19.04.2024

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Folge 30-21 vom 30. Juli 2021 / Türkei / Das ist selbst vielen Türken zu viel / Durch eine Panne wurde bekannt, dass Erdoğan sich einen vierten Dienstpalast hat bauen lassen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-21 vom 30. Juli 2021

Türkei
Das ist selbst vielen Türken zu viel
Durch eine Panne wurde bekannt, dass Erdoğan sich einen vierten Dienstpalast hat bauen lassen
Wolfgang Kaufmann

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan lebt gerne auf großem Fuß. Ihm stehen mehrere Regierungsflugzeuge sowie auch Hubschrauber zur Verfügung, und sein Fahrzeugkonvoi umfasst oft über 100 Luxuswagen. Darüber hinaus hat er eine Vorliebe für kostspielige Domizile.

Davon zeugt zuallererst Erdoğans Präsidentenpalast in Ankara. Dieser pompöse Bau mit 1000 Räumen wurde unter Missachtung der Naturschutzbestimmungen und diverser gerichtlicher Verbote mitten in ein Waldgebiet gesetzt. Kostenpunkt: umgerechnet 500 Millionen Euro. Für die gleiche Summe hätten
700 Schulen gebaut werden können.

Zum Zweiten wäre da Erdoğans Residenz in Istanbul. In der stattlichen Villa Huber Köskü mit ihrem 34 Hektar großen Park am Bosporus repräsentierten einst die Vertreter der deutschen Rüstungskonzerne Krupp und Mauser, die das Osmanische Reich mit Waffen belieferten.

Zum Dritten verfügt der türkische Staatspräsident über einen großen Sommerpalast in Ahlat am Vansee in Ostanatolien. Auch dieser Komplex mit 1071 Quadratmetern Wohnfläche entstand trotz fehlender Baugenehmigungen.
„Baum-Massaker“ für Zufahrt

Jetzt ist noch ein viertes Objekt bei Marmaris an der Küste der Ägäis zwischen Bodrum und Fethiye hinzugekommen. Der kürzlich fertiggestellte „Landsitz“ im neo-osmanischen Stil mit ausgedehnter Poolanlage ersetzte das bescheidene Ferienhaus von Erdoğans Amtsvorgänger Turgut Özal. Dieses Bauvorhaben finanzierte der türkische Steuerzahler mit weiteren 640 Millionen Lira (umgerechnet 62 Millionen Euro). Dafür hat der Staatspräsident nun einen halbmondförmigen Privatstrand, dessen Sand aus 200 Kilometern Entfernung herangekarrt wurde. Anreisen kann Erdoğan über eine neu angelegte 17 Kilometer lange Zufahrtsstraße, für die rund 50.000 Bäume weichen mussten. In der Türkei spricht man in diesem Zusammenhang von einem „Baum-Massaker“.

Bis vor Kurzem noch wurde die Existenz dieses Anwesens wie ein Staatsgeheimnis behandelt, denn der Präsident will mit Blick auf die Krise im Lande verständlicherweise den Eindruck vermeiden, öffentliche Mittel zu verschwenden. Doch dann fand die ebenso auflagenstarke wie regierungskritische Tageszeitung „Sözcü“ (Sprecher) auf der Internetseite des renommierten türkisch-belgischen Architekten Şefik Birkiye ein Dutzend Skizzen des Riesenanwesens. Birkiye, der auch den Präsidentenpalast in Ankara entworfen hat, hatte diese Zeichnungen versehentlich online gestellt. Mittlerweile wurde sein Internetauftritt zwar komplett gesperrt, doch trotzdem kennt nun die ganze Türkei das vierte Prachtdomizil von Erdoğan.
Absturz auf 26 Prozent

Entsprechend hoch schlagen die innenpolitischen Wellen. Zwar versuchen regierungsnahe Medien verzweifelt, die teure Baumaßnahme mit dem Argument zu rechtfertigen, der Präsident müsse schließlich auch irgendwo sicher und vor Anschlägen geschützt Urlaub machen können. Doch das überzeugt kaum noch irgendjemanden im Lande. Angesichts einer Inflationsrate von aktuell 17,5 Prozent und der Tatsache, dass inzwischen mehr als jeder fünfte Türke unter der Armutsgrenze lebt, ist das Maß für viele Leute voll. „Der Präsident hat immer gesagt, dass er normale Menschen vertritt, und er hat selbst bescheidene Wurzeln, aber jetzt sehen wir, dass er wie ein Sultan lebt, während alle anderen kämpfen“, wird ein wütender Rentner aus Istanbul von der im Mittleren Osten sehr populären Internetplattform „The National“ zitiert.

Das sehen die türkischen Oppositionspolitiker ähnlich. „Der Mann baut sich einen Sommerpalast, während die Leute verhungern“, sagte der Vorsitzende der kemalistisch-sozialdemokratischen Cumhuriyet Halk Partisi (CHP, Republikanische Volkspartei), Kemal Kılıçdaroğlu, vor Vertretern seiner Parlamentsfraktion. Und der Chef der radikal-islamischen Saadet Partisi (SAADET, Partei der Glückseligkeit), Temel Karamollaoğlu, schloss in seine Kritik auch gleich noch Erdoğans bekanntermaßen verschwendungssüchtige Ehefrau Emine ein. Denn die hatte kürzlich die Dreistigkeit besessen, den Türken zu empfehlen, künftig etwas weniger zu essen.

Laut einer Umfrage der Forschungsgruppe Turkiye Raporu ist das Wählerpotential für Erdoğans Partei Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP, Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) inzwischen auf 26 Prozent gesunken – der bisher niedrigsten Wert seit Gründung der Partei. Würde jetzt gewählt werden, würde Erdoğan gegen jeden seiner drei politischen Hauptgegner verlieren. Doch Wahlen gibt es erst wieder im Jahre 2023.