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Folge 29-21 vom 23. Juli 2021 / Afghanistan / „Millionen ungelöster Probleme“ / Die Taliban erobern die Mehrheit aller Bezirke – China drängt ins Machtvakuum

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-21 vom 23. Juli 2021

Afghanistan
„Millionen ungelöster Probleme“
Die Taliban erobern die Mehrheit aller Bezirke – China drängt ins Machtvakuum
Manuela Rosenthal-Kappi

Nach dem Abzug der US- und ihrer verbündeten NATO-Truppen aus Afghanistan ist die geopolitische Lage in Zentralasien in Schieflage geraten. In Afghanistan haben die Taliban zwei Drittel der Bezirke ohne große Gegenwehr der afghanischen Regierungseinheiten erobert. Teile der Dschihadisten halten die Grenzübergänge nach Tadschikistan, Turkmenistan, zum Iran und nach Pakistan besetzt.

Es ist eine Lage entstanden, die aus verschiedenen Gründen weder Russland noch China oder Indien gefällt. 1000 afghanische Regierungssoldaten sind nach Kämpfen mit den Taliban ins benachbarte Tadschikistan geflohen. Die Regierung in Duschanbe befürchtet, dass es noch mehr werden könnten und sie ihre Grenze nicht verteidigen könne. Russland, das einen Militärstützpunkt in Tadschikistan unterhält, wäre in dem Fall als Verbündeter und Schutzmacht verpflichtet, militärisch einzugreifen. Eine Vorstellung, die in Moskau nach dem Trauma von 1979 bis 1989 wenig Gefallen findet. Der Kreml setzt deshalb auf Diplomatie. Vor Kurzem besuchten Taliban-Vertreter Moskau. Sie verlangten von der russischen Regierung, sich für die Aufhebung der 1988 verhängten Sanktionen – Einfrieren von Vermögenswerten, Waffenembargos und Reiseverbote – bei der UN einzusetzen.

China ist ebenfalls ein Land, das seit einigen Jahren mit den Taliban spricht. Der Grund ist einleuchtend. Chinesische Unternehmen haben in afghanische Minen und den Straßenbau sowie andere Infrastrukturprojekte investiert. Sie fürchten um ihre Investitionen. Hinzu kommt, dass die afghanische Regierung den Wachankorridor, einen schmalen Landstrich im Nordosten des Landes, zwischen der Grenze zu Tadschikistan und Pakistan sowie einer kurzen Strecke zwischen Afghanistan und China im Osten, aufgegeben hat. Für China ist das eine strategisch wichtige Gegend, die an die Region Xinjiang angrenzt. Es handelt sich um ein autonomes Gebiet im Nordwesten Chinas, in der ethnische Minderheiten, darunter die turksprachigen Uiguren, leben. Durch Xinjiang führte die alte Seidenstraße. Im Untergrund operiert dort die zentralasiatische Islamische Turkestan-Partei, die einen radikalen Islam vertritt.

Der chinesische Außenminister Wang Yi reiste jüngst in die drei asiatischen Staaten Turkmenistan, Tadschikistan und Usbekistan. Dort bekundete er, gemeinsame Kräfte gegen die drei Übel „Terrorismus, Separatismus und Extremismus“ bündeln zu wollen. Wang sagte finanzielle oder technische Hilfe bei der Grenzsicherung zu nach Chinas Motto: „Helfen, aber nicht einmischen“. Ob es China in Zukunft allerdings gelingen wird, seine Nicht-Einmischungs-Politik fortzusetzen, ist angesichts der Bedrohung an seinen Grenzen fraglich. Wie das online-Magazin „The Diplomat“ berichtet, zeigt China militärische Präsenz in Tadschikistan in nur 16 Kilometern Entfernung von der afghanischen Grenze.

Chinas Interesse an einer stabilen Lage in Afghanistan gilt der Sicherung seiner wirtschaftlichen Vorhaben. Im Rahmen des Projekts Neue Seidenstraße arbeitet das Reich der Mitte vertieft mit dem islamischen Pakistan zusammen. Eine der größten chinesischen Auslandsinvestitionen ist der China-Pakistan Economic Corridor mit einem Investitionsvolumen zwischen 46 und 65 Milliarden US-Dollar. Bei fortgesetzten Turbulenzen droht Afghanistan ein Sammelbecken für den radikalen Islam zu werden, der auch auf Pakistan übergreifen könnte. Indien, das ebenfalls in Afghanistan investiert, befürchtet, dass Flüchtlingsströme und reaktivierte Al-Kaida-Kämpfer ins Land kommen könnten. 

Die zurückgekehrten Taliban nutzen die aktuelle Situation, um auf Werbetour zu gehen. Sowohl Russland als auch China verhandeln mit deren Vertretern. Der Taliban-Sprecher Suhail Shaheen zeigte sich selbstbewusst: „Wir haben China mehrmals besucht und haben gute Beziehungen zu den Chinesen. Wenn sie investieren wollen, garantieren wir natürlich für ihre Sicherheit. China ist ein freundliches Land, das wir für den Wiederaufbau und die Entwicklung Afghanistans willkommen heißen.“ So ist möglicherweise die Öffnung des afghanischen Marktes für zukünftige Investitionen gesichert. Eine Delegation der Taliban soll auch den Iran besucht haben.

20 Jahre „Internationaler Kampf gegen den Terrorismus“ haben dem kriegsgebeutelten Land Afghanistan wenig gebracht. Weder konnte eine Demokratie nach westlichem Vorbild etabliert werden noch gibt es eine funktionierende Regierung. Während in Kabul die westliche Lebensweise angenommen wurde, verharrten die Dörfer in ihren Traditionen, die von Warlords und Familienclans dominiert sind. Bei ihnen dürften die Taliban auf wenig Widerstand stoßen.

Unter Frauen und Kindern steigt derweil die Zahl der Heroin- und Opium-Abhängigen. Über die von Taliban besetzten Grenzen floriert der Drogenhandel, über den sie sich finanzieren. Viele Afghanen urteilen über die Amerikaner: „Sie brachten tausende Gräber und Millionen ungelöster Probleme.“