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Folge 29-21 vom 23. Juli 2021 / Militär / Wettrüsten in Ostpreußen / Die Entwicklung der russischen Atomwaffen im Königsberger Gebiet von den Anfängen bis heute

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-21 vom 23. Juli 2021

Militär
Wettrüsten in Ostpreußen
Die Entwicklung der russischen Atomwaffen im Königsberger Gebiet von den Anfängen bis heute
Wolfgang Kaufmann

Im Juli 1945 wurde der Nordteil des von der Roten Armee besetzten Ostpreußen mit Ausnahme des Memellandes zum Militärischen Sonderbezirk (Osobennij Wojennij Okrug) erklärt und dann am 7. April 1946 durch einen Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR als „Kenigsbergskaja Oblast“ in den Verband der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) eingegliedert. Seitdem standen und stehen in der Exklave, die seit dem 4. Juli 1946 „Kaliningradskaja Oblast“ heißt, erst sowjetische und dann russische Land-, Luft- und Seestreitkräfte. Und diese waren spätestens ab 1959 auch im Besitz von Atomwaffen.

Kernwaffen ab 1959 im Gebiet

Im Mai jenen Jahres stationierte die Sowjetunion im Zuge der Berlin-Krise erstmals zwölf mit nuklearen Sprengköpfen bestückte Raketen vom Typ R-5M in der DDR. Die Abschussrampen für die Mittelstreckenraketen, deren Reichweite 1200 Kilometer betrug, standen in Vogelsang bei Oranienburg und Fürstenberg an der Havel. Nach geheimen Verhandlungen zwischen Moskau und Washington im August 1959 wurden diese Waffensysteme in das Königsberger Gebiet verlegt. Zum dortigen Bestand der Roten Armee gehörten sie möglicherweise bis 1967.

Diesen R-5M folgten Anfang der 1960er Jahre weitere, modernere Kernwaffenträger wie die Mittelstreckenraketen R-12 und R-14 mit 2000 bis 4500 Kilometern Reichweite sowie die Kurzstreckenrakete 9K52 Luna-M. Dazu kamen dann zwischen 1985 und 1988 noch ballistische Boden-Boden-Raketen der Typen 9K76 Temp-S und 9K714 Oka samt ihren Nukleargefechtsköpfen AA-19, AA-75, AA-81 und AA-92 mit einer variabel einstellbaren Sprengkraft zwischen 10 und 1500 Kilotonnen Trinitrotoluol (TNT).

Zum Vergleich: Die US-amerikanische Hiroshima-Bombe „Little Boy“ explodierte im August 1945 mit der Wucht von 13 Kilotonnen TNT. Rund 33 Exemplare der 9K714 Oka stationierte die Sowjetunion in Ludwigsort [Laduschkin]. Außerdem trafen 1988 in Insterburg [Tschernjachowsk] 27 Raketen des Typs 9K76 Temp-S der 152. Selbstständigen Garde-Raketenbrigade der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland ein, welche aus ihren DDR-Operationsbasen Warenshof und Wokuhl-Dabelow abgezogen worden waren.

Durch den Washingtoner Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme vom 8. Dezember 1987 erfolgte bis zum 1. Juni 1991 die komplette Außerdienststellung der genannten Atomraketen. Jedoch beschuldigten sich Russland und die USA seit Anfang der 2000er Jahre gegenseitig des Vertragsbruchs. Washington machte beispielsweise geltend, dass Moskau verbotenerweise über ein mobiles taktisches Raketensystem namens 9K723 Iskander-M verfüge, das auch die ballistische Kurzstreckenrakete 9M723 abfeuern könne. Diese Rakete vermag wahrscheinlich bis zu 500 Kilometer weit zu fliegen und Nuklearsprengköpfe vom Typ AA-86 und AA-92 zu tragen. Sie ersetzt die ältere Boden-Boden-Rakete vom Typ 9K79 Totschka, deren Reichweite nur bei maximal 120 Kilometern lag.

Das Iskander-System wurde ebenfalls im Königsberger Gebiet stationiert: Nachdem die russische Seite dies zunächst mehrfach dementiert hatte, präsentierte sie die Raketen schließlich im Mai 2018 der Presse. Als Grund für die Verlagerung in die Exklave an der Ostsee nannte Moskau unter anderem die vorhergehende Verlegung von vier NATO-Bataillonen in die drei baltischen Staaten und nach Polen. Jedenfalls wären die 9M723-Raketen der nach wie vor existierenden 152. Raketenbrigade in Insterburg in der Lage, Warschau, Berlin, Wilna, Riga und Kopenhagen zu erreichen.

Ziele von Riga bis Berlin möglich

Und dabei sind die Iskander-Raketen heute nicht einmal die einzigen Kernwaffenträger im Raum rund um Königsberg. Die 132. Gemischte Flieger-Division der russischen Marineluftwaffe, welche ebenfalls die Basis im früheren Insterburg nutzt, verfügt ihrerseits auch noch über das Antischiffsraketensystem P-800 Oniks mit Nukleargefechtskopf.

Darüber hinaus teilte das russische Verteidigungsministerium parallel zur  Vorführung der  9K720 Iskander in Königsberg mit, man habe nun eine neuartige kleine Atomrakete mit dem Namen Ch-47M2 Kinschal getestet. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass diese inzwischen gleichermaßen in der Königsberger Region stationiert wurde. Bei der ballistischen Hyperschall-Luft-Boden-Rakete handelt es sich um einen Flugkörper, der zehnfache Schallgeschwindigkeit erreichen und angeblich bis zu 2000 Kilometer zurücklegen kann.

Das entsprechende unterirdische Lager für die Nuklearsprengköpfe all dieser Waffensysteme befindet sich vermutlich in Elchdorf [Kulikowo]. Satellitenfotos zeigen dort drei Bunkeranlagen, die zwischen 2002 und 2010 sowie dann nochmals zwischen 2016 und 2018 mit erheblichem Aufwand erweitert wurden. Von dort aus führen relativ kurze Wege zu den Stützpunkten sämtlicher russischer Militäreinheiten im Königsberger Gebiet, die Atomwaffen einsetzen könnten.

Russlands Königsberger Exklave ist und war Standort diverser Raketensysteme mit und ohne nuklare Sprengköpfe: Das Flugabwehrraketensystem S-400 wird für eine Militärparade in Königsberg vorbereitetFoto: Igor Zarembo/Sputnik/pa