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Folge 28-21 vom 16. Juli 2021 / Forschung / „Heiliger Gral unter den Energiequellen“ mit Risiken / Das gasförmige Isotop Helium-3 könnte kommerziell in Fusionsreaktoren für die Stromerzeugung genutzt werden – Kritiker widersprechen dieser Theorie

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-21 vom 16. Juli 2021

Forschung
„Heiliger Gral unter den Energiequellen“ mit Risiken
Das gasförmige Isotop Helium-3 könnte kommerziell in Fusionsreaktoren für die Stromerzeugung genutzt werden – Kritiker widersprechen dieser Theorie
Wolfgang Kaufmann

Das gasförmige Isotop Helium-3 wird neuerdings gern zum idealen „Energielieferanten der Zukunft“ oder gar zum „Heiligen Gral unter den Energiequellen“ hochstilisiert. Das resultiert aus seinen physikalisch-chemischen Eigenschaften.

Bis etwa zum Jahre 2050 sollen erste, kommerziell nutzbare Fusionsreaktoren zur Stromerzeugung entstehen, in denen es zu einer Verschmelzung von Atomkernen kommt. Jedoch ist auch diese Form der Energiegewinnung nicht so sauber, wie oft behauptet. So würden bei der Fusion der Kerne von Deuterium (Schwerer Wasserstoff) und Tritium (Überschwerer Wasserstoff) zahlreiche überschüssige Neutronen entstehen, was zur Folge hätte, dass die Wand des Reaktors alsbald radioaktiv zu strahlen begänne. Dieser Fall wäre allerdings nicht gegeben, wenn Helium-3 zum Einsatz käme. Während normales Helium einen Atomkern besitzt, der aus zwei Protonen und zwei Neutronen besteht, findet sich in Helium-3 nur ein Neutron. Dadurch würden bei der Fusion von Helium-3 mit einem weiteren Kernbrennstoff wie Deuterium nur unproblematische Protonen freigesetzt – zumindest theoretisch.

Vermischung von Atomkernen droht

Der britische Teilchenphysiker Francis Close errechnete, dass beim Einsatz von Helium-3 und Deuterium eine unkontrollierte Vermischung von Atomkernen droht, weswegen am Ende wieder normale Helium-Kerne und damit freie Neutronen entstehen könnten. Außerdem liefe die Fusion wohl einhundert Mal langsamer ab als bei einer Deuterium-Tritium-Kombination, worunter die Effizienz des Verfahrens leiden würde. Ebenso sieht Close keinen Sinn darin, ausschließlich Helium-3-Kerne zu verschmelzen, um so die unerwünschte Neutronenbildung zu vermeiden: Das dürfte die Fusion noch mehr bremsen sowie Drücke und Temperaturen im Reaktor erfordern, welche technisch nicht beherrschbar seien. Aus all dem zog der emeritierte Professor der University of Oxford den eindeutigen Schluss: „Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Helium-3-Fusion eine brauchbare Energiequelle ist. Im Gegenteil, es sprechen gute physikalische Gründe dafür, dass eine Fusion mit diesem Brennstoff sogar schwieriger ist als mit Wasserstoffisotopen.“ Und das wäre auch bloß die eine Seite der Medaille.

Ein häufig angeführter Vorteil von Helium-3 besteht darin, dass man sehr wenig davon bräuchte, um per Kernfusion Energie zu erzeugen: Mit 145 Tonnen Helium-3 könnte der gesamte Weltenergiebedarf eines Jahres abgedeckt werden. Allerdings ist das Isotop nur in äußerst geringen Mengen vorhanden. Die Erdatmosphäre besteht lediglich zu 0,000138 Prozent aus Helium-3, welches vorrangig durch die Einwirkung von kosmischer Strahlung entsteht. Die gesamte verfügbare Menge an Helium-3 auf unserem Planeten liegt bei etwa 3000 bis 4000 Tonnen. Darüber hinaus sammelt sich das Isotop in Kernwaffen, welche Tritium als Zündmittel enthalten. Alles in allem beträgt die derzeitige Jahresproduktion von Helium-3 aber nur acht bis 15 Kilogramm.

Nur wenig Helium-3 benötigt

Während die Erde also kein guter Lieferant für den vermeintlich perfekten Kernbrennstoff der Zukunft ist, gibt es eine andere, wesentlich ergiebigere Quelle. Und das ist der Mond. Auf dem Erdtrabanten vermuten Wissenschaftler bis zu eine Milliarde Tonnen Helium-3. Denn die Mondoberfläche wird unablässig vom „Sonnenwind“ getroffen, also dem kontinuierlichen Strom geladener Teilchen, welcher von unserem Zentralestirn ausgeht. Jedoch gibt es natürlich auch erhebliche technische Hürden für den Abbau von Helium-3 auf dem Mond. Zwar stehen mittlerweile Roboter wie der solarbetriebene Mark-III-Miner zur Verfügung, der an der University of Wisconsin entwickelt wurde und in der Lage sein soll, pro Jahr 66 Kilogramm Helium-3 aus dem Mondgestein zu gewinnen. Allerdings müssten dann 2200 solcher Maschinen auf dem Mond operieren, um die 145 Tonnen zu fördern, welche den Strombedarf der Erdbevölkerung decken sollen. Und das dürfte wohl noch sehr lange Zeit utopisch sein – ganz abgesehen davon, dass der Weltraumvertrag von 1967 hier auch enge rechtliche Grenzen setzt.

Das gilt im Prinzip ebenso für die Pläne, das Helium-3 von noch weiter her auf die Erde zu holen. In der Atmosphäre der großen Gasplaneten des Sonnensystems Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun befindet sich ebenfalls verhältnismäßig viel von dem Isotop. So ermittelte das Massenspektrometer der NASA-Raumsonde „Galileo“ eine Helium-3-Konzentration in der Jupiter-Atmosphäre, welche rund doppelt so hoch ist wie jene auf der Mondoberfläche. Aufgrund dessen prüfte die US-Weltraumbehörde die Möglichkeit, Sonden zu den äußeren Gaskugeln zu schicken, um das dortige Helium-3 „abzuschöpfen“. Das Ergebnis der Überlegungen wurde in der Studie „Atmospheric Mining in the Outer Solar System“ zusammengefasst: Die gigantische Anziehungskraft des Jupiters stelle ein zu großes Hindernis dar, beim Saturn würden die vielen Ringe stören und der Neptun sei zu weit entfernt. Somit bliebe der Uranus. Einigen Astrophysikern zufolge könnte die Menschheit mehrere Millionen Jahre lang Helium-3 aus der Atmosphäre des blaugrünen Riesenplaneten gewinnen.