25.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 25-21 vom 25. Juni 2021 / Landwirtschaft / Indien am Rande einer Bauernrevolte / Die „Grüne Revolution“ der 1960er Jahre, der Einsatz von immer mehr Dünger und Giften sowie die Macht der Saatgut-Konzerne trieben Millionen Bauern in die Krise – Ein Regierungsplan macht das Maß nun voll

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-21 vom 25. Juni 2021

Landwirtschaft
Indien am Rande einer Bauernrevolte
Die „Grüne Revolution“ der 1960er Jahre, der Einsatz von immer mehr Dünger und Giften sowie die Macht der Saatgut-Konzerne trieben Millionen Bauern in die Krise – Ein Regierungsplan macht das Maß nun voll
Dagmar Jestrzemski

Indiens Bild in der Welt hat sich grundlegend gewandelt. Einst Inbegriff von Armut, Hunger und Rückständigkeit, prägt heute der „Computer-Inder“ das Image eines aufstrebenden Schwellenlandes. Doch hinter der Glitzerfassade existiert es noch, das Indien der Millionen von Kleinstbauern, die auf winzigen Parzellen ums Überleben kämpfen. Durch rabiate Regierungspläne sehen die nun ihre blanke Existenz bedroht. Eine explosive Lage entsteht.

Seit vergangenem November protestieren Millionen indische Bauern in den Dörfern und Städten gegen die im September von der Regierung des Premierministers Narendra Modi beschlossene Landwirtschaftsreform. Die Maßnahmen sehen eine weitgehende Öffnung des bisher staatlich gestützten Agrarsektors vor. Die Bauern lehnen die Reformgesetze entschieden ab. Sie befürchten neue Abhängigkeiten und sinkende Preise für ihre Erzeugnisse. Im Vorfeld der Beschlussfassung hatte die Regierung keine Beratungen mit den Bauerngewerkschaften durchgeführt. 

Erste Proteste wurden ignoriert. Danach begann der bisher größte Streik in der siebenjährigen Amtszeit der Regierung Modi, und ein Ende ist nicht abzusehen. In den Außenbezirken von Delhi erreichte der Bauernaufstand am 26. Januar, einem Nationalfeiertag, mit Traktorkundgebungen und Sitzstreiks einen vorläufigen Höhepunkt. Auch die neue Corona-Welle konnte die Proteste nicht aufhalten. Zunehmend solidarisieren sich auch Bürger in den Städten mit den Landwirten. Zwar wurden die drei strittigen Gesetze am 12. Januar durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vorläufig außer Kraft gesetzt, um Zeit für Verhandlungen zu gewinnen. Daraufhin verschob die Regierung die Reformen um bis zu 18 Monate. Doch von einem Einlenken ist sie weit entfernt. 

Nur zwei Hektar Land pro Hof

Kritiker der Reformgesetze bemängeln, dass die bestehenden Umweltprobleme darin nicht erwähnt würden, obwohl die Agrarkrise ökologische Wurzeln hat. Im Zuge der sogenannten Grünen Revolution der 1960er Jahre hatte die Regierung neue Anbaumethoden für Nutzpflanzen wie Reis, Hülsenfrüchte und Weizen gefördert. Trotzdem bewirtschaften heute noch 82 Prozent der indischen Landwirte weniger als zwei Hektar. 

Eine Steigerung der Produktivität wurde mithilfe moderner Technologien erreicht, Indiens Nahrungsmittelvielfalt dafür aber stark reduziert. Durch den Anbau bestimmter Saatgutsorten in Monokulturen und die wahllose Anwendung von Dünger und Pestiziden sind die Böden ausgelaugt und oft vergiftet. Übermäßige Bewässerung und Hitzeperioden führten zu Wasserknappheit. Die Kosten für Betriebsmittel und niedrige Preise für ihre Produkte trieben viele Bauern in einen Kreislauf der Verschuldung. Die Selbstmordrate unter indischen Bauern ist seit Jahren hoch. 

Bislang verkaufen die Landwirte Reis und Weizen überwiegend auf staatlich kontrollierten Großhandelsmärkten zu Mindestpreisen, die vor jeder Aussaat zentral für ganz Indien festgelegt wurden. Als Begründung für die Aufweichung dieses staatlich gestützten Systems gibt die Regierung an, dass die Erzeuger auf dem freien Markt höhere Gewinne erzielen könnten. Damit würde mehr Geld aus der Privatwirtschaft in die Landwirtschaft fließen und einen Modernisierungsschub auslösen. Das neue System erlaubt und fördert vertraglich garantierte Anbau- und Ernteabnahmen zwischen Landwirten und privaten Aufkäufern aufgrund freiwilliger Absprache. Die neue Vertragslandwirtschaft soll durch Steuerfreiheit erleichtert werden. 

Doch die Landwirte wissen aus eigener Erfahrung, dass sie in direkter Verhandlung mit Großunternehmen kaum faire Preise aushandeln können. Sie befürchten, unter Druck zu geraten, um teure Betriebsmittel und Maschinen anzuschaffen und Nutzpflanzen in Form von Monokulturen für den Export anzubauen. Indiens Bauern sind aber auf den Anbau von vielfältigen Grundnahrungsmitteln zur eigenen Ernährungssicherheit angewiesen. 

Letztendlich könnte ein von Lasten und Abgaben befreites neues System allmählich den weiterhin bestehenden regulierten Markt verdrängen. Bauernvertreter verweisen auch auf das Beispiel des Bundesstaats Bihar, wo der Markt bereits weitgehend liberalisiert wurde. Schon jetzt erhalten die Landwirte dort für ihre Waren 25 bis 30 Prozent weniger als vor der Reform.

Wahre Krisentreiber ignoriert

In den USA wird die Situation in Indien aufmerksam beobachtet. In Teilen der Vereinigten Staaten veröden die ländlichen Gemeinden. Steigender Wettbewerbsdruck bei sinkenden Preisen ist nur von Großbetrieben zu bewältigen, deren Durchschnittsgröße mit 170 Hektar zum Sterben der im weltweiten Vergleich immer noch sehr großen Familienbetriebe führt. Wenn diese aufgeben, gehen jeweils Dutzende Arbeitsplätze verloren und die Menschen ziehen in die Städte. Den in Not geratenen indischen Kleinbauern ist das nicht möglich. Vergleichbar zwischen beiden Ländern sind allerdings Entwicklungen im Zusammenhang mit der Abhängigkeit der Produzenten von Agrarkonzernen wie Monsanto/Bayer, die ein Monopol auf gentechnisch verändertes Saatgut haben und dazu passende Pflanzenschutzmittel anbieten. 

In Indien, dem weltweit führenden Produzenten für Baumwolle, sind mehr als 90 Prozent der 5,8 Millionen Baumwollbauern abhängig von Monsanto. Für sie fallen Patentgebühren bei jeder Nutzung des teuren, genveränderten Saatguts an. Vor 20 Jahren stieg dadurch die Gesamtproduktion, daraufhin aber sanken die Preise. Nach einiger Zeit wurden die Schädlinge unempfindlich gegen das Gift, das die Pflanze selbst produziert. Andere Schädlinge tauchten auf, wurden resistent gegen verschiedene Insektizide und zerstörten die Ernte. Das führte zu sinkenden Erträgen. In den USA bereiten resistente Unkräuter den Landwirten seit Jahren große Probleme, und auch dort sind gentechnisch veränderte Pflanzen die Ursache. Diese haben eine Toleranz gegen das Herbizid Glyphosat, doch das anfangs so einfache und effektive System zur Unkrautbekämpfung ist längst unwirksam geworden. Neue gentechnisch veränderte Pflanzen mit dazu passenden Herbizid-Wirkstoffen sind nun auf den Markt. Doch eine dauerhafte Lösung für die agrarische Massenproduktion ohne die Nebenwirkung resistent werdender Unkräuter ist nicht in Sicht. 

Eine weitere Gemeinsamkeit haben beide Länder: Trotz der mit Bodenzerstörung verbundenen Landwirtschaft verstehen die Regierungen immer noch nicht, dass die ökologischen Probleme zusammen mit den verheerenden Dürren, die dem Klimawandel zugeschrieben werden, in erster Linie dem Schwund der kleinteiligen Ackerflächen mit Fruchtfolge zugunsten von Monokulturen, die auf künstliche Bewässerung und Schädlingsbekämpfung angewiesen sind, geschuldet sind sowie der Abholzung der Wälder.