25.04.2024

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Folge 26-21 vom 02. Juli 2021 / Irland / Als ein Land den Gewinn seiner Unabhängigkeit mit dem Verzicht auf seinen Nordteil bezahlte / Vor 100 Jahren endete der Irische Unabhängigkeitskrieg. Er führte zur aktuellen Lage: einen den größten Teil der Insel umfassenden unabhängigen Staat und einen zum Vereinigten Königreich gehörenden Rest

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-21 vom 02. Juli 2021

Irland
Als ein Land den Gewinn seiner Unabhängigkeit mit dem Verzicht auf seinen Nordteil bezahlte
Vor 100 Jahren endete der Irische Unabhängigkeitskrieg. Er führte zur aktuellen Lage: einen den größten Teil der Insel umfassenden unabhängigen Staat und einen zum Vereinigten Königreich gehörenden Rest
Heinrich Prinz von Hannover

Um den irischen Unabhängigkeitskrieg besser verstehen zu können, empfiehlt sich ein kurzer Streifzug durch die irische Vergangenheit. Im Mittelalter hatten die anglonormannischen Barone noch eine Art Ständeversammlung, auch Parlament genannt, eingerichtet, das aber bereits im späten 15. Jahrhundert dem englischen König unterstellt wurde. Irland wurde in den folgenden Jahrhunderten immer mehr in den englischen Staatsbildungsprozess hineingezogen. Während im 16. Jahrhundert die gälische Gesellschaft noch intakt war, wurde sie im 17. Jahrhundert im Kern durch die Engländer zerstört, die Irland von der nördlichen Provinz Ulster aus gezielt kolonisierten. 

Religiös aufgeladener Konflikt

Der Protestantismus in Irland war die Konfession der Neueinwanderer und Kolonisten der elisabethanischen Zeit, die das Land unter sich immer weiter aufteilten. Katholische Landbesitzer gab es eigentlich nur noch in der Provinz Connaught, und der Katholizismus entwickelte sich zu einer Unterschichtreligion. 

Nach der Glorreichen Revolution in England von 1688/89 und der Besteigung des englischen Throns durch das protestantische Ehepaar Wilhelm III. von Oranien und Mary II. im Jahre 1689 kam es 1691 mit dem Vertrag von Limerick zwar zu einem Ausgleich zwischen den protestantischen und katholischen Landbesitzern in Irland. Doch die Situation verschärfte sich wieder, weil das irische Parlament den Status der Katholiken durch eine Serie von Gesetzen weiter verschlechterte. Die Katholiken Irlands waren im 18. Jahrhundert von jeder Macht ausgeschlossen, obwohl sie vier Fünftel der Bevölkerung ausmachten.

Dublin statt Westminster

Nach der staatsrechtlichen Vereinigung Irlands mit Großbritannien durch den 1801 in Kraft getretenen Act of Union stand Irland bis 1921 direkt unter britischer Herrschaft. Ein wesentlicher Aspekt irischer Bestrebungen in dieser Epoche bestand im Kampf um Katholikenemanzipation und eine von Großbritannien unabhängige Regierung. Daraus entwickelte sich ein irischer Nationalismus (Gaelic League), der Irland seine eigene Kultur und Sprache wiedergeben wollte, um Irlands Recht unter den Nationen der Welt herauszustellen und schließlich auch Großbritannien davon zu überzeugen, die eigenständige irische Nation anzuerkennen. Je mehr sich jedoch die irische Nation als katholisch verstand, desto klarer wurde der protestantisch domonierte Norden ausgegrenzt und Ulster in die Arme des protestantischen Großbritanniens getrieben. 

Mit dem Ziel, dass sich die irischen Abgeordneten aus Westminster zurückziehen, um in Dublin als neues Parlament zusammenzutreten, wurde 1905 die Partei „Sinn Féin“ (wir selbst) gegründet. Daneben entwickelte sich in Irland als neue Kraft die Arbeiterbewegung. Irische Arbeiter kamen aus England zurück und schlossen sich in Belfast und Dublin der Bewegung an, deren Ziel es war, sich vom Empire zu lösen. In Reaktion hierauf formierten sich unionistische Gegenkräfte. Sie vertraten die Ansicht, dass es Irland besser habe in einer Union mit Großbritannien. 

Sinn Féin-Wahlsieg von 1918

Die Entscheidung für Irlands Selbst-Regierung (Home Rule) fiel in Westminster 1911, als nach einer Verfassungsreform das Oberhaus die dritte Home Rule Bill nicht mehr verhindern konnte. Die Unionisten bekämpften dieses Gesetz und drohten mit einer gewaltsamen Regierungsübernahme in der protestantisch dominierten Provinz Ulster. Über 400.000 Menschen unterzeichneten eine Bündnisverpflichtung, in der sie gelobten, die „Verschwörung“ für Home Rule mit allen Mitteln – auch mit Gewalt – zu bekämpfen. In Ulster unternahmen Freiwillige in der 1912 gegründeten protestantisch-unionistischen Miliz „Ulster Volunteere Force“ (UVF) militärische Übungen. Daraufhin konstituierten sich im darauffolgenden Jahr im Süden die Irish Citizen Army (ICA) und die Irish Volunteers mit entgegengesetzter Zielrichtung. 1914 standen sich damit in Irland zwei gerüstete Privatarmeen kampfbereit gegenüber. In letzter Minute berief der englische König eine Konferenz in den Buckingham Palace ein, bei der die wichtigsten Vertreter zugegen waren. Der Beginn des Ersten Weltkrieges im August ließ aber keine Lösung mehr zu, und am 18. September 1914 unterschrieb der König die Home Rule Bill mit der Maßgabe, dass sie erst nach dem Ende des Krieges in Kraft treten solle. 

Es kam daraufhin kurzfristig zu einer Art Burgfrieden. 200.000 Iren kämpften infolgedessen freiwillig in der regulären britischen Armee. 60.000 von ihnen bezahlten diesen Entschluss mit ihrem Leben. Während des Krieges verloren die irischen Abgeordneten weiter an Einfluss, weil die Konservativen unter Einschluss der irischen Unionisten und die Liberalen sowie einige Labour-Abgeordnete sich in Westminster zu einer Koalition zusammenschlossen. 

Asymmetrischer Krieg

In Irland standen sich währenddessen noch immer zwei Armeen gegenüber, die nun nicht mehr länger auf eine Lösung aus London warten wollten. Verschiedene Strömungen des irischen Nationalismus, darunter Katholiken und Sozialisten sowie Vertreter der Gaelic League, trafen sich mit dem Ziel, das sich im Krieg befindende Großbritannien lahmzulegen und die tyrannische britische Herrschaft in ihren Grundfesten zu erschüttern. Ein entsprechender Aufstand des Jahres 1916 sollte später als „Osteraufstand“ in die irische Geschichte eingehen. 1600 leicht bewaffnete Männer besetzten in Dublin das General Post Office und andere strategisch bedeutende Plätze. Die englische Armee schloss die Stadt sofort ein und schlug mit voller Härte zu. Durch die brutale Zerstörung eines Teils der Innenstadt und durch das erbarmungslose Vorgehen gegen die irischen Nationalisten desavouierte sich die britische Macht auch in den Augen derjenigen, die vorher gegen sie die Waffen nicht erhoben hatten. 

Eine Folge des Osteraufstandes war es, dass die irische Parlamentarische Partei in die Bedeutungslosigkeit versank. Sie konnte sich gegen die Kriegskoalition in Westminster nicht mehr profilieren. Im Gegenzug erlebte Sinn Féin einen kometenhaften Aufstieg, der noch verstärkt wurde, als im Vereinigten Königreich die allgemeine Wehrpflicht auf Irland ausdehnt werden sollte. 

Als am 14. Dezember 1918 erstmals seit 1910 wieder Unterhauswahlen abgehalten wurden, und zwar nach einem mittlerweile reformierten, demokratischeren Wahlrecht, entstand in Großbritannien eine ganz neue politische Welt. Die irische Parlamentarische Partei verlor fast alle ihre Sitze an Sinn Féin. Letztgenannte Partei hatte vorher bereits angekündigt, dass ihre gewählten Kandidaten deren Sitze in Westminster nicht einnehmen, sondern stattdessen in Dublin zusammentreten würden. Das geschah, und Sinn Féin bildete darüber hinaus eine provisorische Regierung. Der Einladung an die anderen, London-freundlicheren gewählten Parlamentskandidaten aus Irland mitzumachen kamen diese erwartungsgemäß nicht nach. 

Teilung der Insel

Die neue Regierung bemühte sich um internationale Anerkennung. Sie tat das zunächst vergebens, weil sich vor allem Großbritannien dagegenstemmte. Im eigenen Land aber fand sie sehr schnell Zuspruch. Überall wurden lokale Schiedsgerichte aufgebaut, die unter Sinn-Féin-Beteiligung das englische Rechtssystem allmählich ersetzten. Die Irish Volunteers begriffen sich als Armee der neuen „Irischen Republik“, als Irish Republican Army (IRA). Auf der anderen Seite wurde die Polizei des britischen Staates in Irland mit Offizieren des Weltkrieges verstärkt. Von beiden Seiten gab es brutale Übergriffe, Waffenbeschaffungsmaßnahmen und Ausschreitungen. Es herrschte Krieg.

Dieser unerklärte, asymmetrische Krieg endete vor 100 Jahren, am 11. Juli 1921, mit einem Waffenstillstand. Die anschließenden britisch-irischen Verhandlungen mündeten noch im selben Jahr in den Anglo-Irischen Vertrag. Irland wurde geteilt. Es entstanden ein Irischer Freistaat, ein eigenständiges Herrschaftsgebiet innerhalb des British Empire wie Kanada, Neufundland, Australien, Neuseeland oder Südafrika, aus dem später die heutige souveräne Republik Irland wurde, und ein protestantisch geprägtes Nordirland, das seinen Weg in Anlehnung an Großbritannien suchte.

Heinrich Prinz von Hannover, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, Königlicher Prinz von Großbritannien und Irland, ist ein Urenkel Kaiser Wilhelms II. und ein Urururenkel König Ernst Augusts I. Er arbeitet als Verleger in Göttingen.