26.04.2024

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Folge 24-21 vom 18. Juni 2021 / Technischer fortschritt / Chinas Autohersteller haben die Nase vorn / Verzahnung von Startup-Unternehmen mit flexiblen Industriekonzernen verschaffen dem Reich der Mitte gute Wettbewerbspositionen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-21 vom 18. Juni 2021

Technischer fortschritt
Chinas Autohersteller haben die Nase vorn
Verzahnung von Startup-Unternehmen mit flexiblen Industriekonzernen verschaffen dem Reich der Mitte gute Wettbewerbspositionen
Wolfgang Kaufmann

Noch kaufen die Chinesen bevorzugt ausländische Autos. Deshalb haben die deutschen Hersteller bislang auch keine Absatzprobleme im Reich der Mitte – ganz im Gegenteil: 2020 veräußerten VW, Daimler und BMW 14,16 Millionen Neuwagen weltweit. Davon gingen 5,4 Millionen beziehungsweise 38,2 Prozent in die Volksrepublik. Gleichzeitig tut sich in der umgekehrten Richtung nicht viel. Zwar drängen nun einige chinesische Hersteller wie Maxus, Aiways, BAIC, DFSK, FAW, MG und Lynk auf den Markt hierzulande, doch bleibt die Zahl der Interessenten recht überschaubar: Die Verkäufe liegen meist nur im dreistelligen Bereich. Dies kann sich jedoch bald ändern. Das liegt zum einen an den günstigen Preisen in Verbindung mit neuartigen Verkaufskonzepten.

So bietet Lynk sein kompaktes Sports Utility Vehicle (SUV) namens 01 mit 140 PS (Hybrid) oder 180 PS (Plug-in-Hybrid) nicht nur zum Kauf, sondern auch im Abonnement an: In der Gebühr von 500 Euro pro Monat sind dabei neben der Fahrzeugnutzung zugleich noch Versicherung, Steuern und Wartung enthalten. Außerdem können die Abonnenten ihr Fahrzeug mit anderen Kunden teilen und so Geld verdienen. 

Aiways wiederum gibt Interessenten an seinem Elektro-SUV-Modell U5 mit 204 PS die Möglichkeit, das Auto zunächst bei dem Elektronik-Händler Euronics Probe zu fahren und dort auch nach dem Online-Kauf abzuholen. Damit spart sich Aiways den Aufbau eines Vertriebsnetzes hierzulande – und der daraus resultierende Preisvorteil kommt den Kunden zugute. Inspektionen und Reparaturen sind ebenfalls problemlos möglich. Hierfür steht nunmehr die Werkstattkette Auto-Teile-Unger (ATU) bereit. Nach Ansicht des Aiways-Firmengründers Fu Qiang reicht dies völlig aus: „Genügend Standorte in Deutschland hat ATU. Die brauchen auch keine neue Ausrüstung oder neue Mechaniker für unsere Autos. Das einzige, was sie brauchen, ist die genaue Anleitung, wie unseren Autos gewartet werden.“

Dass die chinesischen Autohersteller vor allem auf sogenannte New Energy Vehicles (NEV) setzen, also Elektro- und Hybrid- sowie auch Brennstoffzellen-Fahrzeuge, hat mit der geringeren ausländischen Konkurrenz zu tun. Außerdem spielen im Reich der Mitte die sogenannten Total Costs of Ownership (Gesamtkosten des Betriebs) eine wichtige Rolle: Wenn der Staat die alternative Mobilität finanziell fördert und zugleich die Nutzung von Verbrennungsmotoren erschwert oder verteuert, dann sind NEV auf längere Sicht die zukunftsträchtigere Lösung.

Zum anderen besitzt die chinesische Autoindustrie ein weiteres großes Plus, welches der ausländischen und somit auch der deutschen Konkurrenz bald tiefe Sorgenfalten ins Gesicht graben dürfte. Das ist ihre exorbitante technische Innovationsfähigkeit im Verein mit der blitzschnellen Überführung von Neuerungen in die Massenproduktion. Dies wird unter anderem bei der Fortentwicklung des autonomen Fahrens deutlich. Dem Telekommunikationsausrüster und Hardware-Hersteller Huawei gelang es in Windeseile, ein Betriebssystem zu entwickeln, welches in dem von der Beijing Automotive Group (BAIC) hergestellten Elektroauto Arcfox Alpha S zum Einsatz kommt und das später auch die Unternehmen Chongqing Changan Automobile und Guangzhou Automobile Group Co. (GAC) nutzen wollen. Die Software erlaubt das sichere teilautonome Fahren auf der Autobahn und in der Stadt, dazu kommt eine vollautomatische Parkfunktion. Zum Vergleich: Der US-amerikanische iPhone-Hersteller und Huawei-Konkurrent Apple möchte ebenfalls Lösungen für das selbstständige Fahren anbieten, hat aber bislang noch nicht einmal einen Partner unter den Autoherstellern gefunden.

Weitere Innovationstreiber innerhalb der chinesischen Fahrzeugbranche sind Pony.ai und Horizon Robotics. Das erstgenannte Unternehmen wurde 2016 gegründet und konnte seither schon 1,1 Milliarden US-Dollar Kapital einsammeln. Damit stellte es eine Robotertaxi-Flotte in Guangzhou in Dienst. Mittlerweile kooperiert Pony.ai auch mit dem Automobilhersteller GAC. Und Horizon Robotics, ein Startup, das seit 2015 existiert und bislang 1,6 Milliarden US-Dollar an Investmentgeldern ergatterte, liefert spezialisierte Künstliche-Intelligenz-Systeme wie „Journey 3“ für das autonome Fahren, die inzwischen ebenfalls von Großkunden wie GAC und der BYD Auto Company verwendet werden.

Die ausgesprochen zeitige Verzahnung von erst kürzlich gegründeten Unternehmen, welche neue Ideen entwickeln und zur Anwendungsreife bringen, mit äußerst flexiblen und potenten Industriekonzernen, die sofort in großen Stückzahlen produzieren können, hat der chinesischen Autobranche inzwischen eine sehr vorteilhafte Wettbewerbsposition verschafft. Die Grundlagen hierfür sind die große Risikobereitschaft von Kapitalgebern sowie immense staatliche Investitionen in Bildung und Wissenschaft. Beides fehlt in Deutschland. Wenn sich daran nichts ändert, droht der Automobilindustrie hierzulande über kurz oder lang der Absturz in die Zweitklassigkeit. Oder sie muss ihr Dasein künftig als verlängerte Werkbank von chinesischen Großunternehmen fristen.