26.04.2024

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Folge 20-21 vom 21. Mai 2021 / DDR / Keine Partnerschaft auf Augenhöhe / Das Verhältnis zwischen dem „Opium des Volkes“ und dem „Arbeiter-und-Bauern-Staat“ war ambivalent. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Rolle der „Kirche im Sozialismus“ fand bisher kaum statt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-21 vom 21. Mai 2021

DDR
Keine Partnerschaft auf Augenhöhe
Das Verhältnis zwischen dem „Opium des Volkes“ und dem „Arbeiter-und-Bauern-Staat“ war ambivalent. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Rolle der „Kirche im Sozialismus“ fand bisher kaum statt
Heidrun Budde

Religion sei „das Opium des Volkes“, diese Kritik von Karl Marx wurde schon Kindern in den Schulen der DDR gelehrt. Die Kirche war stets ein Konkurrent bei der ideologischen Vereinnahmung der Menschen. Misstrauen und eine subtile Kontrolle prägten das Verhältnis zwischen Staat und Kirche. 

1982 unterbreitete ein Rostocker Pfarrer der Klinik für Innere Medizin den Vorschlag, einen unentgeltlichen Pflegedienst zur Verfügung zu stellen. Dieses Angebot wurde abgelehnt, und heute ist in den Akten der SED-Bezirksleitung nachzulesen, warum: 

„Entsprechend den gesetzlichen Regelungen machen kirchliche Vertreter von der Möglichkeit Gebrauch, in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen auf Wunsch von Patienten seelsorgerisch zu wirken. So finden beispielsweise in den Pflegeheimen Jessin und Griebenow regelmäßig kirchliche Kulthandlungen statt. Darüberhinaus gibt es Versuche von kirchlichen Kreisen, ihren Spielraum auszuweiten. Der Rostocker Pfarrer Kegebein hat z. B. der Klinik für Innere Medizin der Wilhelm-Pieck-Universität Rostock angeboten, für einen unentgeltlichen Pflegedienst vor allem an Wochenenden und Feiertagen junge Menschen zur Verfügung zu stellen. Wir werten es als Ausdruck gewachsener politischer Reife und Geschlossenheit, daß solche und ähnliche Versuche und Provokationen, im Gesundheits- und Sozialwesen breiten Einfluß zu gewinnen, stets fehlgeschlagen sind.“ 

Inszenierung durch die SED

Offiziell entspannte sich das Verhältnis Staat-Kirche in den 80er Jahren. Intern sah das ganz anders aus. Pfarrer Peter Kegebein war Katholik, und seine Kirche stand dem SED-Staat stets kritisch gegenüber, was dazu führte, dass derartiges soziales Engagement in öffentlichen Einrichtungen abgewiesen wurde. 

Anders entwickelte sich das in der evangelischen Kirche. Nach einer Zeit der heftigen Auseinandersetzungen in den 50er und 60er Jahren kam die Formel „Kirche im Sozialismus“ auf. Bischof Albrecht Schönherr formulierte 1971: „Wir wollen Kirche nicht neben, nicht gegen, sondern im Sozialismus sein.“

Am grundsätzlichen Misstrauen der SED-Funktionäre änderte dieses Zugeständnis allerdings nichts. Insbesondere der Einfluss westlicher Kirchen war in der DDR gefürchtet. 1972, dem Jahr des Abschlusses des Grundlagenvertrages, regelte Innenminister Friedrich Dickel am 12. September in einer „Vertraulichen Verschlußsache I 020 488“, dass Einreiseanträge kirchlicher Vertreter „gründlich geprüft werden“ mussten, und weiter: „Bei Bürgern der BRD ist vor der Entscheidung die Zustimmung des Staatssekretärs für Kirchenfragen einzuholen.“ Der SED-Funktionär Hans Seigewasser hatte dieses Amt von 1960 bis 1979 inne, gefolgt von Klaus Gysi. 

In der „Vertraulichen Verschlußsache“ des Innenministers fallen diese Vorgaben besonders auf: „Anträge von Geistlichen, Amtsträgern und sonstigen Vertretern ,gesamtdeutscher kirchlicher Gremien‘ und von ,Patengemeinden‘ sind abzulehnen. … Einreisen von Kirchenchören und kirchlichen Laienspielgruppen sind nicht zu genehmigen.“ Nur wenn der Staatssekretär für Kirchenfragen „in Ausnahmefällen“ eine Zustimmung erteilte, durften diese Personengruppen einreisen. Auch die Teilnahme westlicher Gäste an Kirchentagungen in der DDR war von der Gunst des Staatssekretärs abhängig. 

Wie groß das Misstrauen war, zeigt sich heute in den zugänglichen Akten der ehemaligen SED-Bezirksleitung Rostock. Vom 10. bis 12. Juni 1983 veranstaltete die evangelische Kirche eine „kirchliche Martin-Luther-Ehrung“ unter dem Thema: „Vertrauen wagen“. Eigentlich war die Zentrale Organisationgruppe bei den Landeskirchen (ZORG) für die Vorbereitung dieser Veranstaltung zuständig. Doch die SED übernahm im Hintergrund die Oberaufsicht: „Zur parteimäßigen Koordinierung und Kontrolle der politischen Aktivitäten zum Kirchentag im Rahmen der Luther-Ehrungen 1983 wird eine Arbeitsgruppe bei der Bezirksleitung Rostock der SED … gebildet. Aufgabe der Arbeitsgruppe ist es, in Vorbereitung und Durchführung des Kirchentages auf die verantwortlichen kirchlichen Vertreter Einfluß zu nehmen, daß die vorgesehenen kirchlichen Aktivitäten mit den Interessen unseres Staates übereinstimmen, seine Politik unterstützen, daß vor allem die friedensbeschützende und friedensbewahrende Rolle unseres sozialistischen Staates uneingeschränkt zur Geltung kommt.“ 

Diese Arbeitsgruppe der SED hatte 14 Mitglieder. Darunter der Abteilungsleiter für Agitation der Bezirksleitung, der Oberbürgermeister der Stadt, der Mitarbeiter für Kirchenfragen beim Rat des Bezirkes, der stellvertretende Leiter der Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit und der Stellvertreter Operativ der Bezirksverwaltung der Deutschen Volkspolizei. 

Zur Zielstellung der „massenpolitischen Arbeit“ bei der Vorbereitung des Kirchentages ist zu lesen: „Notwendig ist vor allem eine verstärkte Einflußnahme auf die Gemeindepfarrer, Kirchengemeinderäte, Synodale und kirchlichen Mitarbeiter. Sie sind zu veranlassen, mit ihren Erkenntnissen und Erfahrungen über den realen Sozialismus positiv auf den Verlauf des Kirchentages einzuwirken. Darauf sind alle Arbeitsgruppen ,Christliche Kreise‘ bei den Ausschüssen der Nationalen Front zu orientieren. Das setzt auch eine noch wirksamere Einbeziehung der Freunde der CDU und der anderen Blockparteien voraus.“

Kein Widerstand seitens der Kirche

Am 18. Juni 1982, ein Jahr vor der Veranstaltung, fand ein Gespräch zwischen dem Landesbischof Heinrich Rathke und dem Genossen Haß von der Abteilung Inneres des Rates des Bezirkes statt. Hier diktierte die SED ihre Bedingungen: 

„– Einordnung in die politischen und gesellschaftlichen Zielsetzungen der Lu–therehrung in der DDR

– Der Kirchentag muß den Geist und den Charakter des Gesprächs des Generalsekretärs des ZK der SED, Genossen Erich Honecker, vom 6.3.78 widerspiegeln ….

– Sicherung einer hohen Organisation sowie eines ständigen Zusammenwirkens mit den staatlichen Organen

– Verhinderung jeglicher politischer, provokatorischer Aussagen“.

Von kirchlicher Seite gab es keinen Widerstand: „Bischof Rathke bezeichnete diese Kriterien auch als seinen Interessen entsprechend.“ Der Kirchentag durfte stattfinden, und in den Medien wurde über eine große kirchliche Veranstaltung berichtet. Die angewiesene Inszenierung durch die SED im Hintergrund fand keine Erwähnung. 

Großzügiger waren die SED-Genossen nur, wenn sie dadurch erhebliche Vorteile hatten. So berichtete Kapitän Gerd Peters, dass das DDR-Urlauberschiff „Völkerfreundschaft“ im Dezember 1978 an das schwedische Unternehmen Stena-Line mit Besatzung verchartert wurde. Im Kinosaal des Schiffes fand jeden Sonntag ein Gottesdienst und jeden Morgen eine Andacht statt, die ein Geistlicher der schwedisch-lutheranischen Staatskirche vornahm. Höhepunkte der Reise waren drei kirchliche Hochzeiten mit Serviceleistungen durch das Bordpersonal. Dieses Geschäft verschaffte dem SED-Staat zwei Vorteile. Einerseits demonstrierten sie weltöffentlich eine Toleranz gegenüber der Kirche, die es tatsächlich in der DDR nicht gab, und andererseits nahmen sie die heißbegehrten Devisen ein, die sie dringend für die Unterhaltung der „Völkerfreundschaft“ brauchten. 

Das Verhältnis zwischen Kirche und SED-Staat war ambivalent. Eine Partnerschaft auf Augenhöhe war es nicht, und eine kritische Auseinandersetzung über die Rolle der „Kirche im Sozialismus“ fand bisher kaum statt.