26.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 21-21 vom 28. Mai 2021 / Eine Außergewöhnliche Persönlichkeit / Ré Soupault – vielseitige Avantgarde-Künstlerin / Stationen: Bublitz – Weimar – Berlin – Tunis – Paris – New York – Basel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-21 vom 28. Mai 2021

Eine Außergewöhnliche Persönlichkeit
Ré Soupault – vielseitige Avantgarde-Künstlerin
Stationen: Bublitz – Weimar – Berlin – Tunis – Paris – New York – Basel
Brigitte Stramm

Ré Soupault wurde am 29. Oktober 1901 als Meta Erna Niemeyer in Bublitz in Pommern geboren. Ihre Eltern waren Bertha Marie Auguste Niemeyer, geborene Hensel, und der Metzger und Pferdezüchter Friedrich Carl Richard Niemeyer. Sie wuchs mit sieben älteren Geschwistern auf, besuchte das Lyzeum in Kolberg. Durch ihre Zeichenlehrerin erfuhr sie vom Bauhaus-Manifest von Walter Gropius. Das Konzept faszinierte sie. Sie schrieb: 

„Da war eine Idee, mehr noch ein Ideal: keinen Unterschied mehr von Handwerkern und Künstlern. Alle zusammen in einer neuen Gemeinschaft sollten wir die Kathedrale der Zukunft bauen. Da wollte ich mitmachen.“ 

Sie schrieb sich 1921 am Bauhaus in Weimar ein, wovon ihre Eltern nicht begeistert waren, nahm Unterricht auch bei Walter Gropius, Johannes Itten, Wassily Kandinsky und Paul Klee. Itten beeindruckte sie ganz besonders, sie schrieb: „Und bei Itten geschah etwas, was uns befreite. Wir lernten nicht malen, sondern lernten neu sehen, neu denken und zugleich lernten wir uns selber kennen.“ Die persische Mazdaznan-Lehre, die er lehrte, interessierte sie so sehr, dass sie nebenbei zwei Semester Sanskrit in Jena studierte.

1922 schuf sie Webereien in abstrakten Farbkompositionen. In ihre Teppiche knüpfte sie Sanskrit-Weisheiten ein. Ihre Arbeiten wurden auf der ersten Bauhausausstellung von 1923 in Weimar ausgestellt und verkauft. Das Bauhaus betrachtete sie als ihre „geistige Familie“.

Der weitere Weg führte sie nach Berlin. Dort arbeitete sie als Modejournalistin und ging 1929 als Modekorrespondentin nach Paris. Bald gehörten Modeschöpfer, Fotografen, Maler und Schauspieler zu ihren Freunden. 1931 gründete sie ein eigenes Modeatelier, nannte sich jetzt Ré. Die Innenräume richtete sie selber ein, gestaltete die Räumlichkeiten ganz in weiß. Der berühmte Architekt Mies van der Rohe dekorierte das Atelier mit von ihm entworfenen Möbeln.

Sie entwarf Mode für den zeitgenössischen Typ der „Neuen Frau“, den sie selbst verkörperte, die sich schick und gleichzeitig praktisch und bequem kleiden wollte. Sie erfand unter anderem das zeitlose „Transformationskleid“. Es war schlicht geschnitten und konnte mittels einer Vielzahl von Accessoires von einem Alltags- bis hin zum bodenlangen Abendkleid mit Cape verwandelt werden. Ihr spielerischer Umgang mit der Farben- und Formlehre des Bauhauses zeigten, dass sie von der Idee stark geprägt war. 

Mit ihren Prêt-à-Porter-Kreationen revolutionierte sie die Pariser Modeszene und galt als neuer Star. Ihre Kollektionen wurden in Warenhäusern verkauft, dazu gehörte auch avantgardistischer Schmuck. Ihr Transformationskleid, auch heute tragbar und aktuell, ein Entwurf von 1930, wurde 2010 nachgeschneidert vom Kostümatelier des Nationaltheaters Mannheim und konnte in einer Ausstellung bewundert werden.

Nach einer kurzen Ehe mit dem dadaistischen Maler und Filmemacher Hans Richter, traf sie 1933 Philippe Soupault in der sowjetischen Botschaft in Paris beim Empfang zur Feier der Oktoberrevolution. Er galt seit Ende der 1920er Jahre als einer der wichtigsten Journalisten Frankreichs. Nachdem sie ihr Modestudio aufgegeben hatte, unternahm sie mit ihm Reportagereisen durch viele Länder Europas und nach Nordafrika. Sie arbeitete jetzt als Fotografin und illustrierte seine Dokumentationen. 1937 heirateten sie. 1938 zog das Ehepaar Soupault nach Tunesien. Philippe Soupault baute dort die antifaschistische Radiostation Radio Tunis auf. Ré Soupault verfasste Reportagen für zahlreiche Zeitschriften. Sie fotografierte Auswanderer, Pilger, Nomaden und im Palast des tunesischen Monarchen. 

Es entstanden auch Selbstporträts. Sie setzte sich mit der Rolle der Frau in der islamischen Welt auseinander und erfuhr von der Existenz des „Quartier réservé“ in Tunis, einem geschlossenen Bezirk, in den von ihren Familien und der Gesellschaft verstoßene Frauen abgeschoben wurden und wo Prostitution ihr einziger Broterwerb war. Sie durfte für zwei Tage in Begleitung eines örtlichen Polizisten dieses Viertel aufsuchen, porträtierte dort Frauen in fast leeren Zimmern und fing deren Blicke ein. Es blieben die einzigen Fotos, die dort je gemacht wurden.

Kriegsbedingt mussten sie Tunis verlassen und flohen nach Algerien, von dort führte ihr Weg sie nach New York. 1945 trennten sie sich. Ré blieb in New York. Max Ernst überließ ihr sein Studio. Sie schrieb und fotografierte Reisereportagen für den International Digest und das Travel-Magazin. 1946 kehrte sie nach Paris zurück. Später fanden sie und ihr Mann wieder zusammen.

Ihre letzte eindrucksvolle und sensible Fotoreportage machte sie 1950 in Westdeutschland über Flüchtlinge und Vertriebene aus den Ostgebieten. Dafür reiste sie drei Wochen durch Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Zahlreiche Veröffentlichungen von ihr und über sie und diverse Ausstellungen halten ihre außergewöhnliche Lebensleistung fest. 

1990 verstarb ihr Mann. Sie lebte zurückgezogen in einem kleinen Apartment am Bois de Boulogne, arbeitete an ihrem Tagebuch und starb am 12. März 1996 in Versailles, auf den Tag genau sechs Jahre nach ihrem Mann. Sie wurde in seinem Grab auf dem Friedhof Montmartre beerdigt.

b Info Ausstellung und Begleitveranstaltungen in der Universitätsbibliothek Basel vom 21. Mai bis 15. September 2021. In dem Programm zur Ausstellung liest man: Ré Soupault „Es war höchste Zeit ...“ Nach Jahren des Exils arbeitet sie als Übersetzerin und Radioessayistin in Basel und Paris. In ihrem Leben spiegeln sich exemplarisch die Schwierigkeiten einer nach Unabhängigkeit strebenden Frau im 20. Jahrhundert, ebenso wie die politischen Verwerfungen der Epoche. Die Ausstellung folgt den zentralen Bereichen von Ré Soupaults Leben und Schaffen. Ein Hauptgewicht wird auf die Lebensumstände ihrer Basler Jahre von 1948 bis 1958 gelegt. Eine besondere Rolle spielte dabei die Universitätsbibliothek als Aufbewahrungsort wertvoller Manuskripte von Romain Rolland. www.ub.unibas.ch.

Die Begleitpublikation zur Ausstellung in der Universitätsbibliothek Basel ist beim Verlag Das Wunderhorn erschienen, Heidelberg 2021, gebunden, 120 Seiten, 20 Euro. www.wunderhorn.de