19.04.2024

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Folge 22-21 vom 04. Juni 2021 / Luftfahrt / „Also der Westen liefert immer das Beispiel und der Osten zieht nach“ / Wiederholt haben die USA Passagierflugzeuge zur Landung gezwungen, um Insassen habhaft zu werden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-21 vom 04. Juni 2021

Luftfahrt
„Also der Westen liefert immer das Beispiel und der Osten zieht nach“
Wiederholt haben die USA Passagierflugzeuge zur Landung gezwungen, um Insassen habhaft zu werden
Manurel Ruoff

Die westliche Wertegemeinschaft echauffiert sich über Weißrussland. Das Land habe sich einer Flugzeugentführung, der Piraterie schuldig gemacht. Weißrussland bestreitet das. Nicht zu bestreiten ist hingegen, dass sich die Führungsmacht der westlichen Welt, die USA, dieser Art Völkerrechtsverletzung schuldig gemacht hat, übrigens ohne, dass die westliche Welt deshalb Sanktionen gegen die USA das Wort geredet hätte.

Erinnert sei an das Jahr 1985. Am 7. Oktober jenes Jahres wurde im Mittelmeer das Kreuzfahrtschiff „Achille Lauro“ von vier Angehörigen der Palästinensischen Befreiungsfront entführt. Es handelte sich um ein italienisches Schiff, und die 350-köpfige Besatzung bestand hauptsächlich aus Italienern und Portugiesen. Unter den 680 Passagieren hatten vor allem die US-amerikanischen zu leiden. Die Entführer drohten nämlich damit, mit den US-Amerikanern anzufangen, wenn sie damit beginnen, die Passagiere einen nach dem anderen zu töten, bis Israel 50 inhaftierte Gesinnungsgenossen freilässt. Letztlich war das einzige Todesopfer tatsächlich ein US-Amerikaner, der Passager jüdischer Abstammung Leon Klinghoffer.

Gegen den Willen der US-Regierung, aber mit Billigung der italienischen fuhr das Schiff schließlich nach Port Said, wo es der ägyptischen Regierung gelang, die Entführung auf dem Verhandlungsweg unblutig zu beenden. Die Entführer ließen ihre Geiseln mit Ausnahme von Klinghoffer, den sie bereits vor jenen Verhandlungen getötet hatten, frei gegen freien Abzug in ein Land ihrer Wahl. 

1985 setzten die USA vier F-14 ein

Die USA, die schon damals nicht nur ihre Feinde ausspionierten, hörten ein Gespräch des ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak ab, in dem den Entführern ein Flug nach Algier zugesichert wurde. Tatsächlich verließ am 11. Oktober 1985 eine ägyptische Passagiermaschine vom Typ Boeing 737 mit den Entführern und anderen Passagieren Ägypten Richtung Algier. Doch kam sie dort nicht an. Sie wurde vielmehr von vier US-amerikanischen Jagdflugzeugen des Typs Grumman F-14 „Tomcat“ des im Mittelmeer liegenden Flugzeugträgers „Saratoga“ entführt. Diese Entführung fand nicht – wie man es nun Weißrussland vorwirft – im eigenen, sondern unweit Kreta im internationalen Luftraum statt. Die Passagiermaschine musste Kurs nehmen auf den NATO-Luftwaffenstützpunkt Sigonella nahe der sizilianischen Stadt Catania. Anschließend zwangen die US-Amerikaner die Ägypter zur Landung. Dabei sollen die US-Kriegsflugzeuge mit dem ägyptischen Flieger durchaus rüde umgegangen sein. Stolz erzählte ein US-Offizier: „Das war ungeheuer eindrucksvoll, sie haben ihn heruntergezwungen, sie haben ihn durcheinandergerüttelt, mit wilden Bewegungen rauf und runter.“

2013 war Edward Snowden das Ziel

Parallel zu dieser Aktion waren ohne vorherige Absprache mit der italienischen Regierung zwei US-amerikanische Transportmaschinen mit 50 Angehörigen der US-Spezialeinheit „Delta Force“ auf dem sizilianischen NATO-Stützpunkt gelandet. Diese Elitesoldaten umzingelten die ägyptische Maschine nach deren Landung, um so deren Insassen in ihre Gewalt zu bringen. 

Die US-Politik zeigte sich parteiübergreifend begeistert. „Ich bin absolut begeistert, dass sich die Regierung zu diesem Schritt entschlossen hat“, kommentierte der vormalige US-Außenminister Henry Kissinger die Aktion. Der vormalige US-Präsident von den Demokraten Jimmy Carter lobte: „Wir haben gute Arbeit geleistet.“ Und der Abgeordnete des Repräsentantenhauses Bob Dornan bezeichnete jenen 11. Oktober 1985, also den Tattag, als „glorreichen Tag in Amerikas Geschichte“. Dabei kam selbst das bundesrepublikanische Leitmedium „Der Spiegel“ damals nicht umhin, von einem Verstoß gegen das Völkerrecht zu sprechen, von einem Verstoß „gegen die ,Überflugfreiheit‘, die jedes Luftverkehrsfahrzeug über dem offenen Meer genießt“.

Italien, auf dessen Territorium sich der NATO-Stützpunkt Sigonella befand, stand nun vor der Frage, wie es reagieren sollte. Es konnte sich passiv verhalten und wegschauen und damit dem Völkerrechtsverstoß zum Erfolg verhelfen oder aber sich wie ein souveräner Staat verhalten. Obwohl Mitglied der US-geführten NATO entschied sich das Land gegen die erstgenannte Möglichkeit. Soldaten der italienischen Luftstreitkräfte und Carabinieri mit schwerem Gerät  bildeten nun ihrerseits einen Ring um die ägyptische Maschine, hielten ihre US-amerikanischen Kameraden in Schach und schützten so die Araber vor einem US-amerikanischen Zugriff. Auf eigenem Boden setzten sich die Italiener schließlich gegen die US-Amerikaner durch. Die Delta-Force-Angehörigen räumten das Feld. Ein Teilerfolg war den USA zumindest insofern beschieden, als sich ihre Gegner nun in der Hand ihrer italienischen NATO-Verbündeten befanden.

Nun mag man vom Gebiet des Völkerrechts auf das der politischen Moral wechseln und argumentieren, das damalige Verhalten der USA sei zwar ein Völkerrechtsverstoß gewesen, aber der Zweck heilige die Mittel und es sei zwar nicht legal, aber legitim ein Passagierflugzeug zur Landung zu zwingen, wenn es nicht darum gehe eines weißrussischen Dissidenten, Journalisten, Bloggers und Oppositions-Aktivisten wie Roman Protasewitsch habhaft zu werden, sondern arabischer Geiselnehmer. 

Allerdings haben die USA Passagierflugzeuge nicht nur zur Landung gezwungen, um Geiselnehmer in die Finger zu bekommen, sondern auch um Edward Snowden in ihre Gewalt zu bringen. Und der verdient als Whistleblower sicherlich nicht weniger Solidarität als der Oppositionelle Protasewitsch. 

2013 zwangen die USA die bolivianische Präsidentenmaschine zur Landung in Wien, damit sie dort nach Snowden durchsucht werden konnte. Dass Snowden – anders als nun Protasewitsch – nicht verhaftet wurde, lag weniger daran, dass sich die USA damals legaler oder legitimer verhalten hätten als nun Weißrussland, als vielmehr daran, dass Snowden im Gegensatz zu Protasewitsch nicht in der zur Landung gezwungenen Maschine saß.