19.04.2024

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Folge 27-21 vom 09. Juli 2021 / Massaker von Jedwabne / „Am 10. Juli 1941 verbrannten Gestapo und Hitler-Polizei 1600 Personen“ / Was damals tatsächlich bei dem Pogrom in der südöstlich von Ostpreußen liegenden polnischen Kleinstadt passierte. Wer die wirklichen Täter waren. Wie die Wahrheit wenigstens teilweise ans Licht kam

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-21 vom 09. Juli 2021

Massaker von Jedwabne
„Am 10. Juli 1941 verbrannten Gestapo und Hitler-Polizei 1600 Personen“
Was damals tatsächlich bei dem Pogrom in der südöstlich von Ostpreußen liegenden polnischen Kleinstadt passierte. Wer die wirklichen Täter waren. Wie die Wahrheit wenigstens teilweise ans Licht kam
Wolfgang Kaufmann

Als „Gerechte unter den Völkern“ ehrt der Staat Israel nichtjüdische Personen, die ihr Leben riskiert haben, um Juden vor dem Holocaust zu bewahren. Aus keinem Land der Welt sind mehr Personen derart geehrt worden als aus Polen. Über 7000 sind es an der Zahl. 

Doch dies ist nur die eine Seite der Medaille. Zur historischen Wahrheit gehört auch, dass viele Polen gewaltsam gegen ihre jüdischen Mitbürger vorgingen, als sie unter die Herrschaft der Nationalsozialisten gerieten. Für die Pogrome gab es zwei Hauptmotive. Da ist zum einen der traditionelle Antisemitismus zu nennen, der sowohl aus dem Glauben an althergebrachte katholische Legenden wie die von den jüdischen Ritualmorden als auch aus der späteren Denunzierung der Juden als antipolnisch resultierte. Zum anderen hatte die sowjetische Besetzung der nach dem Polnisch-Sowjetischen Krieg von den Sowjets an Polen abgetretenen Gebiete im September 1939 den Judenhass anschwellen lassen. Viele Polen sahen in den Juden nun willfährige Handlanger der stalinistischen Okkupanten. Daraus resultierte das Feindbild der „Żydokomuna“ (Judenkommune).

Jedwabne war kein Einzelfall

Vor diesem Hintergrund kam es nach dem Einmarsch der Wehrmacht in das von der UdSSR besetzte sogenannte Ostpolen ab dem 22. Juni 1941 zu einer Vielzahl brutaler Übergriffe auf Juden. Manche ereigneten sich sogar schon, bevor die deutschen Truppen überhaupt vor Ort waren. Pogrome fanden unter anderem in folgenden Dörfern und Städten im Großraum um Białystok und Łomża statt: Wizna (24. bis 26. Juni), Szczuczyn (25. bis 28. Juni), Stawiski (27. Juni bis 5. Juli), Grajewo (29. Juni bis 3. Juli), Goniądz (29. Juni bis 21. Juli), Choroszcz, Bielsk Podlaski, Czyżew, Jasionówka, Kleszczele, Knyszyn, Kuźnica, Narewka, Piątnica, Sokoły, Suchowola, Trzcianne, Tykocin, Wasilków (jeweils Ende Juni/Anfang Juli), Rajgród (Anfang Juli), Wąsosz (4./5. Juli), Kolno (5. Juli), Radziłów (7. bis 9. Juli). Während der damaligen Gewaltausbrüche wurden mehr als 3000 Juden auf grausam Weise ermordet. 

Die meisten Toten gab es wahrscheinlich in Radziłów. Zum Inbegriff all dieser von Polen veranstalteten Pogrome wurde indes das Massaker von Jedwabne. Die Bluttat, die rund 340 Menschen das Leben kostete, ereignete sich vor 80 Jahren, am 10. Juli 1941. Es fing damit an, dass etwa 40 jüdische Männer, darunter auch der örtliche Rabbiner Awigdor Białostocki, eine Lenin-Statue zertrümmern und dann deren Bruchstücke unter dem Absingen kommunistischer Lieder durch das Städtchen schleppen mussten. Anschließend wurden die Unglücklichen von gut drei Dutzend Polen vor der Scheune des Bauern Bronisław Śleszyński massakriert und eiligst verscharrt. Danach sperrte der Mob sämtliche übrige Juden aus Jedwabne und der Umgebung, darunter nun auch Frauen und Kinder, in der Scheune ein und zündete das Gebäude an, entsprechend dem Muster, nach dem in den Tagen zuvor bereits viele andere Pogrome verlaufen waren.

Als Haupttäter beziehungsweise Anstifter ermittelte die polnische Justiz nach dem Krieg den früheren Sowjetkollaborateur Karol Bardon, das Brüderpaar Jerzy und Zygmunt Laudański sowie den kommissarischen Bürgermeister von Jedwabne, Marian Karolak. Zehn der zweifelsfrei als Tatbeteiligte identifizierten Personen wurden im Mai 1949 dafür rechtswirksam verurteilt, einer davon, Bardon, zum Tode. Das Urteil wandelte der Staatspräsident Bolesław Bierut später in 15 Jahre Haft um. Trotz der eindeutig geklärten Schuldfrage errichtete die Stadtverwaltung von Jedwabne in den 1960er Jahren einen Gedenkstein am Ort der Scheune, auf dem stand: „Hier ereignete sich ein Martyrium der jüdischen Bevölkerung. Am 10. Juli 1941 verbrannten Gestapo und Hitler-Polizei 1600 Personen bei lebendigem Leib.“

Geschichtsrevision ab 2000

Gegen diese dreiste Geschichtsfälschung wurde erst Anfang 2000 Einspruch erhoben. Er kam von dem jüdischstämmigen Historiker Jan T. Gross. Anlässlich des Erscheinens seines Buches „Nachbarn. Der Mord an den Juden von Jedwabne“ nahm das polnische Instytut Pamięci Narodowej (IPN, Institut für Nationales Gedenken) offizielle staatsanwaltliche Ermittlungen auf. In deren Verlauf fanden sich keine neuen Tatverdächtigen und auch keine Dokumente, die explizit auf eine deutsche Beteiligung hindeuten. Die wenigen Vertreter des Reiches vor Ort schienen tatsächlich nur beobachtet zu haben, ohne selbst einzugreifen. Deshalb konstatierte der IPN-Chefermittler Radoslaw Ignatiew schließlich: „Es waren Polen, welche die entscheidende Rolle bei der Ermordung der Juden von Jedwabne spielten.“ Folgerichtig bat der polnische Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski im Juli 2001 um Vergebung für das Geschehene, und sein Nachfolger Bronisław Komorowski wiederholte diese symbolische Geste zehn Jahre später. 

Damit endete allerdings die in Polen geführte Diskussion über das genaue Ausmaß der deutschen Verwicklung in die Vorgänge des Juni/Juli 1941 nicht. Manche der vorgebrachten Argumente zeugen einfach nur von dumpfen nationalistischen Ressentiments, aber andere verdienen durchaus Beachtung. So konnte der polnische Historiker Edmund Dmitrów 2004 in seinem Aufsatz „Die Einsatzgruppen der deutschen Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes zu Beginn der Judenvernichtung im Gebiet von Lomza und Białystok im Sommer 1941“ nachweisen, dass der Chef des Reichssicherheitshauptamtes, SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, Ende Juni 1941 in einigen Schreiben an die Leiter der vier Einsatzgruppen an seine vorherigen mündliche Befehle erinnert hat, „Selbstreinigungsbestrebungen antikommunistischer oder antijüdischer Kreise … spurenlos auszulösen“. Ein klarer Beleg für eine Beauftragung oder Anstiftung der Mörder von Jedwabne ist dies jedoch nicht.

Dahingegen kann davon ausgegangen werden, dass es auch Polen gab, die einigen der in Lebensgefahr befindlichen Juden aus Jedwabne halfen und deswegen später von ihren Landsleuten verfolgt wurden. Dazu zählen Antonina Wyrzykowska und deren Ehemann Aleksander Wyrzykowski, die seit 1976 von Israel zu den „Gerechten unter den Völkern“ gezählt werden.