18.04.2024

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Folge 24-21 vom 18. Juni 2021 / Esskultur / Die Zukunft liegt auf dem Teller / Die wachsende Erdbevölkerung zwingt zum Umdenken bei der Landwirtschaft – Wie produzieren und was essen wir morgen?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-21 vom 18. Juni 2021

Esskultur
Die Zukunft liegt auf dem Teller
Die wachsende Erdbevölkerung zwingt zum Umdenken bei der Landwirtschaft – Wie produzieren und was essen wir morgen?
Stephanie Sieckmann

Welche Vorteile hat Agroforstwirtschaft? Warum ist sogenanntes Crowd­farming sinnvoll? Wie erfolgversprechend ist der Anbau auf dem Dach? Und wie können nachhaltige Lebensmittel größere Verbreitung finden? Fragen wie diese sind bei einem Kongress zum Ernährungswandel beantwortet worden. Stattgefunden hat die Veranstaltung unter dem englischen Titel „Food System Change Congress“. Aufgrund der Corona-Pandemie nur online.

Die Aufnahme von Nahrung ist lebenswichtig. Wie der Mensch sich ernährt, ist dabei von vielen Faktoren abhängig. Das Ernährungsverhalten ist ein bio-psycho-sozio-kulturelles Phänomen. Und in der Tat sind es viele verschiedene Wissenschaftsrichtungen, die sich in ihrer Forschung mit unterschiedlichen Aspekten der Ernährung beschäftigen. 

Dabei geht es nicht immer nur darum, mit welchen Methoden die wachsende Bevölkerung auf der Erde langfristig ausreichend mit Lebensmitteln versorgt werden kann. Nahrung muss angebaut, geerntet und zum Verbraucher transportiert werden. Die Reste von Lebensmitteln und Verpackungen müssen entsorgt werden. Ökologisch sinnvolles Wirtschaften („Nachhaltigkeit“) spielt eine Rolle, ebenso die Auswirkungen eines intensiven Anbaus auf das Klima. Vorhandene sowie brachliegende Ressourcen und optimale Bodennutzung sind Themen, die seit Jahren immer wieder diskutiert werden.

Aspekte wie regionale Produktionssysteme bekommen deshalb wachsende Bedeutung. Fragen kommen auf, zum Beispiel wie Großstädte mit regionalen Produkten versorgt werden können. Aber auch wie man in der Bevölkerung Akzeptanz für neue Systeme schafft? Lösungsansätze für derartige Problemstellungen gibt es in manchen Fällen bereits. Doch in der Regel sind es kleine Projekte. 

Der erste Food System Change Con­gress, ins Leben gerufen von den Machern der Internetplattform ernaehrungswandel.org und des Dresdener Vereins NAHhaft, lieferte ein Gesprächsforum sowohl für die Präsentation derartiger Nischen und Projekte wie auch für den Austausch. Sowohl Experten wie Aktive, aber auch interessierte Verbraucher konnten bei der Veranstaltung Fragen stellen und Erfahrungen teilen.

Bauernhof auf dem Hochhausdach 

Das erklärte Ziel bestand darin, Vertreter und Kenner der Nischeninnovationen zu einem europaweiten Austausch zusammenzubringen, Synergien und Vernetzung zu fördern. Insgesamt stellten 40 Experten und Pioniere ihre zum Teil noch wenig bekannten Projekte rund um das Thema Ernährungssysteme im Rahmen des Online-Kongresses vor. Nach der Pandemie sollen die Gespräche mit einer Präsenzveranstaltung fortgesetzt werden. 

Wer Interesse an den Themen hatte, musste sich als Teilnehmer im Internet registrieren, um online dabei zu sein und Fragen zu stellen. Dafür sparten die Besucher sich die Anreise und konnten vom Sofa oder Küchentisch aus die zwölf Themen-Blöcke der Veranstaltung verfolgen. Besonders großen Zuspruch verzeichneten die Experten in drei Blöcken: Punkt eins betraf klimafreundliche und nachhaltige Anbaumethoden, Punkt zwei die Agroforstwirtschaft mit ihren Unterschieden in ganz Europa, Punkt drei die Städte, welche die Verantwortung für die Lebensmittelproduktion übernehmen.

Vorgestellt wurden zahlreiche Innovationen, die in Deutschland bisher nicht oder nur vereinzelt zu finden sind. Dazu gehörte das von Pascal Hardy präsentierte Projekt Nature Urbaine, ein städtischer Bauernhof mitten in Paris, untergebracht auf einem Dach. Hier werden in Reih und Glied Salat und Gemüsesorten wie Tomaten angebaut. Die Erzeugnisse werden frei verkauft, auch verarbeitete Produkte wie Chutney aus grünen Tomaten oder Ketchup werden vermarktet.

Stadtplanerin Beatrice Stude stellte die Idee des MILA Mitmach Supermarkts vor.  Ein Pilotprojekt, bei dem erstmals in Österreich ein Supermarkt als Lebensmittel-Treffpunkt basierend auf dem genossenschaftlichen Prinzip entstehen soll. Interessierte können Anteile erwerben, sich einbringen und das Projekt durch Mitarbeit gestalten und unterstützen. Dabei werden die Anteilseigner sowohl in die Produktion der Lebensmittel auf dem Acker und der Wiese wie auch in die Vermarktung eingebunden. Einige Stunden im Monat muss zudem im Supermarkt Hand angelegt werden. So sollen faire und dabei günstige Preise für regional angebaute Lebensmittel gesichert werden.

Bereits etwas etablierter sind zwei andere Ansätze. Die Möglichkeit regionale Lebensmittel direkt online beim Erzeuger zu bestellen und damit die regionale Landwirtschaft zu unterstützen, steht beim Open Food Network im Vordergrund. Aktuell sind auf der deutschsprachigen Webseite 83 regionale Lieferanten mit ihren Produkten vertreten. Tendenz steigend. Ebenfalls regional orientiert sind sogenannte Crowdfarming-Projekte, bei denen Verbraucher als Paten jahres- oder saisonweise einen Geldbetrag leisten – für ein Rind, eine Kuh, ein Schaf oder eine Ackerfurche. Bei der Ernte erhalten sie dafür das Gemüse beziehungsweise Milch, Käse, Wolle oder Fleisch des Tieres, je nach Paten-Vertrag.

Den Wald optimal nutzen

Eine Anbaumethode, die europaweit aktuell zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist die Agro-Forstwirtschaft. Das Prinzip der kombinierten Landnutzung von Bäumen, Ackerkultur und Tierhaltung ist mehr als tausend Jahre alt. Jetzt werden die Vorteile dieser Landnutzung wiederentdeckt. Die Produktvielfalt ist groß, sie reicht von Getreide, Gemüse und Obst bis zu Milch, Eiern, Honig und Holz als Baumaterial. Vorteilhaft: Die Tiere liefern natürlichen Dünger, die Bäume sorgen für eine optimale Wasserdurchlässigkeit des Bodens und geringere Erosion. Der Arbeitsaufwand ist dafür im Vergleich weitaus höher, einige Erträge wie zum Beispiel die Holznutzung können erst nach vielen Jahren gewonnen werden.

Während in England, Finnland, Norwegen, Schweden und Spanien Agro-Forstwirtschaft zunehmend gepflegt wird, gibt es in Deutschland gesetzliche Hürden. Ohne Gesetzesänderungen ist Agroforstwirtschaft hier nicht umsetzbar. In der Abschlussdeklaration des Food System Change Congress gehört die Anpassung nationaler Gesetze an die Umsetzung der sogenannten silvopastoralen (waldgerechter) Agro-Forstwirtschaft daher zu den 28 Forderungen, die sich an Entscheidungsträger auf kommunaler, nationaler und auf EU-Ebene richten.

Der Kongress war ein Meilenstein. Nicht mehr und nicht weniger. Die Arbeit geht weiter. Möglichkeiten müssen geschaffen und Projekte realisiert werden. Sonst lassen sich die Herausforderungen zukünftiger Lebensmittelgewinnung und -verteilung nicht meistern.