriminaltechnikerin aus Berlin ermittelt im Land der dunklen Wälder

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-21 vom 14. Mai 2021

Ostpreußens dunkle Geheimnisse
Masuren-Krimis in der ARD – Eine Kriminaltechnikerin aus Berlin ermittelt im Land der dunklen Wälder
Anne Martin

Als wildes Land ohne Schilder und Begrenzungen, so zeigt sich die ostpreußische Region südöstlich von Allenstein in vorerst zwei Folgen des „Masuren-Krimis“ (20. und 27. Mai um 20.15 Uhr, Das Erste). Nirgendwo schimmern die Seen geheimnisvoller, nirgends knackt es bedeutungsvoller im Unterholz. Immer wieder sucht die Kamera verschilfte Seeufer und fängt Vogelschwärme ein. 

Was diese Pilot-Folgen von der Dutzendware des Krimi-Donnerstags unterscheidet, ist der betonte Gegensatz zwischen der Ungezähmtheit der Natur und einer nahezu autistischen Kriminaltechnikerin, die im ausschließlich für sie reservierten Zugwaggon aus Berlin anreist. 

In der zweiten Folge „Fangschuss“ erlebt diese Dr. Viktoria Wex (Claudia Ei­singer), die in einem kleinen Ort die Todesumstände ihres Onkels klären will, eine Begegnung der dritten Art: Vor ihr steht ein schnaubender Wisent, ein Urviech wie aus einer anderen Zeit. Eine Grenzerfahrung. Wo die studierte Chemikerin bisher nur Zahlen und Fakten aneinanderreihte, dem Pastor wegen der Übertragung von Keimen den Handschlag verweigerte und dem Polizei-Kollegen den Mond als bloße Ansammlung von Materie erklärte, da zeichnet diese Szene das Grundmuster des Films: Ratio trifft auf Unterbewusstes. Wer hier ermittelt, setzt seinen Fuß auf ungesicherten Boden und muss damit rechnen einzubrechen. 

Einem Trauma auf der Spur

Als weiteres Stilmittel arbeitet der Regisseur Anno Saul mit Rückblenden. Da meint die so rational denkende Dr. Wex plötzlich ihren tödlich verunglückten Ehemann im See treiben zu sehen. Wie von Sinnen springt sie ins Wasser, um sich nach dem verzweifelten Ringen mit einer Wahnvorstellung tropfnass und verstört auf den nackten Boden ihrer Unterkunft zu legen. Die kleine Tochter des Orts-Polizisten, die sie vergeblich zum gemeinsamen Abendbrot bittet, erkennt die Situation mit kindlicher Intuition: „Ich bin auch mal traurig. Das geht vorbei.“ Eher wohl nicht. Diese Viktoria Wex, die wegen ihrer angeschlagenen Psyche suspendiert wurde, gehört zu jenen Fernseh-Ermittlerinnen, denen das Drehbuch jedes Lächeln und jede Gefühlsregung verbietet. 

Ob eine versteinerte Desirée Nosbusch im Irland-Krimi oder eine verhärmte Anna Loos in „Helen Dorn“ – es fröstelt einen geradezu angesichts dieser Frauen, die meistens einem persönlichen Trauma auf der Spur sind. Auch hier spürt die Hauptfigur ihrer Vergangenheit nach, hilft sich mit Pillen und selbstverordneter Einsamkeit über Abgründe hinweg. 

Ein Gegengewicht setzt das ostpreußische Ambiente, das eine andere Nestwärme suggeriert als die meist akkurat ausgefegten Drehorte im Westen. Hier ist nichts gestylt, bei Ankunft der Besucherin aus Berlin schwenkt die Kamera über das verwitterte Ortsschild mit der Aufschrift „Pasym“, deutsch Passenheim. Neben den Seen geraten immer mal wieder Plattenbauten ins Bild, der üppige Wildwuchs der Natur wird mit der offensichtlichen Armut des Landes kontrastiert. 

Eine verbotene Spezialität

Masuren liegt jetzt im polnischen Teil Ostpreußens. Die Crew bestand deshalb überwiegend aus polnischen Schauspielern, Kameraleuten und Szenenbildnern. „Es ist, als ob man dort in eine Zeitlosigkeit eintaucht“, sagt Hauptdarstellerin Eisinger, Jahrgang 1984. Eher ist es so, dass die jüngere Generation nur noch wenig über die Geschichte des südlichen Ostpreußen weiß. 

Gering ist das Wissen, dass im harten Kriegswinter 1944/45 Hunderttausende über das zugefrorene Frische Haff zu fliehen versuchten, Unzählige dabei erfroren oder ertranken. Zwölf Seemeilen vor der pommerschen Küste liegt das Wrack der „Wilhelm Gustloff“ auf dem Grund der Ostsee, einst ein Schiff der Hoffnung mit über 10.000 Flüchtlingen an Bord, versenkt von russischen Torpedos.

Ein Krimi kann nichts von dieser Vergangenheit erzählen. Hier geht es um Themen, wie sie auch am Starnberger See spielen könnten – der vermisste Onkel aus der ersten Folge war in Grundstücksspekulationen verwickelt, das Fleisch der Wisente in Folge zwei wird als verbotene Spezialität gehandelt. 

Der Mythos dieser geschichtsträchtigen Landschaft und die teilweise routinierten Krimiplots stehen unverbunden nebeneinander. Aber die spröde Kriminaltechnikerin aus Berlin, die an den Orten ihrer Kindheit auch die Spur zu ihrer Seele aufnimmt, ist zweifellos eine Bereicherung des Krimi-Tableaus. Und nach dem Abschalten lohnt sich allemal der Griff ins Bücherregal. Arno Surminski und Siegfried Lenz beschwören die Erinnerung an ein Masuren, wie es früher einmal war.