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Folge 25-21 vom 25. Juni 2021 / Ostpreußische Museumsstücke / Sozialistin und Mutter / Die Pietà von Käthe Kollwitz

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-21 vom 25. Juni 2021

Ostpreußische Museumsstücke
Sozialistin und Mutter
Die Pietà von Käthe Kollwitz
Jörn Barfod

Wohl keine Künstlerin aus Deutschland ist international bekannter als die in Königsberg geborene und aufgewachsene Käthe Kollwitz (1867-1945). 1919 wurde sie als erste Frau Professorin der Preußischen Akademie der Künste; auch war sie die erste Frau, welche den preußischen Orden Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste erhielt.

Gerade ihre grafischen Arbeiten, die in aller Eindringlichkeit menschliches Leid zum Ausdruck bringen, verschafften ihr Weltruhm; später hat sie auch sehr erfolgreich Plastiken geschaffen. War es zunächst das Elend der Schwachen, deren soziale Not wie Armut und Hunger, die ihr Werk prägten, kam mit dem Ersten Weltkrieg der Pazifismus als Thema hinzu.

Anlass dazu gab im Wesentlichen der Tod ihres jüngeren Sohnes Peter, der als Soldat in Belgien in den ersten Kriegswochen 1914 gefallen war. Für ihn wollte sie eine Grabplastik gestalten. Sie begann mit der traditionellen Idee des toten Soldaten. Dann kam sie auf das Thema der trauernden Eltern, zwei in sich gekehrte, kniende Gestalten. Diese wurden 1932 auf dem Soldatenfriedhof in Belgien aufgestellt.

Zu den großen Themen im Werk von Käthe Kollwitz gehören die Mütter, die sich um ihre Kinder sorgen, um sie trauern oder mit dem Tod kämpfen. Die Armut der Arbeiterbevölkerung in Berlin hatte sie dazu ebenso angeregt – Kollwitz verstand sich zeitlebens als Sozialistin – wie das eigene Erleben als Mutter. An diesem Motivkreis arbeitete sie noch im Alter, nachdem die Nationalsozialisten sie aus der Preußischen Akademie der Künste herausgedrängt und gegen sie ein faktisches Ausstellungsverbot verhängt hatten.

Ein Andachtsbild

In ihrem Tagebuch notierte sie 1937: „Ich arbeite an der kleinen Plastik, die hervorgegangen ist aus dem plastischen Versuch, den alten Menschen zu machen. Es ist nun so etwas wie eine Pietà geworden. Die Mutter sitzt und hat den toten Sohn zwischen ihren Knien im Schoß liegen. Es ist nicht mehr Schmerz, sondern Nachsinnen.“

Pietà bezeichnet ein im Mittelalter entstandenes Andachtsbild, das Maria mit dem Leichnam ihres Sohnes Jesus zeigt. Hier liegt der tote Sohn zwischen den Knien der Mutter, die ihn eher umfängt. Der Kopf des Toten ist nach hinten gesunken. Das tote Kind scheint ganz in der Gestalt der Mutter aufgenommen zu sein. Die sehr geschlossene Figurenkomposition ist für das Spätwerk der Künstlerin charakteristisch.

Die Haltung der Mutter drückt eine verinnerlichte Trauer aus, was dem Wort „Nachsinnen“ in der Tagebuchnotiz entspricht. Die liebevolle Haltung zeigt sich in dem schützenden Überdecken der Stirn- und Augenpartie und der zarten Haltung der Hand des Toten durch die mütterliche Hand.

Die Künstlerin modellierte die Plastik 1938. Ein besonders ungewöhnliches Exemplar findet sich im Ostpreußischen Landesmuseum, das über eine bundesweit bedeutsame Sammlung der Werke von Käthe Kollwitz verfügt.

Zu dem Freundeskreis der Künstlerin zählte der aus Ostpreußen stammende Schriftsteller Ernst Wiechert. Er bat Kollwitz 1940 um ein Exemplar dieser Plastik. Im Krieg war ein Guss aus dem kriegswichtigen Metall Bronze unmöglich. Es entstand ein Zinkguss, bei den Plastiken von Käthe Kollwitz war dies ein einmaliger Vorgang. Aus dem Nachlass des Dichters gelangte er mit der Sammlung des ehemaligen Museum Stadt Königsberg in Duisburg nach Lüneburg.

Bald nach ihrem Tod begann der Nachruhm von Käthe Kollwitz zu wachsen. Auch das zu ihren Lebzeiten kaum bekannt gewesene Spätwerk wurde rasch berühmt. Ganz besonders gilt dies auch für die „Mutter mit dem toten Sohn“. Eine vierfach vergrößerte Kopie bildet seit 1993 das Zentrum der zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft in der von Schinkel geschaffenen Neuen Wache in Berlin. Was bei offiziellen Staatsbesuchen Teil des großen Zeremoniells mit Kranzniederlegung und Ehrenwache der Bundeswehr ist, kann im Original in der Dauerausstellung des Museums bestaunt werden.

Dr. Jörn Barfod ist Kunsthistoriker und Kustos im Ostpreußischen Landesmuseum mit Deutschbaltischer Abteilung, Heiligengeiststraße 38, 21335 Lüneburg, Internet: www.ol-lg.de