19.04.2024

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Folge 31-21 vom 06. August 2021 / Kolumne / Mehr Geld für Entwicklung?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-21 vom 06. August 2021

Kolumne
Mehr Geld für Entwicklung?
Florian Stumfall

Für einen der vielen, weitgehend unbekannten Alltags-Minister der Bundesregierung ist es sehr schwer, sich im medialen Getöse um Klima, Corona und Flüchtlingswellen ein wenig Gehör zu verschaffen. Der Mann, dem das vorzüglich gelingt, ist der Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller von der CSU. Das Geheimnis seines Erfolgs? Er hat sein Fach zur Querschnittsaufgabe gemacht. 

Hungersnöte in fremden Weltgegenden sind sehr leicht mit einer Klimaveränderung zu erklären, Krankheiten wie Corona gehören ebenso ins Bild und schließlich die Asylsucherströme kann Müller ganz auf sein Ticket buchen, denn hier setzt die Forderung seines Amtes und seiner Person ein, die da lautet, es müsse mehr für die Entwicklung geschehen, um so die Fluchtursachen zu beheben. Die jüngste Mahnung liegt erst einige Tage zurück und gibt Anlass zu der Überlegung, wie sinnvoll sie eigentlich ist.

Wo auch immer der Schwerpunkt liegen mag – für Müller und die Seinen gibt es immer reichlich zu tun. Deshalb hat sich auch eine wahre Entwicklungshilfe-Industrie gebildet. Volker Seitz, ein früherer deutscher Botschafter mit 17 Jahren Erfahrung in Afrika, hat in seinem vorzüglichen Buch „Afrika wird armregiert“ schon 2009 geschrieben: „Eine florierende Hilfsbranche gibt Geld, zeigt christliche Nächstenliebe und vermeidet damit, sich wirklich mit den Ursachen der Misere auseinanderzusetzen. Moralisch überlegen und ethisch unangreifbar ist derjenige, der immer mehr Geld für Entwicklungsländer fordert.“ 

So reisen die Agenten der Ministerien und der Nichtregierungsorganisationen, der Kirchen und Stiftungen um die Welt – meist Erster Klasse – und sind vorgeblich damit beschäftigt, die Grundlage ihres mehr als auskömmlichen, oft steuerfreien, abwechslungsreichen und bunten Lebens zu beseitigen.

Um einem Missverständnis vorzubeugen: Minister Müller ist persönlich absolut integer. Er glaubt an das, was er tut, auch gegen Erfahrung und Augenschein. Und an der Aufgabe, die Hilfs-Industrie in Grenzen zu halten, scheitern auch Männer mit mehr Kampfgeist als der redliche Schwabe. Doch sein ganzes Konzept macht der Grundsatz angreifbar, nämlich, dass man dort, wo viel Geld nicht geholfen hat, man mit noch mehr Geld nachlegen muss. Der ugandische Journalist Andrew Mwenda sagt, bei allen Wohltaten in Einzelfällen zerstörten die Helfer „den wichtigsten Mechanismus, der langfristig die Armut beseitigen könnte. Die Hilfe untergräbt die Entwicklung eines kom­petenten, unbestechlichen und den Interessen der Bevölkerung dienenden Staatsapparates.“

An dieser Stelle ist sehr oft von schlechter Regierung und Korruption die Rede, auch bei solchen, die der Entwicklungspolitik, so wie sie heute ist, das Wort reden. Tatsächlich fließen Abermilliarden Euro Entwicklungsgelder auf die Konten von Staatspräsidenten und ihren Gefolgsleuten, und das ist nicht nur in Afrika so. Doch der Wille zur schamlosen Bereicherung einer kleinen Kaste, die an der Macht sitzt, ist nur der eine Aspekt der Sache. Der andere ist kultureller Natur, und dafür, diesen offenzulegen, eignet sich wiederum Afrika in bevorzugter Weise.

Die Völker südlich der Sahara hatten vor dem Auftauchen der ersten weißen Entdecker keine Vorstellung von dem, was in Europa seit dem Altertum als Staatsidee bezeichnet wird. Vielmehr war die Ordnung innerhalb der Familien und Sippen paternalistisch, ohne abstrakt-ideellen Hintergrund. Dazu gehörte, dass das Oberhaupt über die Güter der Menschen verfügt. Das verpflichtete es andererseits dazu, seine Leute zu versorgen und ermöglichte ihm gleichzeitig, dieser Pflicht nachzukommen. Heute nennt man dieses Klientel-System „Kleptokratie“ und „Nepotismus“ und verkennt dabei das traditionelle Herkommen. 

Natürlich kann man so und auf einer solchen Grundlage einen Staat modernen Zuschnitts nicht erfolgreich führen. Doch das Problem liegt, wenigstens teilweise, darin, dass in Schwarzafrika im Zuge der Entkolonialisierung das paternalistische System nie ganz abgeschafft und das der westlichen Normen nie ganz verstanden, geschweige denn angenommen wurde.

So sind hybride Systeme entstanden, die es der jeweiligen politischen Elite ermöglichen, die Vorrechte oder zumindest Vorzüge des Paternalismus wie auch der westlichen Lebensweise gleichermaßen zu beanspruchen, ohne sich den Pflichten aus beiden Konzepten zu unterziehen. Die Missstände, die sich daraus ergeben, mit Geld auch nur lindern zu wollen, gleicht dem Versuch, das Feuer mit Benzin zu löschen. Hier liegt der tiefe Grund für das Versagen der Entwicklungspolitik samt ihren parasitären Begleiterscheinungen auf beiden Seiten, bei Empfängern wie Gebern.

Folgerichtig müsste der entwicklungspolitische Ansatz der westlichen Staaten dazu führen, das kulturelle Erbe der Empfängerländer gänzlich zu tilgen. Tatsächlich fehlt es nicht an Versuchen, das zu erreichen, und diese sind neben dem Streben nach Rohstoffen ein Grund für zahlreiche Kriege, die westliche Länder führen. In den arabischen Ländern oder im Mittleren Osten besteht aber wenig Neigung, sich einem westlichen Diktat zu beugen. 

Auch in Afghanistan wehrt sich ein patriarchalisches System gegen den Entwurf des Westens, was ihm von diesem unter Berufung auf das Toleranz-Gebot untersagt wird. Und hier kommt man wirklich auf Fluchtursachen: Kriege von Mali bis Pakistan entwurzeln tatsächlich viele Menschen, die dann absurderweise in den Ländern der Angreifer Schutz suchen.

Fluchtursache der Afrikaner ist dagegen weit mehr das vergleichsweise komfortable Leben, das sie in Europa erwartet. Sozialpolitik sollte als Fluchtursache erkannt werden, dann gäbe es wenigstens ein Rätsel weniger. 

Unbekannt aber bleibt, wie es kommt, dass immer pünktlich und am rechten Ort an der nordafrikanischen Küste Schlauchboote im Wert eines Mittelklassewagens warten, wer sie dort gelassen und wer sie bezahlt hat. Und wie sie meist zufällig, oft noch in Sichtweite der Küste, von Schiffen aufgegriffen werden, von deren Besatzungen man nicht weiß, ob sie Heilige sind oder kriminelle Schlepper.

Der Autor ist ein christsoziales Urgestein und war lange Zeit Redakteur beim „Bayernkurier“.