25.04.2024

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Folge 30-21 vom 30. Juli 2021 / Siegfried Passarge / Der interdisziplinäre Geograph / Der Königsberger gilt als Begründer der Landschaftsgeographie

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-21 vom 30. Juli 2021

Siegfried Passarge
Der interdisziplinäre Geograph
Der Königsberger gilt als Begründer der Landschaftsgeographie
Wolfgang Kaufmann

Otto Karl Siegfried Passarge, der am 28. November 1866 in Königsberg geboren wurde, zählt zu den bedeutendsten deutschen Geographen, ist heute aber weitestgehend vergessen. Der Sohn des Oberlandesgerichtsrates und Reiseschriftstellers Ludwig Passarge blieb in der Schule dreimal wegen Unterforderung sitzen, studierte dann jedoch von 1887 bis 1892 erfolgreich Geographie, Geologie und Medizin in Berlin, Jena und Freiburg: Er promovierte zunächst mit einer geologischen Arbeit und bestand das medizinische Staatsexamen. Zu seinen akademischen Lehrern gehörten unter anderem der prominente Evolutionstheoretiker Ernst Haeckel sowie der Geomorphologe und bekannte Asienforscher Ferdinand Freiherr von Richthofen. Dieser empfahl Passarge dabei ganz nachdrücklich: „Machen Sie etwas aus der Geographie!“
Natürliche Landschaften stehen im Mittelpunkt seiner Betrachtungen


Den ersten bedeutsamen Schritt in diese Richtung tat Passarge in den Jahren 1893 bis 1894. Aufgrund seiner Fächerkombination wurde er vom Auswärtigen Amt zu einer Expedition nach Kamerun eingeladen, die unter der Leitung von Edgar von Uechtritz-Steinkirch stand. Der Zweck des Unternehmens bestand darin, das Hochland von Adamaua im Norden der westafrikanischen Kolonie zu erkunden und Vorschläge für die künftige Grenzziehung zwischen den hier aufeinandertreffenden Interessensphären Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens einzureichen, welche sowohl die natürliche Landschaftsgliederung als auch die ethnischen Strukturen vor Ort berücksichtigten. Hierbei setzte Passarge auf Anhieb hohe wissenschaftliche Maßstäbe und erkannte wichtige Zusammenhänge zwischen Raum, Mensch, Kultur und Geschichte.


Seine zweite Afrika-Expedition führte ihn von 1896 bis 1899 ins Ngami-Land im heutigen Botswana sowie die Transvaal-Republik und die nördliche Kalahari-Wüste. Im Anschluss an einen Vortrag auf dem 6. Internationalen Geographentag in London war Passarge von der Gesellschaft British West Charterland beauftragt
worden, im südlichen Afrika nach Gold- und Diamantenvorkommen zu suchen. Dort stieß er zwar auf keine nennenswerten Bodenschätze, erzielte aber erneut eine beachtliche wissenschaftliche Ausbeute.
Dem folgten zwei weitere Kundfahrten: Die eine hatte 1901/02 das mittlere Orinoco-Gebiet in Venezuela zum Ziel und die andere 1906/07 die algerische Sahara. Seine vierte und letzte Expedition trat Passarge dabei bereits als Professor für Geographie der Universität Breslau an. Die Berufung auf den ehemaligen Lehrstuhl von Joseph Partsch fand 1905 statt, nachdem Passarge sich 1903 bei von Richthofen mit einer Arbeit über die Kalahari habilitiert hatte. 1908 wiederum wechselte der Ostpreuße dann in das gerade gegründete Hamburgische Kolonialinstitut, aus dem nach dem Ersten Weltkrieg das Geographische Seminar der Universität Hamburg hervorging. Seine Professur hier behielt Passarge bis zur Emeritierung im Jahre 1936.


Als akademischer Lehrer wurde Pas­sarge zum Begründer der Landschaftsgeographie, welche die „natürlichen Landschaften“ in den Vordergrund stellte, also jene Erdräume, die „in Orographie, Geologie, Geomorphologie, Klima, Bewässerung, Pflanzen- und Tierwelt … in allen wesentlichen Punkten übereinstimmen.“ Mit diesem Ansatz wandte er sich gegen die vor allem von dem Heidelberger Südamerika-Experten Alfred Hettner vertretene Länderkunde, die ihm als eine bloße „Aneinanderreihung der geographischen Teilwissenschaften“ erschien. Dabei verstrickte sich Passarge oft in heftige wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit anderen Fachvertretern, die dem Ostpreußen einen „übergroßen Hang zum Klassifizieren und Systematisieren“ sowie die mangelnde empirische Fundierung seiner Aussagen über die Charaktertypen beziehungsweise die Charakterentwicklung von Völkern in Abhängigkeit von der umgebenden Landschaft vorwarfen. Und dieser Mangel an empirischen Beweisen war tatsächlich die Achillesferse von Passarges Œuvre. Heute wird ihm deswegen sogar „Rassismus und Antisemitismus“ unterstellt. Bei näherer Betrachtung scheint es freilich eher so, dass er versucht hatte, interdisziplinär zu denken und auch seine medizinischen Erfahrungen als Expeditionsarzt einfließen zu lassen, was letztlich aber in eine wissenschaftliche Sackgasse führte. Auf jeden Fall verzichteten die Nationalsozialisten auf Passarges Expertise und erteilten ihm nach der Emeritierung – im Gegensatz zur sonst üblichen Praxis – keine weiteren Lehraufträge.
Durch Bombentreffer verlor Passarge im Zweiten Weltkrieg seine Wohnung samt privater Bibliothek sowie aller Aufzeichnungen und Sammlungen. Daraufhin kehrte er nach Ostpreußen zurück, wo ihm der frühere Oberpräsident der Provinz Adolf Tortilowicz von Batocki-Friebe Obdach gewährte. Nach dessen Tod wechselte Passarge im August 1944 nach Grünberg in Schlesien und praktizierte dort trotz seines hohen Alters von 78 Jahren als Arzt, weil ein gravierender Mangel an Medizinern herrschte. Und auch später konnte Siegfried Passarge niemals in Untätigkeit verharren, bis er schließlich am 26. Juli 1958 vier Monate vor seinem 92. Geburtstag in Bremen starb.