18.04.2024

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Folge 32-21 vom 13. August 2021 / DDR / Politischer Widerstand eines gebürtigen Ostpreußen / Am 18. August 1976 entzündete Oskar Brüsewitz seinen mit Benzin getränkten Talar

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-21 vom 13. August 2021

DDR
Politischer Widerstand eines gebürtigen Ostpreußen
Am 18. August 1976 entzündete Oskar Brüsewitz seinen mit Benzin getränkten Talar
Wolfgang Kaufmann

Das DDR-System kollabierte nicht mit einem Schlag. Vielmehr wurde es schon lange vor 1989 durch spektakuläre Widerstandshandlungen von Einzelpersonen unterminiert. Diese führten dazu, dass sich die Massen nach und nach vom „ersten Arbeiter-und-Bauern-Staat auf deutschem Boden“ sowie dem SED-Regime distanzierten. Eine dieser Aktionen fand am 18. August 1976 statt. An jenem Tage parkte der evangelische Pfarrer Oskar Brüsewitz seinen Wartburg 311 vor der Michaeliskirche in Zeitz und stellte einige Plakate auf das Dach des Wagens, die unter anderem verkündeten: „Die Kirche in der D.D.R. klagt den Kommunismus an!“ Anschließend übergoss er seinen Talar mit 20 Litern Benzin und zündete ihn an. Kurz darauf eilten zwei Passanten herbei und erstickten die schon meterhoch lodernden Flammen. Dann trafen auch einige Volkspolizisten vor Ort ein. Diese beschlagnahmten zuerst die Plakate, bevor sie den Schwerverletzten ins Bezirkskrankenhaus Halle-Dölau bringen ließen. Dort starb der Geistliche am 22. August 1976 aufgrund massivster Verbrennungen am ganzen Körper.

Brüsewitz, der am 30. Mai 1929 als drittes Kind einer armen Handwerkerfamilie in Willkischken im Memelland geboren wurde, hatte zunächst keine geistliche Laufbahn im Sinn. Nach dem Dienst in der Wehrmacht und der Kriegsgefangenschaft in der UdSSR ging er im Herbst 1945 in die sowjetische Besatzungszone und erlernte dort bis 1947 das Schusterhandwerk. Anschließend wechselte Brüsewitz nach Melle in der britischen Besatzungszone, wo er 1951 die Schuhmachermeisterprüfung ablegte. Seine im gleichen Jahr geschlossene Ehe scheiterte 1954, woraufhin er nach Weißenfels in der nunmehrigen DDR zog und dort das Christentum für sich entdeckte. Dennoch arbeitete Brüsewitz zunächst weiter als Handwerksmeister – organisierte jetzt aber nebenher auch die Evangelisationsarbeit im Kirchenkreis Sömmerda.

Klagt den Kommunismus an

1964 begann der 35-Jährige, die Predigerschule in Erfurt zu besuchen. Nach deren erfolgreicher Absolvierung im Jahre 1969 wurde er 1970 in Wernigerode ordiniert und übernahm danach die Pfarrstelle in der kleinen Gemeinde Droßdorf-Rippicha im Süden des heutigen Bundeslandes Sachsen-Anhalt. In der Folgezeit erwies sich Brüsewitz als höchst streitbarer Geistlicher, der die DDR-Behörden unablässig herausforderte. So brachte er ein riesiges Kreuz aus Leuchtstoffröhren an seiner Kirche an und konterte den SED-Slogan „Ohne Gott und Sonnenschein fahren wir die Ernte ein“ mit einem Plakat, auf dem stand: „Ohne Regen, ohne Gott geht die ganze Welt bankrott.“ Das machte ihn einerseits enorm populär und sorgte für stattliche Besucherzahlen bei den Gottesdiensten, rief aber andererseits auch die „Staatsorgane“ und die Kirchenleitung auf den Plan. Wobei die letztere in Gestalt von Propst Friedrich-Wilhelm Bäumer Brüsewitz am 23. Juli 1976 empfahl, in eine andere Gemeinde zu wechseln. Parallel hierzu drohte die DDR-Staatssicherheit dem unbequemen Pastor, ihn binnen 24 Stunden in die Bundesrepublik abzuschieben oder in die Psychi­atrie einzuweisen, wenn er seine „staatsfeindlichen Provokationen“ fortsetze. Und dann brach kurz darauf auch noch ein mysteriöser Brand im Pfarrhaus aus.

Vor diesem Hintergrund entschloss sich der Geistliche zu seiner Verzweiflungstat der Verbrennung.

Die Beerdigung von Brüsewitz fand am 26. August 1976 statt. Zu ihr erschienen trotz scharfer Überwachung durch Polizei und Staatssicherheit 400 evangelische und katholische Kirchenvertreter aus der ganzen Deutschen Demokratischen Republik. Die Trauerrede hielt dabei kein anderer als Brüsewitz‘ ehemaliger Vorgesetzter Bäumer.

Wenig später, nämlich am 31. August, veröffentlichte die SED-Parteizeitung „Das Neue Deutschland“ einen zutiefst bösartigen Artikel über den toten Pfarrer, in dem es hieß, er habe „nicht alle fünf Sinne beisammen“ gehabt. Dieser Verleumdung folgten absurde Anspielungen auf pädophile Neigungen und Kontakte zum Bundesnachrichtendienst. Das Ganze war eine Reaktion auf Berichte in den westlichen Medien. Bezeichnenderweise beteiligten sich bald auch DDR-Kirchenvertreter an dem Versuch, das „Fanal von Zeitz“ als Tat einer geistig verwirrten Person herunterzuspielen. Beispielsweise bezweifelte der Magdeburger Oberkonsistorialrat Harald Schultze im Interview mit dem ZDF ebenfalls die Zurechnungsfähigkeit von Brüsewitz. Gleichzeitig suchte der damalige Oberkirchenrat und spätere Ministerpräsident des Landes Brandenburg Manfred Stolpe den Schulterschluss mit der SED-Führung, indem er die kirchliche „Solidarität mit dem Staat“ beschwor. Bei den einfachen Gläubigen in der DDR kam dies jedoch alles andere als gut an und verstärkte die Entfremdung zwischen den Kirchenleitungen und der Basis.

Brüsewitz fand später noch zwei Nachahmer. Einer davon verbrannte sich aber nicht aus Protest gegen das DDR-Regime. Vielmehr gab der evangelische Pfarrer Roland Weißelberg, welcher am 31. Oktober 2006 im Erfurter Augustinerkloster auf die gleiche Weise den Tod suchte wie der gebürtige Ostpreuße zwanzig Jahre vor ihm, „Sorge vor der Ausbreitung des Islam“ als Motiv an.