18.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 26-21 vom 02. Juli 2021 / Nikolaus I. / Wie der „Gendarme Europas“ das goldene Zeitalter der Kultur begünstigte / Vor 225 Jahren geboren und von Kindesbeinen an militärisch erzogen, war der dritte Sohn Pauls I. eher ein zufälliger Herrscher auf dem russischen Thron, den er dann 30 Jahre lang innehatte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-21 vom 02. Juli 2021

Nikolaus I.
Wie der „Gendarme Europas“ das goldene Zeitalter der Kultur begünstigte
Vor 225 Jahren geboren und von Kindesbeinen an militärisch erzogen, war der dritte Sohn Pauls I. eher ein zufälliger Herrscher auf dem russischen Thron, den er dann 30 Jahre lang innehatte
Manuela Rosenthal-Kappi

Die Regentschaft des russischen Zaren Nikolaus I. wird als eine Periode der düsteren Reaktion, des hoffnungslosen Stillstands, der Kasernenordnung und eines Wächterimperiums dargestellt. Zweifelsohne war seine Herrschaft geprägt durch einen Konservatismus, dem der Erhalt der Monarchie und die Pflichterfüllung als höchstes Ideal galten. Doch neben einer überbordenden Bürokratie schuf Nikolaus I. auch die Grundlagen für ein entwickeltes Bildungssystem, das es ermöglichte, in Russland die Industrialisierung voranzubringen. Die Zensur und die Verfolgung aller Andersdenkenden beflügelten die vom Westen beeinflussten Freidenker, sodass Russlands Kultur eine Blütezeit erlebte und literarische Werke von Weltniveau entstanden. 

Vor 225 Jahren, am 6. Juli 1796, wurde Nikolaj Pawlowitsch Romanow als dritter Sohn Pauls I. in Zarskoje Selo geboren. Ihm stand eine militärische Karriere bevor. Schon früh erwachte sein Interesse am Ingenieur- und Militärwesen. Nachdem er im Juli 1817 die deutsche Prinzessin Charlotte von Preußen geheiratet hatte – nach der orthodoxen Taufe Alexandra Fjodorowna –, beteiligte sich der Großfürst an der Entwicklung der russischen Armee. Unter seiner Führung wurden Ausbildungseinrichtungen in Kompanien und Bataillonen aufgebaut. 

Gänzlich dem Militär verschrieben, war Nikolaus aufs Regieren nicht vorbereitet, als sein ältester Bruder Alexander I. nach 24 Jahren auf dem Thron plötzlich verstarb. Weil der zweitälteste Bruder Konstantin sich zuvor bereits strikt geweigert hatte, den Thron zu besteigen, hatte Alexander I. Nikolaus zu seinem Nachfolger bestimmt. Dessen Herrschaftsantritt fiel mit einem dramatischen Ereignis der russischen Geschichte zusammen: Am 26. Dezember verweigerten 3000 Anhänger der Dekabristen, einer Vereinigung von Revolutionären, bestehend vor allem aus verschworenen Offizieren, den Eid auf Nikolaus. Mithilfe loyaler Armeeangehöriger schlug dieser den Aufstand entschieden nieder. 

Die Mehrheit der Dekabristen bestand aus Idealisten, die, angesteckt von den revolutionären Ideen aus Westeuropa, hofften, durch Anpassung an die russische Realität soziale Ungerechtigkeiten und Unterdrückungen zu vermeiden. Sie erachteten Freiheit, Gleichheit und Ehre als Notwendigkeit für das Wohl des Vaterlandes. Diese Ideale passten allerdings nicht zu den Ansichten des Zaren, der drei Prinzipien benannte, auf denen das russische Imperium ruhe: Orthodoxie, Autokratie und ein volksverbundener Patriotismus. 

Schutzherr der Monarchie

Nikolaus I. setzte auf die Wiederbelebung der auf dem Wiener Kongress 1815 gebildeten Heiligen Allianz. Seine Angst vor liberalen Ideen, der Drang, Andersdenkende nicht nur in Russland, sondern in ganz Europa zu unterdrücken, brachte ihm den Namen „Gendarme Europas“ ein. Er verstand sich als Schutzherr der monarchischen Ordnung, einer christlichen Politik, bei der das Dienen an erster Stelle stand. Wichtiger als neue Ideen zuzulassen war ihm, das Altbewährte zu schützen und Neues daraus zu entwickeln.

Während seiner Regentschaft wurden Beamte, Ingenieure, Landwirte, Ärzte und Lehrer an modernen Einrichtungen ausgebildet, er entwickelte ein großes Netz an Grund- und Mittelschulen, die Zahl der Gymnasien stieg beträchtlich, ebenso die Zahl der Schüler. In St. Petersburg wurden Institute für die verschiedenen Fakultäten gegründet. Unter seiner Ägide wurden Sibirien und der Ural erschlossen. Die Hälfte des Straßennetzes, das bis 1917 gebaut wurde, war zu Nikolaus’ Zeiten konzipiert worden. Die Eisenbahnverbindung von St. Petersburg nach Zarskoje Selo und nach Moskau, die ersten Dampfer auf der Wolga und im Baltikum sowie das Ersetzen von Manufakturen durch Fabriken mit moderner Ausrüstung zählen zu seinen Erfolgen. 

Bürokratie und Zensur

Im Verwaltungssystem wuchsen hingegen die Widerstände. Sein Konservatismus führte zu einer überbordenden Bürokratie im Land. Die Folge war eine strenge Zensur, die Bildung der „dritten Abteilung“, einer Gedanken- und Gesinnungspolizei unter Alexander von Benckendorff, dem Nikolaus vertraute. 1826 lehnte Nikolaus die Aufhebung der Leibeigenschaft ab. 

Die Außenpolitik von Zar Nikolaus I. war von Kriegen geprägt. Der Russisch-Persische Krieg von 1826 bis 1828 brachte Russland einen erheblichen Gebietszuwachs, im Russisch-Türkischen Krieg von 1828 bis 1829 brachte das Zarenreich die Ostküste des Schwarzen Meeres unter seine Kontrolle, erhielt freien Verkehr auf der Donau, im Schwarzen Meer und im Mittelmeer, 1830 gelang Nikolaus I., der seit 1825 auch König von Polen war, die Niederschlagung des polnischen Aufstands. In der Folge wuchs der russische Einfluss im Orient. 1833 unterwarf sich quasi der Herrscher des Osmanischen Reichs, Sultan Mahmud II., als er Russland als Schutzmacht gegen den Pascha von Ägypten, Muhammad Ali, anrief. Als Nikolaus 1853 versuchte, die Türkei zu erobern, erwies sich das Bündnis der Heiligen Allianz jedoch als brüchig. 

Der letzte Akt seiner Herrschaft gipfelte im Krimkrieg. Als Großbritannien und Frankreich, die ihre eigenen Interessen in der Region bedroht sahen, sich gegen Russland verbündeten und keine andere Macht den Zaren unterstütze, erlitt er am Ende seiner Herrschaft seine schwerste Niederlage. Russland verlor in der Folge seinen Einfluss am Schwarzen Meer. 1855 zog Nikolaus I. sich eine Lungenentzündung zu, an der er verstarb.

Die verschärfte Zensur beflügelte indes die Kultur. Wer über Bildung verfügte, hatte längst die Möglichkeit, sich den europäischen Geist trotz oder gerade wegen der zaristischen Beschränkungen anzueignen. Die russische Sprache entwickelte sich zur Literatursprache. Dies führte zu einem raschen und vollkommenen Aufbruch poetischen Schaffens. Im Überschwang des romantischen Gefühls litten Literaten wie der Fabeldichter Iwan Krylow, der Dramatiker Alexander Gribojedow, der romantische Dichter Michail Lermontow und Russlands bedeutendster Klassiker Alexander Puschkin an der russischen Wirklichkeit. Der junge Puschkin sympathisierte mit den Dekabristen, was ihm die ständige Aufsicht des Zaren einbrachte. Die Dekabristen werden in Russland bis heute romantisiert.

Aktuell wird das Bild des Wächterimperiums Nikolaus I. neu diskutiert. Sendungen im russischen Staatsfernsehen, in denen die Leistungen des Zaren hervorgehoben werden oder eine Video-Konferenz unter Beteiligung von Historikern, Politologen und Publizisten mit Jugendlichen über die Spuren Nikolaus’ I. in der Gegenwart zeugen davon.