19.04.2024

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Folge 21-21 vom 28. Mai 2021 / Wilhelm II. / Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte / Mit dem letzten Deutschen Kaiser und König von Preußen starb vor 80 Jahren ein widersprüchlicher Herrscher, der nicht selten an politischen Realitäten scheiterte, ohne dass dieses Scheitern ausschließlich aus eigenen Unzulänglichkeiten resultiert hätte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-21 vom 28. Mai 2021

Wilhelm II.
Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte
Mit dem letzten Deutschen Kaiser und König von Preußen starb vor 80 Jahren ein widersprüchlicher Herrscher, der nicht selten an politischen Realitäten scheiterte, ohne dass dieses Scheitern ausschließlich aus eigenen Unzulänglichkeiten resultiert hätte
Wolfgang Kaufmann

Wilhelm II. war von 1888 bis 1918 Deutscher Kaiser und König von Preußen. Nach seiner Abdankung im Zuge der Novemberrevolution ging er ins Exil in die Niederlande, wo ihm Königin Wilhelmina Asyl gewährte und damit seine von den Siegermächten des Ersten Weltkrieges geforderte Auslieferung als Kriegsverbrecher verhinderte. Im niederländischen Exil verstarb der damals 82-jährige Hohenzoller am 4. Juni 1941 in Doorn bei Utrecht, ohne jemals wieder deutschen Boden betreten zu haben.

Wilhelm II. gab einer Epoche ihren Namen. Ob die wilhelminische Zeit eher positiv oder negativ zu bewerten ist und welche Rolle der Kaiser persönlich gespielt hat, darüber herrscht 80 Jahre nach seinem Tod kein Konsens. 

Anfänglich ging die Tendenz eindeutig in Richtung oberflächlicher Dämonisierung und gezielter Verächtlichmachung. So wurde Wilhelm als diabolischer Kriegstreiber mit schnoddrig-großspurigem Auftreten und einem kindlichen Faible für Uniformen hingestellt. Oder als Kleingeist, der keine Menschen von Format um sich herum habe ertragen können und das Deutsche Reich durch sein „persönliches Regiment“ in den Ruin geführt habe. 

Diese Sichtweise findet sich in etwas abgeschwächter Form auch in neueren Veröffentlichungen wie beispielsweise der 1993 bis 2008 in München bei Beck erstmals erschienenen dreibändigen Biographie „Wilhelm II“ des britischen Historikers John C. G. Röhl. 

Daneben kamen und kommen noch immer tatsächliche oder vermeintliche Experten zu Wort, die Wilhelm II. allerlei seelische Gebrechen andichten. Das begann mit dem 1856 bis 1926 lebenden prominenten Psychiater Emil Kraepelin, der ohne jedweden persönlichen Kontakt zu Wilhelm von einem „typischen Fall periodischen Gestörtseins“ fabulierte, bis wiederum hin zu Röhl, in dessen Werk es von pejorativen Floskeln wie „manisch“, „paranoid“, „wahnhaft“, „narzisstisch“ und „pathologisch“ nur so wimmelt. 

Mancherlei Schwächen

Doch damit nicht genug. Um Wilhelm II. und damit indirekt auch das Kaiserreich weiter zu diskreditieren, traten Röhl und Wolfgang Benz auch noch mit der These an die Öffentlichkeit, dass der Kaiser eine ausgeprägt judenfeindliche Einstellung an den Tag gelegt und antisemitische Äußerungen getätigt habe, die sich kaum von den Tiraden der Nationalsozialisten unterschieden hätten. Tatsächlich pflegte Wilhelm aber enge und freundschaftliche Kontakte zu vielen prominenten Juden, für die der Zionist Chaim Weizmann die verächtliche Bezeichnung „Kaiserjuden“ prägte. Darüber hinaus nannte der gestürzte Monarch die Ausschreitungen während der sogenannten Reichskristallnacht im November 1939 eine Schande für Deutschland.

Und auch sonst war Wilhelm II. mit Sicherheit kein NS-Sympathisant oder gar „Vorbote Hitlers“, wie der Publizist und Historiker Volker Ullrich 2008 in einer Rezension des dritten Bandes von Röhls Biographie unterstellt hat. Zwar gratulierte er dem „Führer“ und „der gesamten deutschen Wehrmacht“ am 17. Juni 1940 zum Sieg über Frankreich, äußerte aber bei anderer Gelegenheit, man werde die Hakenkreuzfahne „noch einmal verfluchen, und die Deutschen selber werden sie eines Tages verbrennen“. Deswegen untersagte der Ex-Kaiser auch das Zeigen von Flaggen während seiner Beisetzung, um zu verhindern, dass sich solche mit NS-Symbolik darunter mischten. Adolf Hitler vergalt ihm diese Haltung mit der Abriegelung des Anwesens in Doorn ab Mai 1940 und dem Verbot jeglicher Trauerfeiern im Reich nach Wilhelms Tod. 

Fakt ist, dass Wilhelm mancherlei Schwächen besaß. So offenbarte der Erste Weltkrieg die gravierende strategische und taktische Unfähigkeit des angeblichen „Militaristen“. Sein hilfloses Agieren ab August 1914 führte schließlich dazu, dass die Oberste Heeresleitung eine „stille Diktatur“ errichten konnte. Deswegen wurde dem Kaiser auch keine nennenswerte Richtlinienkompetenz bei der Formulierung der Kriegsziele des Deutschen Reiches zugebilligt.

Politische und sonstige Leistungen

Ebenso schlecht bestellt war es um Wilhelms Position auf dem Gebiet der Außenpolitik. Der Monarch neigte zu kolonialen Abenteuern und brüskierte Großbritannien und Frankreich. Die Richtlinien der Außenpolitik bestimmte er indes nicht. Ein starker Kaiser hätte es vermocht, die Außen-, Rüstungs- und Militärpolitik Deutschlands zu koordinieren, so jedoch arbeiteten die zivile Reichsleitung und die Militärführung mehr gegen- als miteinander. Dadurch entstanden allerlei außenpolitische Probleme, die vermeidbar gewesen wären. Kompetentere Berater hätten hier viel Unheil verhindern können, allerdings bewies Wilhelm II. im Laufe der Zeit zunehmend eine unglückliche Hand bei der Auswahl seiner Vertrauenspersonen. Auch wenn die kaiserliche Rhetorik oft martialisch wirkte, verkörperte der Kaiser keineswegs den Typus des willentlichen Kriegstreibers.

Im Gegensatz zu Wilhelms Schwächen und Fehlern wurden seine politischen und sonstigen Leistungen weitgehend totgeschwiegen. An Leistungen des Monarchen und des nach ihm benannten Wilhelminismus sind zu nennen: die massive Förderung des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts, der Deutschland einen gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung bescherte, die für die damalige Zeit äußerst moderne Sozial- und Steuerpolitik, der teilweise durchaus gelungene Ausgleich zwischen den verschiedenen ethnischen und politischen Gruppierungen im Reich sowie die Beendigung des unter Reichskanzler Otto von Bismarck eskalierten Kulturkampfes zwischen Staat und Kirche, die Inangriffnahme von richtungsweisenden Bauprojekten und ein breit aufgestelltes Kulturleben. Das haben bisher nur wenige Geschichtswissenschaftler explizit hervorgehoben, zu denen beispielsweise der PAZ-Autor Eberhard Straub gehört.

Ähnlich den meisten anderen damaligen Monarchen war Wilhelm II. letztlich ein widersprüchlicher Herrscher, der nicht selten an politischen Realitäten scheiterte, ohne dass dieses Scheitern ausschließlich aus eigenen Unzulänglichkeiten resultiert hätte. So lautet auch das Fazit des australischen Historikers Christopher Clark, der zugleich davor warnt, Wilhelm zur Symbolfigur für etwas zu machen, „das über seine Person hinausreicht und größer ist als er selbst“.






Prominente Wissenschaftler, die Wilhelm II. kritisierten

Der in London geborene Sohn eines Deutschen und einer Engländerin John C. G. Röhl machte mit der These vom „Persönlichen Regiment“ Wilhelms II. Furore

Der deutsche Psychologe und Zeitgenosse Wilhelms II. Emil Kraepelin war Hochschullehrer an den Universitäten Dorpat, Heidelberg und München

Wolfgang Benz lehrte von 1990 bis 2011 an der Technischen Universität Berlin und leitete das zugehörige Zentrum für Antisemitismusforschung