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Folge 19-21 vom 14. Mai 2021 / Ökologie / Forstwirte streiten um die Seele des Waldes / Ist das rationale Wissenschaft oder verschrobene Mystik? Mit seinen Büchern über das „geheime Leben der Bäume“ feierte Peter Wohlleben große Erfolge. Doch in jüngster Zeit regt sich Widerspruch

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-21 vom 14. Mai 2021

Ökologie
Forstwirte streiten um die Seele des Waldes
Ist das rationale Wissenschaft oder verschrobene Mystik? Mit seinen Büchern über das „geheime Leben der Bäume“ feierte Peter Wohlleben große Erfolge. Doch in jüngster Zeit regt sich Widerspruch
Dagmar Jestrzemski

Durch sein 2015 veröffentlichtes Buch „Das geheime Leben der Bäume. Was sie fühlen, wie sie kommunizieren. Die Entdeckung einer verborgenen Welt“ wurde der Diplomforstwirt Peter Wohlleben eine international bekannte Persönlichkeit. Mit einfühlsamen Geschichten und Erläuterungen in Kategorien des menschlichen Denkens und Fühlens beschrieb der damals noch beruflich aktive Autor seinen staunenden Lesern den Wald als einzigartiges Wunderwerk der Natur. Das Buch sprang auf Platz 1 der „Spiegel“-Bestsellerliste und hielt sich dort 125 Wochen. 2018 war eine Millionenauflage erreicht. Auch die von Wohlleben seither veröffentlichten Bücher landeten in den Top-10-Listen. „Das geheime Leben der Bäume“ wurde in mehr als 20 Sprachen übersetzt und inhaltlich in einem Kinofilm gleichen Titels in Szene gesetzt, der Ende Januar 2020 anlief.

Wohlleben bezieht sich auf aktuelle wissenschaftliche Studien und eigene Erfahrungen, wenn er vom Leben der Bäume als einem fein abgestimmten Gesellschaftssystem erzählt, das sein Überleben im Wald gemeinschaftlich absichert. Das erinnert in vielen Einzelheiten tatsächlich an menschliche Fürsorge und Gemeinsinn. Ständig tauschen Bäume Informationen über die Baumkronen und Wurzeln aus, beispielsweise, ob genügend Wasser und Nährstoffe vorhanden sind. Sie pflegen Freundschaften, „kuscheln“, stillen ihre „Baumbabys“ und „erziehen“ die größeren Baumkinder. Kranke Bäume werden von ihren Nachbarn unterstützt, und Bäume können aus Erfahrungen lernen wie Menschen und Tiere. 

Dichtes Netz zur Kommunikation

Noch bevor „Waldbaden“ als gesundheitsfördernd propagiert wurde, erfuhren wir, warum Waldspaziergänge einen so wohltuenden Einfluss auf Körper und Seele haben. Unter anderem sei dies auf Duftstoffe (Terpene) zurückzuführen, mit denen die Pflanzen des Waldes einander Botschaften zusenden. Unterirdisch bilden Bäume ein dichtes Wurzelgeflecht aus. Dabei übernehmen Pilze mit ihrem Netz aus feinen Fäden, dem Myzel, Kommunikations- und Schutzfunktionen für die Baumgesellschaften. Für dieses System fanden internationale Wissenschaftler den Begriff „Wood Wide Web“. Mit seinen typischen, unterhaltsamen Schilderungen anhand von Fakten und Anekdoten hat Wohlleben seinem Lesepublikum inzwischen auch den neuesten Stand der Forschung zur Gefühlswelt der Tiere nahegebracht („Das Seelenleben der Tiere“, 2016).

In seinen Vorträgen und Talkshow-Auftritten erläutert Wohlleben das Konzept einer ökonomisch vertretbaren, nachhaltigen Waldbewirtschaftung ohne Kahlschläge und Monokulturen. Er kritisiert die überwiegend praktizierte, rein auf Gewinnmaximierung fokussierte Waldbewirtschaftung mit massiven Holzeinschlägen, die selbst in alten Laubwäldern nach wie vor nicht verboten sind. Die Ökosystemleistungen eines gesunden Mischwaldes würden zu wenig berücksichtigt. Seit jeher sei bekannt, dass schnell wachsende Kiefern- und Fichtenplantagen nach einigen Dürrejahren dem Untergang geweiht seien. Ohne menschlichen Einfluss wäre Deutschland zu mehr als 90 Prozent von Wald bedeckt, der größte Teil davon wären Buchen- oder Buche/Eichen-Mischwälder. Diese Wälder seien durch eine langwährende Resilienz gekennzeichnet. 

Harsche Kritik am Holzboom

Bereits in seinem zweiten Buch „Holzrausch“ (2008) hatte Wohlleben den als umweltfreundlich etikettierten Holzboom mit Holzkraftwerken, Pelletheizungen und Hauskaminen angeprangert. Immer wieder erinnert er an den Nutzen intakter Wälder als Schutzschild für das Weltklima, und niemand würde ihm an diesem Punkt widersprechen. Ironischerweise aber werden die Wälder infolge unserer technokratisch geprägten Klimaschutzpolitik mit dem Fokus auf den angeblich „klimafreundlichen“ Brennstoff Holz weltweit immer stärker geplündert.

Harsche Kritik erreichte den Bestsellerautor wegen seiner „Emotionalisierung“ des Themas Wald vor allem von Seiten einiger Berufskollegen aus der Forstwissenschaft. Mit seinen rein persönlichen Einschätzungen habe er Halbwahrheiten vermittelt, warf man ihm vor. Der Biologe Torben Halbe sah sich gar zu einer Gegendarstellung veranlasst. In seinem Buch „Das wahre Leben der Bäume“ führt er wissenschaftliche Studien an, die seiner Auffassung nach belegen, dass alle Lebewesen und sogar Bakterien sehr komplex, aber großenteils unbewusst auf ihre Umwelt reagieren. Auch wir Menschen würden durch ein Zusammenspiel verschiedener chemischer Botenstoffe beeinflusst, ohne dies bewusst wahrzunehmen oder zu kontrollieren.

„Intelligente Organismen“?

Wohlleben lässt sich dadurch nicht beirren. Als Förster der Eifelgemeinde Hümmel hatte er Anfang der 1990er Jahre die Gelegenheit zu beobachten, was passiert, wenn ein Gemeindeforst sich zu einem Urwald entwickelt. Dies wurde ermöglicht, da die Landesforstverwaltung Rheinland-Pfalz eine ökologische Waldentwicklung befürwortete. 2016 gab er aus gesundheitlichen Gründen seine Tätigkeit als Förster auf und gründete die Waldakademie Hümmel für Fortbildung, Beratung, Führungen und Waldschutzprojekte. 

Grundsätzlich ist der Ansatz von Wohlleben, das „geheime Leben“ der Bäume als eine Art von Intelligenz zu interpretieren, nicht neu. Als Erster behauptete der indische Physiker Jagadish Chandra Bose (1858–1937), der mit elektromagnetischen Wellen experimentierte, dass Pflanzen ihre Umgebung aktiv erkundeten, lernfähig seien und zielorientiert handeln könnten. Anfang des 21. Jahrhunderts führten einige Wissenschaftler den Begriff „Pflanzenneurobiologie“ („plant neurobiology“) in den wissenschaftlichen Diskurs ein. 

Dabei handelt es sich um ein neues, interdisziplinäres Forschungsgebiet, das Signalverarbeitung und Kommunikation von Pflanzen untersucht. Diese erfolgen sowohl auf elektrischer als auch auf molekularer Ebene. Das Forschungsprogramm geht auf den schottischen Molekularbiologen Anthony Trewevas (geb. 1939) zurück. „Wenn man sieht, dass Pflanzen sich so verhalten, wie man es von Tieren erwarten würde, kann man keinen Zweifel mehr daran haben, dass sie intelligente Organismen sind“, sagt Trewevas, Mitglied der Royal Society und der Academia Europaea.