20.04.2024

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Folge 25-21 vom 25. Juni 2021 / Schaut auf diesen Stadtteil! / Eines der wenigen vorbildlichen städtebaulichen Projekte der DDR – Das Berliner Nikolaiviertel vollzog die Wende weg vom Plattenbau

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-21 vom 25. Juni 2021

Schaut auf diesen Stadtteil!
Eines der wenigen vorbildlichen städtebaulichen Projekte der DDR – Das Berliner Nikolaiviertel vollzog die Wende weg vom Plattenbau
Norman Hanert

Plattenbausiedlungen am Stadtrand und der Verfall historischer Innenstädte prägen bis heute das Bild vom DDR-Städtebau. Erst im zeitlichen Abstand von mehreren Jahrzehnten wurde deutlich, dass in den späten Jahren der DDR, parallel zum flächendeckenden Verfall von Altbausubstanz, auch noch der Grundstein für eine bemerkenswert städtebauliche Entwicklung gelegt wurde. 

Anlässlich des 750-jährigen Stadtjubiläums entstand in der historischen Mitte Berlins zwischen 1980 und 1987 im Areal zwischen dem Roten Rathaus und dem Spreeufer das Nikolaiviertel. Bereits dreißig Jahre später steht dieses unter Denkmalschutz. Kunsthistoriker und Denkmalschützer sehen in dem Stadtviertel ein herausragendes Zeugnis einer Phase, in der es zu einer Rückbesinnung auf die Qualitäten der historischen Stadt gekommen ist.

Angesichts ernüchternder Erfahrungen mit Großsiedlungen außerhalb der Zentren war dies seinerzeit ein internationaler Trend, der sich auch die Architektur der DDR nicht verschloss. Wie die noch bis zum 16. August laufende Ausstellung „Anything goes“ der Berlinischen Galerie, Alte Jakobstraße 124–128, anhand von Architekturbeispielen der 1980er Jahre aus beiden Berliner Stadthälften zeigt, gilt dies auch für den Trend der sogenannten Postmoderne.

Das Nikolaiviertel steht zugleich für eine späte Wende in der Architektur der DDR: weg von den Plattenbaugroßsiedlungen in den Außenbezirken, wieder hin zum innerstädtischen Bauen.

Erst im Rückblick hat sich zudem gezeigt, dass die damals beteiligten Architekten und Stadtplaner mit dem Nikolaiviertel noch vor dem Mauerfall auch deutschlandweit eine Vorreiterrolle übernommen hatten:

Das Berliner Stadtviertel war der Auftakt einer Entwicklung, bei der auch anderenorts Innenstadtviertel wieder auf der Grundlage alter Straßengrundrisse historisch ausgestaltet wurden. Ebenfalls in den 1980er-Jahren fand weiter östlich, im westpreußischen Elbing, ein historisierender Wiederaufbau eines Innenstadtquartiers statt. Die Hansestadt erhielt dabei in Anlehnung an historische Stilelemente ein neues Zentrum. Andere Projekte im Bundesgebiet folgten meist erst in den 1990er Jahren.

Die Planer des Nikolaiviertels haben sich seinerzeit allerdings nicht zu einhundert Prozent an den überlieferten historischen Grundriss gehalten. Der Kunstwissenschaftler und Architekturkritiker Nikolaus Bernau wies unter anderem auf die Gasse „Am Nussbaum“ hin. Diese verstärkt das ohnehin vorhandene Altstadtgefühl im Nikolaiviertel noch. Allerdings ist sie als Diagonalgasse für die Städte des Mittelalters überhaupt nicht typisch für die Mark Brandenburg. 

Idealbild einer Altstadt

Am Reißbrett entworfen haben die Architekten um Günter Stahn seinerzeit vielmehr das Idealbild einer typischen deutschen Altstadt, das vor allem ausländische Touristen im Kopf haben. Folgerichtig hat sich das Nikolaiviertel auch schnell zu festen Anlaufpunkt für viele Berlinbesucher entwickelt. Obwohl das Viertel von Anfang an stark auf Touristen ausgerichtet war, hat dies der Beliebtheit als Wohnort nicht geschadet. 

Laut der zuständigen Vermietungsgesellschaft WBM werden viele der Wohnungen noch immer von den Erstmietern bewohnt. Rückblickend muss man dem Stadtviertel tatsächlich auch mit Blick auf den Wohnungsbau als einen Erfolg bezeichnen, der in Berlin lange nicht wieder erreicht wurde, zumindest nicht im Innenstadtbereich. In zentraler Stadtlage sind auf einen Schlag 800 Wohnungen entstanden.

„Dass auf einen Schlag ein ganzes Stadtviertel mit Wohnungen in der Innenstadt entstanden ist, das gab es seit 1990 nicht mehr in Berlin“, sagt der Architekturkritiker Bernau und fügt ergänzend hinzu: „Das ist erst in den letzten zehn Jahren wiedergekommen.“

Das Beispiel Nikolaiviertel fordert noch einen anderen Vergleich geradezu heraus: Am Potsdamer Platz ist nach dem Mauerfall ebenfalls der Versuch unternommen worden, quasi aus dem Nichts ein innerstädtisches Stadtviertel aus dem Boden zu stampfen. Dieser Versuch, mithilfe von Stararchitekten, viel Glas und Beton dem Potsdamer Platz wieder ein urbanes Leben einzuhauchen, muss als gescheitert angesehen werden.

Der Platz, einst Inbegriff des pulsierenden Großstadtlebens, in den 1920er Jahren sogar Europas verkehrsreichster Platz, strahlt nach seinem Wiederaufbau auf Besucher die Öde eines vorstädtischen Einkaufszentrums aus.

Molkenmarkt will auch schöner sein

Auch im Nikolaiviertel wurde nicht auf eine industrielle Bauweise verzichtet, allerdings legten die Planer hier viel Wert auf eine Vielfalt der Gestaltung: Dies ging von der Rekonstruktion historischer Fassaden rund um die Nikolaikirche bis hin zu historisierenden Neubauten am Rande des Viertels. Die Bandbreite geht dabei sogar so weit, dass heute von einem „Museum der Rekonstruktionsweisen“ gesprochen wird.

Der damalige Versuch, einige Qualitäten von Altstädten wiederzubeleben, hat bis heute Auswirkungen auf die städtebauliche Diskussion in der wiedervereinigten Hauptstadt. In unmittelbarer Umgebung von Nikolaiviertel und Rotem Rathaus liegt das Areal des Molkenmarktes.

Dieser gilt als ältester Platz der Stadt. Anders als im wiederaufgebauten Nikolaiviertel entspricht die Aufenthaltsqualität des Molkenmarktes derzeit aber dem eines zugigen Autobahnkreuzes. Die Ost-Berliner Stadtverwaltung hat den im Krieg schwer zerstört Platz seit den 1960er Jahren zu einem Verkehrsknotenpunkt mit vielen Fahrspuren, großflächigen Kreuzungen und Parkplätzen umbauen lassen. Ein Senatsbeschluss von 2016 sieht vor, ähnlich wie im Nikolaiviertel, auch die historische Struktur das Molkenmarktviertels wiederherzustellen.

Obwohl die ersten Vorarbeiten bereits in Angriff genommen wurden, veranschlagen die Planer für das Viertel um den Molkenmarkt allerdings fast zwei Jahrzehnte bis zu Fertigstellung.