26.04.2024

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Folge 30-21 vom 30. Juli 2021 / Ursachen und Folgen eines Scheiterns / Nach fast zwanzig Jahren zog die Bundeswehr Ende Juni aus Afghanistan ab. War die Truppe einst mit großen Zielen an den Hindukusch gezogen, waren zuletzt alle Beteiligten froh, dass es vorbei ist. Die Auswirkungen strahlen bis in die Sahelzone aus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-21 vom 30. Juli 2021

Ursachen und Folgen eines Scheiterns
Nach fast zwanzig Jahren zog die Bundeswehr Ende Juni aus Afghanistan ab. War die Truppe einst mit großen Zielen an den Hindukusch gezogen, waren zuletzt alle Beteiligten froh, dass es vorbei ist. Die Auswirkungen strahlen bis in die Sahelzone aus
Richard Drexl

Und dann schiebt sich das Taxi, auf dem Mittelstreifen der Autobahn, langsam am Bus vorbei. Deutsche Soldaten sitzen darin, am Ende ihres Einsatzes, auf dem Weg zum Flughafen von Kabul, sie sollen in die Heimat zurückkehren.
Eine Explosion, eine Detonation, eine Druckwelle. Das Taxi hat 150 Kilogramm Sprengstoff geladen, der Bus fliegt durch die Luft. Vier Soldaten sterben, 29 werden zum Teil schwer verletzt, die meisten kämpfen seither mit ihrem Kriegstrauma. Und führen ein schwer beschädigtes Leben. Das Attentat fand vor vielen Jahren statt, am 7. Juli 2003 in Kabul. Und doch steht zu befürchten, dass viele der Überlebenden weiterleben wie tot.“

Mit diesen Schilderungen beginnt ein vor wenigen Tagen erschienener Artikel, in dem sich eine deutsche Krankenschwester nach ihrem Einsatz in Afghanistan an einen der schwärzesten Tage gleich zu Beginn der Mission am Hindukusch erinnert. Sie saß zwar selbst nicht im Bus, hatte aber den Abend vorher mit drei der vier gefallenen Soldaten zusammengesessen. Nach diesem Anschlag sei alles anders gewesen: „Plötzlich war jegliches Vertrauen weg und wir wagten uns nur noch in gepanzerten Fahrzeugen raus.“ Jedem Zivilisten waren ab diesem Zeitpunkt potentiell Attentate zuzutrauen.

Das Gefühl von Sinnlosigkeit

Jeder Zivilist konnte nun zur Gefahr werden‚ „Ziel erreicht“ dürften sich die Taliban-Auftraggeber des Anschlags gesagt haben. Die Angst entwickelte sich fortan zu einer Art Trennmauer zwischen den fremden Truppen und der afghanischen Zivilbevölkerung. Die Militärs gingen nicht mehr ohne Hemmungen auf die Einwohner zu, jeder konnte zur Bedrohung durch einen Bombengürtel oder Schlimmeres werden. Vor dem Verteilen von Süßigkeiten an Kinder stand plötzlich die Sorge um die eigene Gesundheit.

Die Folgen liegen auf der Hand: Der unbefangene Umgang mit den Menschen, um die es bei dem Einsatz eigentlich gehen sollte, war dahin, ein Gefühl der Verunsicherung legte sich über die Truppe. Jeder Gesprächstermin und jede Fahrt außerhalb des geschützten Lagers bedurften einer sorgfältigen Vorbereitung, die Eigensicherung nahm viel Zeit und Energie in Anspruch. Was nicht zu kritisieren ist, wir als Beteiligte hätten in einer vergleichbaren Situation ähnlich gehandelt. Dafür sorgt schon der Überlebenswille des Menschen. Schließlich war der geschilderte Anschlag ja auch nur der Anfang einer langen Reihe von Angriffen auf die fremden Soldaten im Land.

Der Krankenschwester zufolge wurde die Arbeit bis dahin von den eigenen Truppen, vor allem aber von den Ärzten und Pflegern im eingerichteten Militärhospital mit großem Engagement verrichtet. Es herrschte eine gewisse Zuversicht, die Situation im Lande verbessern und Sinnvolles bewirken zu können. Hilfsbedürftige seien scharenweise gekommen und hätten um Hilfe gebeten: Verletzte durch Minen und Brände, kranke und Not leidende Menschen aus allen Richtungen. Nach dem Anschlag war die vorurteilslose und oft genug lebensrettende Hilfe ohne sorgfältige Absicherungsmaßnahmen kaum noch möglich.

In der Folge hinterfragten die Soldaten auch zunehmend den Nutzen ihrer Mission, mit den Ängsten machte sich ein Gefühl der Sinnlosigkeit breit. Zunehmend schlichen sich Fragezeichen in die internen Diskussionen: Lassen sich Demokratie und moderne Staatsorganisation tatsächlich exportieren? Hatten nicht vor langer Zeit bereits die Engländer sowie in den 1980er Jahren die Sowjets vergeblich versucht, Afghanistan militärisch zu kontrollieren?
Wie eine Besatzungsmacht

Aus den ersten tragischen Erfahrungen hat die Bundeswehr Konsequenzen gezogen und massiv aufgerüstet. Es dauerte zwar Jahre, doch nach und nach wurden Transportfahrzeuge mit dickem Panzerstahl angeschafft, schusssichere Westen ausgegeben, regelmäßige Fahrtrouten variiert und vieles andere mehr. Die Kehrseite der Medaille war, dass die deutschen Soldaten in ihren riesigen Fahrzeugen bald wie die Amerikaner daherkamen: als Mitglieder einer Besatzungsmacht. Spätestens ab dieser Phase – mithin vor bereits 15 Jahren – hätte eine ernsthafte Diskussion über Ziele und Grenzen des Militäreinsatzes einsetzen müssen.

Die Erfolgsaussichten des „Brücken bauen und Mädchenschulen einrichten“ durch zum Eigenschutz bewaffnete Bundeswehrkontingente schwanden dahin. Sie verwehten im innerafghanischen Gegeneinander der Völkerschaften wie auch im Gegenwind der im Untergrund und in Pakistan lauernden Widerstandsgruppen.
Es fehlte offenkundig vor Ort eine auch nur halbwegs tragfähige Ausgangsbasis, auf die die Hilfen westlicher Staaten in der frakturierten und rückständigen Gesellschaft hätten aufbauen können. Als 2002/2003 die Schreckensherrschaft der Taliban weggebombt war, wäre der kriegerische Teil der UN-Mandate zu beenden gewesen. Mehr war nicht zu erreichen, dieses Land muss seinen eigenen Weg gehen. Eine bittere Erkenntnis, die seither gefallenen und traumatisierten Soldaten mitsamt dem immensen Aufwand haben nicht zum gewünschten Erfolg geführt. Ob unter diesen Umständen der Wiederaufbau des Landes über die zivile Mission der Vereinten Nationen UNAMA (United Nations Mission in Afghanistan) hätte weitergehen können, wäre damals allerdings nicht weniger fraglich gewesen als dies heute nach dem Abzug der NATO-Truppen fraglich geworden ist.

Hier wird auch die Unwucht deutlich, in die sich das Afghanistan-Szenario insgesamt entwickelt hat. In weiten Teilen der Medien wird das westliche Engagement auf den militärischen Einsatz reduziert. Das war aber lediglich ein kleiner Ausschnitt der ursprünglichen Absichten der Vereinten Nationen. Der Großteil des Aufwandes sollte – mit militärischer Absicherung – in den Aufbau staatlicher Strukturen und die Entwicklung des Landes gesteckt werden. Im Laufe der Zeit scheint dies in den Hintergrund geraten zu sein. Dafür wären auch ein sehr viel längerer Atem und ein x-Faches an zivilen Ressourcen erforderlich gewesen. Den Verantwortlichen scheint immerhin klar gewesen zu sein, dass dem Land mit militärischen Mitteln allein nicht zu helfen ist.

Die Bundeswehr soll zu Hause bleiben

Nachdem sich im Laufe der Zeit die Fragezeichen zum Afghanistan-Einsatz häuften, erstaunt umso mehr, dass die deutsche Politik fast zwanzig Jahre daran festgehalten hat. Schließlich hat sich Deutschland mit dem prägenden Faktor der schwierigen deutschen Geschichte zu einem pazifistisch geprägten Sonderfall im Bündnis wie auch in der Europäischen Union entwickelt. Jedes Land unseres Kulturkreises vermeidet nach Möglichkeit gefallene Söhne und Töchter, das sollte selbstverständlich sein. Wenn es in anderen Nationen aber zum politischen Instrumentenkasten gehört, auch mit militärischen Mitteln nationale Interessen außerhalb der eigenen Landesgrenzen durchzusetzen, gilt dies in Deutschland gesellschaftlich mehr oder weniger als verpönt. Dies verstärkt zusätzlich die überaus starke Schutzhaltung den eigenen Einsatzkräften gegenüber.
Das Leben und die körperliche Unversehrtheit von Soldaten genießen einen immens hohen Stellenwert. Die beste Ausrüstung für gefährliche Einsatzaufgaben ist gerade gut genug und das ist gut so. Andererseits dürfte aber auch kein Feuerwehrmann mehr auf eine Leiter geschickt werden, sollte jegliche Gefährdung ausgeschlossen werden.
Nicht sehr verwunderlich in dieser Gemengelage ist, dass die beschriebenen Ohnmachtsgefühle der Soldaten vor Ort auch genährt werden durch Verwandten- und Freundeskreise zu Hause, in denen es nicht selten ebenfalls an Unterstützung für die Auslandseinsätze fehlt. Repräsentative Umfragen ergeben ein überwiegend eindeutiges Bild: Die Bundeswehr soll zu Hause bleiben und Auslandseinsätze anderen überlassen.
Diese Skepsis, die die Bevölkerung mittlerweile laut diversen Umfragen zu 70 bis 75 Prozent teilt, wirkt auf die Soldaten zurück, die sich in ihren oft gefährlichen Einsätzen wenig wertgeschätzt fühlen. Nach Rückkehr sich fragen lassen zu müssen, was wir eigentlich in Afghanistan verloren haben, verfehlt seine demoralisierende Wirkung nicht.
Scheitern droht auch in der Sahelzone
Womit wir beim Bundeswehreinsatz in Mali angelangt wären. Dort liegt ein Bombenanschlag mit schwerverwundeten deutschen Soldaten erst wenige Tage zurück. Im Detail zwar nicht vergleichbar, unterscheidet sich die Lage dort aber auch nicht grundsätzlich von derjenigen in Afghanistan. Korrupte Regierungen herrschen in der Sahel-Zone über rückständige Staaten mit steinzeitlich-religiösen Bevölkerungen, die sich nicht nach westlichem Demokratie- und Entwicklungsmodell organisieren lassen. Zudem wirken die langen Jahre und Jahrzehnte unter französischer Kolonialherrschaft bis heute nach.
Wie nun dort weiter agiert werden soll, ist in Anbetracht der Afghanistan-Erfahrungen ein entscheidender Punkt. Einerseits darf die Sahelzone nicht sich selbst überlassen werden. Dieser Unruheherd wirkt in vielfältiger Weise bis nach Europa. Andererseits sind Militäreinsätze ohne Anbindung, besser noch Unterstützung der Bevölkerung zur Erfolglosigkeit verurteilt. Diese ist aber mit den geschilderten militärischen Mechanismen nicht zu erreichen.
Das ist die ins Auge stechende Parallele zwischen diesen kaputten Winkeln auf unserem Globus. Wenn in Mali, besser noch der ganzen Sahelzone, nicht mit langem Atem in die Gesellschaften und die dortigen Wirtschaften investiert wird, wird die Militärintervention auch dort erfolglos bleiben müssen. Über dieses Dilemma helfen weder die Mandate der UN-Stabilisierungsmission
MINUSMA noch die Beschlüsse zur EU-Trainingsmission EUTM Mali hinweg. Das ist eine der Lehren, die wir aus dem Scheitern in Afghanistan zu ziehen haben. Den Stein der Weisen zum Umgang mit diesen Ländern werden wir mit militärischen Mitteln allein niemals finden.
b Richard Drexl ist Oberst a.D. der Luft-
waffe, Kommunalpolitiker (Freie Wähler) und Autor. Seit 2014 ist er Präsident des
Bayerischen Soldatenbundes 1874 e.V. Vor Kurzem erschien die komplett überarbeitete Neuauflage seines gemeinsam mit Josef Kraus verfassten Buches „Nicht einmal bedingt
abwehrbereit. Die Bundeswehr in der Krise“.www.m-vg.de