25.04.2024

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Folge 33-21 vom 20. August 2021 / Zum Tode von Kurt Biedenkopf / Einer, der fehlen wird

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-21 vom 20. August 2021

Zum Tode von Kurt Biedenkopf
Einer, der fehlen wird
Wolfgang Müller-Michaelis

Zwei Politiker haben Deutschland in den 1980er und 90er Jahren in besonderer Weise geprägt, die nicht nur der Jahrgang 1930 und der Geburtsort Ludwigshafen, sondern auch die politische Heimat, die CDU, verband. So sehr Helmut Kohl und Kurt Biedenkopf zu Beginn in der Gestaltung deutscher Politik vereint waren (der Größere holte den Kleineren als Generalsekretär an die Spitze der Partei), so unheilbar zerstritten waren sie in den Schicksalsjahren vor, während und nach der deutschen Einheit. Beiden aber gebührt Respekt und Anerkennung für ihren beispiellosen Einsatz für unser Land: Kohl für sein mutiges Zupacken, als sich die Chance zur Einheit auftat, und Biedenkopf für den Wiederaufbau des Freistaats Sachsen und die erfolgreiche wissensbasierte Transformation eines vom Sozialismus zerrütteten Landes.

Der Wissenschaftler, Politiker, Institutsgründer, Universitätsrektor und zeitweilige Industriemanager Kurt Biedenkopf brachte dafür die besten Voraussetzungen mit. In seinem mit Meinhard Miegel gegründeten Bonner Institut für Wirtschaft und Gesellschaft IWG entwickelte er jene Zukunftsprojekte, welche die gesellschaftspolitischen Diskussionen im Lande beherrschen sollten: für Generationengerechtigkeit und gegen überbordende Staatsverschuldung, die er „Ausbeutung der Enkel“ nannte, gleichberechtigte Stellung der Frau in Wirtschaft und Gesellschaft, Gestaltung des demographischen Wandels durch Reform der Altersversorgung, ökologische Ausrichtung der Sozialen Marktwirtschaft und ein Energiekonzept, das ausgewogene Versorgungssicherheit und Umweltschonung zum Ziel hatte. Auf dieser Linie sprach sich Biedenkopf später gegen den übereilten deutschen Ausstieg aus der Kernenergie aus.

Politik auf Basis soliden Wissens 

1985 stellte er seine Vorstellungen in dem Buch „Die neue Sicht der Dinge. Plädoyer für eine freiheitliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung“ dar, das leider nicht zur Pflichtlektüre vieler heute tätiger Politiker gehörte. 

Wenn jemals ein Mann für eine große Herausforderung zur rechten Zeit am rechten Ort war, ist dies Kurt Biedenkopf 1990 bei der Übernahme der Regierungsgeschäfte in Sachsen gewesen. Für die Aufgabe, den Freistaat aus den Zerrüttungen des Sozialismus in die Soziale Marktwirtschaft zu überführen, hätte es keinen Kundigeren und keinen Engagierteren geben können. Er war ein Reformer mit Weitsicht und Bodenhaftung, der sich gut auf die Mentalität der Sachsen einzustellen verstand. Sie haben es ihm mit absoluten Mehrheiten bei seinen drei Landtagswahlsiegen gedankt. 

Ein ständiges Anliegen war ihm, das Selbstwertgefühl seiner „Landeskinder“ zu stärken, indem er auf die brillanten Phasen der Landesgeschichte verwies, in denen Sachsen sowohl in Kunst und Kultur als auch in der industriellen Entwicklung führend war. Sein strategischer Ansatz war, daran anzuknüpfen und statt in traditionellen Strukturen zu verharren, die Umwandlung der überkommenen Industrie- in eine moderne Wissensgesellschaft zu forcieren. So machte er Sachsen zum führenden Standort der Halbleiterindustrie in Europa und zog massenhaft Startups der nachgelagerten Wertschöpfungsketten aus aller Welt ins Land. Dieser Transformationsprozess ist auch Gegenstand meines 1996 erschienenen Buches „Die Informationsgesellschaft im Aufbruch“, zu dem Kurt Biedenkopf ein ausführliches Vorwort schrieb. 

Auch nach dem Ausscheiden aus seinem Regierungsamt blieb Kurt Biedenkopf seinem Lebensthema, der deutschen Einheit, treu. In der 1993 von Altkanzler Helmut Schmidt und Freunden gegründeten, der Förderung des Zusammenwachsens der Menschen in Ost und West gewidmeten Deutschen Nationalstiftung stand er dem Senat vor. 

Prof. Dr. Wolfgang Müller-Michaelis hat Kurt Biedenkopf in diversen Funktionen nahegestanden: als Kuratoriumsmitglied in seinem Bonner Institut für Wirtschaft und Gesellschaft IWG, als Energiebeauftragter der Sächsischen Staatsregierung, als Direktor der Stiftung Frauenkirche Dresden und als Fundraisingbeauftragter der Deutschen Nationalstiftung.