23.04.2024

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Folge 20-21 vom 21. Mai 2021 / Europa / Ein starkes Plädoyer für den Wert des Eigenen / Die Besinnung auf das „lateinische Gesicht“ des Kontinents sei dringend geboten, fordert der Theologe Friedemann Richert. Er nimmt die Fundamente unserer Kultur mit überraschender Schärfe in den Blick

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-21 vom 21. Mai 2021

Europa
Ein starkes Plädoyer für den Wert des Eigenen
Die Besinnung auf das „lateinische Gesicht“ des Kontinents sei dringend geboten, fordert der Theologe Friedemann Richert. Er nimmt die Fundamente unserer Kultur mit überraschender Schärfe in den Blick
Erik Lommatzsch

Klagen über die uns umgebende „Narrenbühne Welt“ sind derzeit Legion. Die „Rangordnung des Normalen“ werde ausgehöhlt, Gleichberechtigung mit Gleichstellung verwechselt, kritisiert der evangelische Theologe Friedemann Richert. Probleme der Einwanderung, die Unvereinbarkeit der offenen europäischen Gesellschaft „mit der geschlossenen tribalistischen Kultur der islamischen und afrikanischen Länder“ werden geleugnet. Nicht nur in Deutschland, auf dem Kontinent insgesamt sei „der Gedanke der Bewahrung der lateinisch geprägten Kultur Europas und der Heimat verloren gegangen“. Es werde eine „eigentümliche Erhebung zur selbstgewollten Heimatlosigkeit politisch, medial und institutionell zelebriert“. 

Richert, seit 2011 Dekan des Kirchenbezirks Künzelsau, zeigt diese Problemlagen auf. Allerdings belässt er es nicht bei dieser Bestandsaufnahme. In seiner konzisen Darstellung „Das lateinische Gesicht Europas. Gedanken zur Seele eines Kontinents“ (Evangelische Verlagsanstalt Leipzig) wirft er auch einen Blick auf die Wurzeln dessen, was es zu bewahren gelte. Vieles davon ist gewohnt, alltäglich und selbstverständlich, aber das Wissen oder Bewusstsein, dass es sich um originäre Hervorbringungen des eigenen Kulturkreises handelt, ist kaum noch vorhanden. 

Einzigartige Ideengeschichte

Herausgestellt wird das berühmte Diktum des Philosophen Odo Marquart „Zukunft braucht Herkunft“. Richert zitiert häufig aus der „Pariser Erklärung“, deren Thesen er mit seinen Betrachtungen untermauert. In jener Erklärung unter der Überschrift „Ein Europa, wo(ran) wir glauben können“ hatte 2017 eine Reihe namhafter konservativer Intellektueller aus verschiedenen Ländern (aus Deutschland beispielsweise Robert Spaemann) die gegenwärtige Entwicklung scharf kritisiert. In dem Text finden sich Sätze wie „Der Nationalstaat ist das Markenzeichen Europas“ oder die Feststellung, „Multikulturalismus funktioniert nicht“. 

Richert postuliert, „der Dreiklang von Antike, Christentum und Aufklärung“ habe „Europa zu einem lebenswerten Kontinent gemacht. Und dieser Dreiklang sei es gewesen, der Europa sein „lateinisches Gesicht“ gegeben habe. Im Einzelnen handele es sich bei diesem lateinischen Erbe um die mit der Spätantike einsetzende Prägung durch die lateinische Kirche, die lateinische Schrift und das lateinische Recht. 

Für Europa und seine Ideengeschichte sei das lateinische Christentum mit der lateinischen Kirche die „geistige Mutter“. Und der Theologe bleibt im Bild, wenn er ausführt, man könne die Mutter lieben und ehren oder sich distanzieren und abschwören, aber los werde man sie letztendlich nicht.

Auf eine Vielzahl dieser geistig-kulturellen Fundamente, die man sich nur äußerst selten vergegenwärtigt, verweist „Das lateinische Gesicht Europas“. Da wäre die Sache mit der Zeitvorstellung. Das Christentum sei es gewesen, das die damals gängige Überzeugung abgelöst habe, der sich wiederholende Kreislauf sei eine feste Ordnung. Die vorherige Auffassung, eine stehende Vergangenheit sei lediglich zu bewahren und das Alte sei vor – als ausschließlich negativ betrachteter – Veränderung zu schützen, werde bis heute vom orthodoxen Islam vertreten. 

Das Christentum hingegen setze auf eine gute Zukunft, zum Ausdruck gebracht werde dies etwa im Adventszyklus, der im Jahr 490 erstmals gefeiert wurde. Nach Richert wird der Advent in seiner Wirkungsgeschichte oft unterschätzt. Die Idee, dass sich Bestehendes in künftig Besseres wandeln lässt, könne als geistiger Ursprung „für die so typisch westliche Sozialkritik“ bezeichnet werden, auch wenn der Begriff selbst erst wesentlich später entstanden sei. Als „Entdecker“ der „linearen, unaufhaltsam fließenden Zeit“ gelte der Kirchenvater Augustinus, ebenso gehe auf ihn das Bewusstsein der Existenz des Entwicklungsabschnittes „Kindheit“ zurück sowie die „psychologische Erschließung des Ichs“. Das lineare Zeitverständnis sei auch Voraussetzung für den neuzeitlichen Geschichts- und Fortschrittsbegriff. 

Unterschied zur islamischen Kultur

Der spätantike Gelehrte Boethius führte den Begriff des Abstrakten ein und vor allem den der „Person als Bezeichnung für die Würde des Menschen“. Dieser Würdebegriff habe sich nur dort durchgesetzt, wo „das lateinische Christentum die beherrschende Kultur war und ist“. Die Universität sei „eine Erfindung aus dem Geist der lateinischen Kirche par excellence“. 

Der mittelalterliche Scholastiker Thomas von Aquin habe die Kategorien Glaube und Vernunft „miteinander ins Gespräch“ gebracht. Verbunden mit Martin Luther und mit der Reformation sei der Gedanke, dass es jedem einzelnen möglich sei, sich auf die Freiheit des Gewissens zu berufen. Gewissen wiederum führe in Verantwortung. Die Beichte, so Richert, könne „als Geburtsort des Individuums verstanden werden“.

Das Heimatstiftende der Schrift, für Europa der lateinischen Schrift, ist nach Richert von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Die Zehn Gebote zählten zum „sittlichen Grundbestand Europas“. Dass einmal geschlossene Verträge einzuhalten sind, sei „ein Grundstein der europäischen Rechtskultur“. Hier bestehe ein wesentlicher Unterschied zur islamischen Kultur, dort sei das ethische Maß zur Einhaltung eines Vertrages „primär der Nutzen für den Islam“. 

Der Ewige Landfrieden, verkündet 1495 unter Maximilian I., sei ein Meilenstein auf dem Weg zum Gewaltmonopol des Staates gewesen. Diese Idee habe sich „nur im christlich geprägten Kulturkreis Europas“ durchgesetzt. Ein weiterer Strang ist laut Richert die geistesgeschichtliche Entwicklung über den Humanismus, verbunden mit der Idee der gegenseitigen Anerkennung, der Einsicht, auch der Andere könne recht haben. „Diese Einsicht aber ist die Grundvoraussetzung für die in Europa viel gepriesene Toleranz, eine Haltung, die dem Islam völlig fremd, ja zuwiderlaufend ist.“ Ebenso sei die Aufklärung eine „rein europäische Geistes- und Bildungsgeschichte“, die „dem mündigen Menschen, der aufgeklärten Vernunft, der Religionsfreiheit und dem weltanschaulich neutralen Staat das Wort redet“. 

Das Gesicht Europas, so Richert, leuchte jedem freundlich entgegen, der seine Kulturgeschichte, Traditionen, sein Recht, seine Sitten und seine „lateinische Prägung“ respektiere. Sein Buch ist aber vor allem ein starkes Plädoyer für die dringend nötige Rückbesinnung Europas auf das Eigene. Man darf auch ruhig das Wort „Leitkultur“ verwenden.