25.04.2024

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Folge 32-21 vom 13. August 2021 / Hinterpommern / Die Glocke und die unterirdische Stadt auf Wollin / Einzigartiges Zeugnis der Militärgeschichte, 1939 erbaut – Im „Kalten Krieg“ der geheimste Ort Polens

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-21 vom 13. August 2021

Hinterpommern
Die Glocke und die unterirdische Stadt auf Wollin
Einzigartiges Zeugnis der Militärgeschichte, 1939 erbaut – Im „Kalten Krieg“ der geheimste Ort Polens
Erwin Rosenthal

Swinemünde begeistert seine Besucher nicht nur durch den breitesten Sandstrand der Insel Usedom, seine attraktive Promenade und die Luxus-Hotels, sondern auch durch seine historischen Bauwerke. Die drei Festungen aus dem 19. Jahrhundert, die 1912 erbauten kaiserlichen Kasernen und der während des Krieges entstandene ehemalige Schnellboothafen in Kaseburg gehören zweifellos dazu.

Strandbatterie Goeben

Das architektonisch originellste militärische Bauwerk am Ort ist jedoch die frühere Feuerkommandostelle der Strandbatterie Goeben, wegen seiner Form auch „die Glocke“ genannt. Namensgeber für die Batterie war der preußische Infanterie-General August von Goeben, bekannt geworden durch den Krieg 1870/71. Der im Jahre 1939 erbaute 30 Meter hohe Turm befindet sich auf der Pritterschen Halbinsel, unmittelbar am recht holprigen und relativ einsamen Radweg R 10, der von Swinemünde nach Misdroy führt.  

Im Obergeschoss des Turmes befand sich die Kommandozentrale, während weiter unten die Unterkunftsräume der Soldaten und ein Kraftwerksraum untergebracht waren. Die gewaltigen Kanonen der Batterie, deren Geschosse 284 Kilogramm wogen, hatten eine Reichweite von 36 Kilometern. 1940 verlagerte man die Geschütze nach Norwegen. Die „Glocke“ diente jedoch weiter als Feuerkommandostelle der Batterie „Vineta“. Nach dem Krieg nutzte den Turm zunächst die polnische Artillerie, während er heute als Brandschutzbeobachtungsturm dient. Die Modernisierung des Gebäudes wurde im Rahmen der Förderung des deutsch-polnischen Grenzgebietes durch die EU mitfinanziert. 

Batterie Vineta

Wenige Kilometer weiter, ebenfalls am Radweg R 10, lädt die auf dem höchsten „Hügel“ des Dünengeländes gelegene frühere Batterie Vineta, auch „die unterirdische Stadt“ genannt, zu einer Besichtigung ein. Das Interesse ist groß, denn das Objekt bildet ein einzigartiges Zeugnis der Militärgeschichte der Region.

Radarortung bis 70 Kilometer 

Erbaut wurde die Batterie Vineta im Jahre 1939 als Verteidigungskomplex für die Marinebasis Swinemünde. Die Planungen für das Objekt begannen bereits 1935, die preußische Forstverwaltung hatte sich jedoch zunächst mit Erfolg geweigert, 15 Hektar Wald für einen Spottpreis an das Militär abzutreten. Die wichtigsten Objekte der Batterie waren die vier Kampfbunker, die 120 Soldaten Unterkunft boten. Jeder der Bunker war mit einem 15-cm-Geschütz bestückt. Hinzu kam ein zweistöckiger Kommandobunker mit einer Reihe gepanzerter, mit optischen Geräten ausgerüsteter Kuppeln. 

Etwas weiter östlich befanden sich die Maschinenräume und ein Munitionslager. Eine moderne Radaranlage, mit der Objekte bis zu einer Entfernung von 70 Kilometern geortet werden konnten, Wachhäuser, Wohnbaracken und Trafostationen komplettierten die Anlage.

Eine Fehlinvestition 

Das Ganze entpuppte sich später – ebenso wie die Batterie Goeben – als Fehlinvestition, denn es gab hier zu dieser Zeit keine Ziele für eine Kanonade. Um die Jahreswende 1940/41 wurden daher die gesamte Besatzung und die Geschütze in die Niederlande verlegt. Die Batterie auf der Insel Wollin fungierte von nun an als Ausbildungsstätte für die stationäre Artillerie der Kriegsmarine. Zudem diente sie als Muster für ähnliche Stellungen in anderen Ländern Europas. 

Nachdem im Mai 1945 die Rote Armee Swinemünde eingenommen hatte – die Kanonen der Batterie Vineta hatte die Wehrmacht bereits vor ihrer Flucht gesprengt – wurde das gesamte Areal fast leer geräumt. Um die Jahreswende 1945/46 übergaben die Sowjets das Objekt an die polnische Armee. Bereits in den 1950er Jahren wurde die Batterie zu einem Ersatzkommandoposten für die höchsten Militärbehörden der polnischen Armee umgestaltet. Gesichert wurde das Gelände mit Flugabwehrkanonen, einer Mörserbatterie, Maschinengewehrstellungen und zwei T-34-Panzern. 

In den 1960er Jahren gab es eine weitere Umgestaltung. Die Anlage wurde zur Ausweichleitstelle der polnischen Generalität ausgebaut. Während im Krieg zwischen den Bunkern Laufgräben existiert hatten, verband man nun die fünf Bunker durch ein mehr als 1000 Meter langes unterirdisches Tunnelsystem aus Beton. Auf diese Weise entstand die unterirdische Stadt mit dem Codenamen 10150, die annähernd ein halbes Jahrhundert eine wichtige Funktion in der Strategie der polnischen Armee innehatte. Es handelte sich hier um eins der am strengsten gehüteten Geheimnisse des „Kalten Krieges“. Nur wenige – vorrangig die höchsten Offiziere – wussten von dem geheimen Kommandoposten. 

Hochrangige polnische Politiker und Kommandeure, etwa der damalige polnische Verteidigungsminister Jaruzelski und der Kommandeur der Kriegsmarine, Admiral Janczyszyn, hielten sich häufig in der Festung auf. Im Kommandobunker befand sich hinter sehr schweren Türen ein Raum, der Schutz vor den Waffen eines modernen Krieges bieten sollte. In den Bunkern hätte die Besatzung ohne Kontakt nach außen mehrere Monate überleben können. Selbstverständlich fehlte auch ein Offiziers-Kasino nicht. 

Letzte Militärübung 1995 

 Die letzten Übungen für die „Stadt 10150“ waren die „Piranha“-Manöver im Jahre 1995. Danach wurde der Komplex stillgelegt und im Jahre 2014 als Filiale des Museums für Küstenverteidigung in Swinemünde für Besucher geöffnet.

Der Rundgang durch die „unterirdische Stadt“ dauert circa 90 Minuten. Ein Mitarbeiter des Museums, der in eine historische polnische Form geschlüpft ist, lässt die Besucher antreten, er kommandiert, singt und erklärt – leider aber nur in polnischer Sprache. Glücklicherweise gibt es ein sehr informatives Faltblatt, das in deutscher Sprache ausführlich Information über die Anlage liefert. Zudem antwortete der Museumsmitarbeiter bereitwillig in englischer Sprache auf Fragen der Besucher. 

Nicht jedermanns Sache ist hingegen der etwa fünf Minuten dauernde Fußmarsch durch einen engen, völlig dunklen unterirdischen Gang. Angst vor der Dunkelheit oder Platzangst (früher auch Bunkerangst genannt) darf niemand, der sich beim Rundgang durch den Bunker in die deutsche und polnische Geschichte einfühlen möchte, haben. 

Info Auf der Internetseite www.podziemne-miasto.pl kann das Flugblatt mit der deutschen Beschreibung des Museums heruntergeladen werden