23.04.2024

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Folge 26-21 vom 02. Juli 2021 / „Ossis“ / Gefangen im „Jammerdiskurs“ / Der Soziologe Detlef Pollack schildert die Haltung vieler Mitteldeutscher gegenüber dem Westen und plädiert für mehr gegenseitiges Verständnis

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-21 vom 02. Juli 2021

„Ossis“
Gefangen im „Jammerdiskurs“
Der Soziologe Detlef Pollack schildert die Haltung vieler Mitteldeutscher gegenüber dem Westen und plädiert für mehr gegenseitiges Verständnis
Dirk Klose

Wir Ossis müssen anerkennen, dass wir es lieben, uns zu beklagen, dass wir danach lechzen, beleidigt zu werden, dass unser Jammern ein probates Mittel ist, Berücksichtigung einzufordern.“ Derart drastisch beendet der Münsteraner Soziologe Detlef Pollack sein Buch über Protest und Ressentiment in den neuen Bundesländern. Und er setzt noch nach: Die Mitteldeutschen fühlten sich einfach als die besseren Menschen, „man will sich nicht ändern oder dazulernen“.

Der 1955 in Weimar geborene Pollack war Thomaner in Leipzig und hat dort 1984 promoviert. Kurz vor der friedlichen Revolution erhielt er ein West-Stipendium, das ihm Aufenthalte in Zürich und Bielefeld ermöglichte, wo er sich 1994 auch habilitierte. Die Unzufriedenheit der Menschen in der DDR, die sich nach 1989 fortsetzte, ist sein ständig variiertes Thema.

Dezidiert sagt er, nicht die Bürgerbewegungen, sondern das Volk habe mit seinen oft spontanen Demonstrationen das System letztlich zum Einsturz gebracht. Empört ist er, wie bekannte Intellektuelle noch nach dem Mauerfall versucht hätten, dem Volk seinen Einheitswunsch auszureden. Gerade dieses Kapitel hat inzwischen bei ehemaligen Bürgerrechtlern erheblichen Unmut ausgelöst.

Nach der sogenannten Wende zeigt sich für Pollack das bekannte Bild, dass die ursprüngliche Euphorie, jetzt in einer Demokratie zu leben, rasch einer Ernüchterung gewichen sei. Inzwischen habe sich das Blatt aber gewendet. Die Mehrzahl der Menschen sei, so zitiert er demoskopische und soziologische Untersuchungen, mit ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage zufrieden.

Aber eine deutliche Minderheit eben nicht. Sie artikuliere ihr Unbehagen aus einem kränkenden Unterlegenheitsgefühl heraus. Im Vergleich zu den früheren „Bruderstaaten“ in Mitteleuropa seien die Menschen zufrieden, im Vergleich zum Westen gehöre Klagen zur Tagesordnung. Eindringlich appelliert Pollack an sie, aus dem „Jammerdiskurs“ auszusteigen. Dieser Appell steht allerdings gleichauf mit einer Aufforderung an den Westen, offener und toleranter gegenüber den „Ossis“, ihren Sorgen und Problemen zu sein.

Die mitunter etwas strenge soziologische Terminologie verdeckt ein wenig die Aktualität des Buches. Manche Urteile, insbesondere jene über die Oppositionellen und Bürgerrechtsbewegungen in der DDR, sind vielleicht zu skeptisch. Aber das mühsame Zusammenfinden und -leben von Ost und West ist gut wiedergegeben; Es bleibt wohl wirklich noch lange eine Herkulesaufgabe. 

Detlef Pollack: „Das unzufriedene Volk. Protest und Ressentiment in Ostdeutschland von der friedlichen Revolution bis heute“, transcript Verlag, Bielefeld 2020, broschiert, 230 Seiten, 20 Euro