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Folge 32-21 vom 13. August 2021 / Literatur / Ein schwankendes Dichteridol / Mitbegründer des Historischen Romans – Vor 250 Jahren wurde der Schotte Sir Walter Scott geboren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-21 vom 13. August 2021

Literatur
Ein schwankendes Dichteridol
Mitbegründer des Historischen Romans – Vor 250 Jahren wurde der Schotte Sir Walter Scott geboren
Harald Tews

Die Schotten schwanken noch. Sollen sie den „Scexit“ wagen, den schottischen Exit vom Vereinigten Königreich, um wieder der EU angehören zu können? Die Unabhängigkeitsbefürworter haben dazu als Propagandamittel ihr Dichteridol Sir Walter Scott auf den – allerdings sehr schwankenden – Schild gehoben. Mit ihm werben die Nationalisten für die Loslösung vom Königreich. An der Freiheitsliebe des am 15. August 1771 in Edinburgh geborenen Juristensohns gibt es keine Zweifel, an seiner Loyalität zum britischen König aber auch nicht.

In einigen seiner historischen Romane thematisiert Scott die früheren Freiheitskämpfe seiner Landsleute. So geht es in seinem Erstling „Waverly“ um den Jakobitenaufstand von 1745 des Bonnie Prince Charlie, wie Charles Edward vom schottischen Haus Stuart genannt wurde. Sein Versuch, den britischen Thron zu erobern wurde jedoch niedergemetzelt.

Im Zentrum des Romans steht aber eine fiktive Gestalt, dessen Name Waverly schon Programm ist, denn „waver“ heißt übersetzt „schwanken“. Anfangs auf der Seite der Jakobiten, der konservativen Tories und einer heißblütigen Highlanderin entscheidet sich der Held am Ende für die progressiven Whigs, den Engländern und einem stillen häuslichen Blondchen.

Scott selbst war ähnlich hin- und hergerissen. Zeit seines beruflichen Lebens verfasste er Beiträge für eine Zeitschrift, die als Sprachrohr der schottischen Tories diente. Als er königlicher Hofdichter werden sollte, lehnte er ab, doch die Adelserhebung zum Baronet durch King George IV. aus dem in Schottland verhassten Haus Hannover nahm er dankend an.

In seinem Werk zeigt sich eine ähnliche Unentschlossenheit. In der Mode der Zeit fing er mit Versdichtungen an. Doch als er sich vom Dichterkollegen Lord Byron darin überflügelt sah, nahm er ab 1814 Zuflucht zur Prosa. Die hatte damals einen so schlechten Ruf, dass er „Waverly“ anonym veröffentlichte. Alle folgenden Werke, darunter so namhafte Titel, wie „Rob Roy“ über den schottischen Volkshelden, „Das Herz von Midlothian“, „Ivanhoe“ oder „Die Braut von Lammermoor“, aus der Donizetti später seine bekannte Oper bastelte, erschienen nur mit dem Hinweis: Vom Autor von „Waverly“.

Der auf großem Fuß, aber ständig kurz vorm finanziellen Ruin lebende Scott schrieb wie am Fließband, um sich über Wasser zu halten. In 18 Jahren bis zu seinem Tod 1832 verfasste er neben 28 Romanen eine dicke „Geschichte Schottlands“ und eine neunbändige Napoleon-Biographie. Mit seinen Romanen entwickelte er jedoch ein neues Genre: den Historischen Roman, in dem er eine fiktive Gestalt in einer realen Vergangenheit auftreten ließ. 

Das passte in die Zeit der Romantik, in der sich die nationale Identität aus einem Geschichtsbewusstsein heraus bildete. Manzoni in Italien, Stendhal, Dumas und Hugo in Frankreich, Puschkin und Tolstoj in Russland oder Hauff, Freytag und Fontane in Deutschland sollten diesem Vorbild folgen. Dabei hat der germanophile Scott, der den „Erlkönig“ und „Götz“ von Goethe ins Englische übertrug und mit ihm auch korrespondierte, seinerseits auf ein deutsches Vorbild zurückgegriffen. Er kannte die Romane der Leipziger Autorin Benedikte Naubert (1752–1819), die als Erste solche historische Romane schrieb. Während sie und ihre Werke heute vergessen sind, wurde der Name Scott zum Markenzeichen. So schwankend kann Literaturgeschichte sein.