26.04.2024

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Folge 20-21 vom 21. Mai 2021 / Ostpreußische Museumsstücke / Eine Flüchtlingskarriere in Lüneburg / Die Spedition Max Herzke steht stellvertretend für den beruflichen Wiederaufstiegswillen nach dem Zweiten Weltkrieg

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-21 vom 21. Mai 2021

Ostpreußische Museumsstücke
Eine Flüchtlingskarriere in Lüneburg
Die Spedition Max Herzke steht stellvertretend für den beruflichen Wiederaufstiegswillen nach dem Zweiten Weltkrieg
Eike Eckert

Die Bevölkerungszahl der Stadt Lüneburg stieg nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gegenüber der Vorkriegsbevölkerung um mehr als ein Drittel an. Das lag auch an den vielen Flüchtlingen und Vertriebenen, die in der Lüneburger Heide angelangt waren, und die sich hier unter schwierigsten Bedingungen eine neue Existenz aufzubauen versuchten. Das Modellauto der Lüneburger Möbelspedition Max Herzke ist im Ostpreußischen Landesmuseum stellvertretend für einen beruflichen Wiederaufstieg in dieser Region ausgestellt.

Das metallene Modellauto, wohl in den 50er Jahren von der Firma GAMA Blechspielzeuge gefertigt, stellt einen Möbeltransporter mit Unterflurmotor dar. Auf der Frontpartie sind neben dem „A“ für „Ackermann-Aufbau“ die Farben blau-beige und das Firmensymbol – ein rotes Herz mit den Initialen MH – Max Herzke zu erkennen. Die echten Fahrzeug-Vorbilder für die Modelle wurden vor allen Dingen in Niedersachsen von dem Braunschweiger Automobilhersteller Büssing hergestellt.

Herzke beliebt durch Möbelrettung

Der Firmengründer Max Herzke stammte aus Bromberg in der preußischen Provinz Posen. Infolge des Versailler Vertrages wurde seine Heimatstadt 1919 vom Deutschen Reich abgetrennt und an das wieder gegründete Polen abgetreten. 1928 übernahm Max Herzke dort eine bestehende Spedition. Seine Firma verfügte zeitweilig über 30 Angestellte, 25 Pferde und 36 Wagen, und seine Aufträge führten ihn bis nach Ostpreußen.

Am 21. Januar 1945 musste Max Herzke mit seiner Familie seine Heimat verlassen. Nach knapp zwei Monaten Flucht erreichte Familie Herzke mit nur noch vier Pferden und zwei Wagen im März 1945 Lüneburg. Als Spediteur führte Herzke übrigens den Haushalt von 16 anderen Flüchtlingsfamilien während der Flucht mit sich. Trotz großer Wohnungsnot kam die Familie zunächst bei 

Verwandten in Lüneburg unter. Diese Wohnung wurde jedoch von der britischen Besatzungsmacht requiriert. Die Familie lebte daraufhin für Monate 

im geliehenen Möbelwagen eines Kollegen, ehe sie im Dezember 1945 erstmals ein eigenes Zimmer zugewiesen bekamen.

Die Zerstörung des Lüneburger Wasserwerkes verhalf dem Spediteur zu ersten Aufträgen: Mit seinem Fuhrwerk lieferte er Wasser aus. Bekannt und beliebt machte ihn bei der Lüneburger Bevölkerung, dass er dieser in einer Nacht- und Nebelaktionen half, ihre Möbel aus den vom britischen Militär besetzten Wohnungen zu transportieren. In den 50er Jahren machte die Firma Umzüge für Flüchtlinge und ausgebombte Hamburger, die aus ihren notdürftigen Unterkünften in andere Teile des Bundesgebietes umzogen, wie zum Beispiel in die Nähe des VW-Werkes in Wolfsburg, wo sie Anstellung und Wohnung gefunden hatten.

Herzke lebte sieben Jahre ohne eigenen festen Wohnsitz in der alten Salzstadt Lüneburg, ehe er 1952 ein Pfarrhaus als Firmen- und Wohnsitz erwarb. Nach seinem Tod 1966 übernahmen seine beiden Töchter – selbst Speditionskauffrauen – das Unternehmen und führten es erfolgreich weiter, ehe es 2003 durch die letzte Eigentümerin Ursula Gohr-Herzke stillgelegt und die Möbelwagen verkauft wurden.

Die letzten Besitzer des Traditionsunternehmens Herzke – Flüchtlingskinder – fühlten sich heimisch in der Stadt und sind nach eigenem Bekunden echte Lüneburger geworden. Herzke konnte anders als viele andere Flüchtlinge in seinem angestammten Beruf weiterarbeiten. Andere, etwa die meisten Landwirte, mussten umsatteln. Viele wechselten in das aufblühende Dienstleistungsgewerbe. Der Grundstein der heute so lebendigen, bei Touristen beliebten, rasch wachsenden Hanse -, Universitäts- und Kulturstadt wurde nicht unerheblich durch die damaligen wiederaufstiegswilligen Flüchtlingsfamilien gelegt.

Dr. Eike Eckert ist Kurator und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Ostpreußischen Landesmuseum mit Deutschbaltischer Abteilung. 

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