24.04.2024

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Folge 28-21 vom 16. Juli 2021 / Bizerte-Krise / Als Frankreich seine Afrikakriege noch ohne Bundeswehr führte / Im Schatten des Algerienkrieges bekriegte die Grande Nation vom 19. bis zum 23. Juli 1961 auch ihre vormalige Kolonie Tunesien

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-21 vom 16. Juli 2021

Bizerte-Krise
Als Frankreich seine Afrikakriege noch ohne Bundeswehr führte
Im Schatten des Algerienkrieges bekriegte die Grande Nation vom 19. bis zum 23. Juli 1961 auch ihre vormalige Kolonie Tunesien
Manuel Ruoff

In einer Zeit, in der die Bundeswehr sich aus Afghanistan zurückzieht, aber dafür umso mehr „europäische Solidarität“ mit Frankreich in Mali zeigen soll, sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Mali zum französischen Kolonialreich gehört hat und jenes bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg Bestand hatte, in Form der sogenannten Überseegebiete in gewisser Hinsicht sogar bis heute Bestand hat. Wie Mali gehörte zu diesem Kolonialreich auch Tunesien. Erst 1956 erkannte Frankreich die Unabhängigkeit Tunesiens an, behielt aber die Militärbasis in der Hafenstadt Bizerte an der Straße von Sizilien.

Zur Entlassung Tunesiens in die Unabhängigkeit kam es nicht zuletzt deshalb, weil Frankreich seine Kräfte auf den Algerienkrieg konzentrieren wollte. In diesem spielte Frankreichs Militärstützpunkt Bizerte eine nicht unwichtige Rolle. Französische Flugzeuge konnten von dort aus viel schneller in den Algerienkrieg eingreifen als vom französischen Festland oder Korsika aus. Das machte die Enklave für Tunesien zu einem zusätzlichen Ärgernis, sympathisierten die Tunesier doch mit dem Freiheitskampf ihrer algerischen Nachbarn. Tunesien forderte daher die Aufgabe der Militärbasis, doch Frankreich hielt seine vormalige Kolonie hin.

Zu einer Verschärfung der Situation kam es, als Frankreich, um größere Flugzeuge gegen die Algerier einsetzen zu können, ohne Vorankündigung die Landebahn der Basis über deren Grenze 

hinaus auf das Territorium der Tunesischen Republik verlängerte. Tunesien verhängte daraufhin eine Blockade über den Stützpunkt. Er wurde von tunesischen Truppen umzingelt und der Luftraum für französische Flugzeuge gesperrt. Frankreich missachtete die Sperre mit einem Hubschrauberflug, worauf die tunesischen Streitkräfte mit Warnschüssen reagierten. 

Als die Franzosen dann auch noch mit Transportflugzeugen 800 Fallschirmjäger in die Basis verlegten, machten die Tunesier ernst und reagierten mit gezieltem Maschinengewehrfeuer. Es wurde scharf geschossen. Frankreich und Tunesien befanden sich im Krieg.

Der waffentechnischen Überlegenheit der europäischen Industrienation war das afrikanische Entwicklungsland nicht gewachsen. Die Franzosen setzten schwere Waffen – Panzer, Haubitzen, Kriegsflugzeuge, Raketen, Kriegsschiffe – ein. Sie brachen aus ihrer umzingelten Militärbasis aus und drangen rund 25 Kilometer auf das umliegende Territorium der Tunesischen Republik vor. Parallel wurde von drei vor der tunesischen Küste liegenden französischen Kreuzern aus der Hafen von Bizerte gestürmt.

Militärisch war die französische Aktion ein voller Erfolg. Bizerte wurde von den französischen Truppen erobert. Tunesien willigte nolens volens in einen von Frankreich angebotenen Waffenstillstand ein. Am 23. Juli 1961 hatte die Atom- und Kolonialmacht den wenige Tage zuvor am 19. Juli begonnenen Krieg gegen ihre vormalige Kolonie gewonnen. 

Auf dem Gebiet der Diplomatie hielt sich der Erfolg für Frankreich in Grenzen. Die Weltgemeinschaft war über das imperialistische Verhalten der Grande Nation entsetzt. Und in der westlichen Wertegemeinschaft sah man die Nachteile und Gefahren des französischen Vorgehens. Immerhin galt die Regierung in Tunis als prowestlich. Nichtsdestoweniger verhinderten die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich in westlicher Solidarität zusammen mit Frankreich selbst eine Aufforderung des UN-Sicherheitsrats an Frankreich sich zurückzuziehen.

Auf Einladung der tunesischen Seite und gegen den Willen der französischen kam der UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld höchstpersönlich am 24. Juli nach Bizerte. Unter Vermittlung der Vereinten Nationen kam es schließlich zu einer Lösung. Frankreich konnte bis auf Weiteres die für seinen Algerienkrieg wichtige Basis weiterbetreiben und überließ sie anschließend, am 15. Oktober 1963, Tunesien. Der kurze Kampf zwischen Goliath und David hatte nur 24 bis 27 französischen, aber dafür 630 tunesischen Kombattanten das Leben gekostet, von den Toten unter Tunesiens Zivilbevölkerung ganz zu schweigen.