18.04.2024

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Folge 34-21 vom 27. August 2021 / „Regime Change“ / Die lange Kette westlichen Scheiterns im Orient / Libyen, Syrien, Irak – und jetzt Afghanistan: Die USA und ihre Verbündeten taumeln mit ihren Interventionen von einem Fiasko ins nächste – Warum ist das so?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-21 vom 27. August 2021

„Regime Change“
Die lange Kette westlichen Scheiterns im Orient
Libyen, Syrien, Irak – und jetzt Afghanistan: Die USA und ihre Verbündeten taumeln mit ihren Interventionen von einem Fiasko ins nächste – Warum ist das so?
Wolfgang Kaufmann

Das Afghanistan-Desaster ist nur das vorläufige Ende einer Kette von Niederlagen des Westens beim Versuch, in islamischen Ländern Systemwechsel weg von autoritären Regimes und hin zu Demokratien herbeizuführen. Die übrigen großen Wegmarken dieses Scheiterns bilden die Bürgerkriege und das damit verbundene lang anhaltende Chaos in Libyen, Syrien und dem Irak infolge der angeblich „friedensstiftenden“ und „Fortschritt bringenden“ Interventionen seitens des Westens. Das Vierfachfiasko resultiert dabei einerseits aus den speziellen Bedingungen in den genannten Staaten (siehe unten) und andererseits aus gravierenden Fehlern der westlichen Welt.

Die USA und ihre Partner auf dem Gebiet der Außenpolitik glauben schon seit Längerem, sie müssten ihre „Werte“ auch den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrikas aufzwingen. Dazu inszenierten sie in der Vergangenheit zahlreiche Staatsstreiche, um mutmaßliche Diktatoren zu stürzen, oder intervenierten selbst ganz direkt. Wobei sich die Attacken auch gegen eigentlich legitime Herrscher richteten, welche eben nur nicht den Vorstellungen des Westens entsprachen. 

So begann die Geschichte der Angriffe gegen die Regierung in Damaskus bereits im März 1949 mit dem von der CIA organisierten Militärputsch, in dessen Verlauf der syrische Generalstabschef Husni az-Za’im den gewählten Staatspräsidenten Schukri Bey al-Quwatli absetzte. Hauptmotiv für die Aktion war der Umstand, dass der arabische Nationalist al-Quwatli gegen den Bau einer von Washington gewünschten Öl-Pipeline polemisiert hatte.

Der Feind meines Feindes ist ... was?

Allerdings erfordert ein Regimewechsel in der Regel, die Feinde der bislang Herrschenden zu stärken. Und dadurch kam der Westen in der Vergangenheit immer wieder aus dem Regen in die Traufe, ohne daraus die entsprechenden Schlussfolgerungen zu ziehen. Spätestens seit der Mutation der Mudschahedin, also der „brauchbaren“ antisowjetischen Glaubenskrieger in Afghanistan, zu „unbrauchbaren“ islamischen Steinzeitfundamentalisten, welche antiwestlichen Terroristen Unterschlupf boten, hätte klar sein müssen, dass der Feind eines Feindes nicht in jedem Fall zum potentiellen Verbündeten taugt. 

Oftmals wäre es besser gewesen, mit der säkularen Opposition in den islamischen Ländern zu kooperieren. Doch die galt dem Westen als Dorn im Auge, weil sie politisch zumeist eher links stand. Also duldete man, dass die Revolutionen in der islamischen Welt von religiösen Extremisten unterwandert und dann letztlich gekapert wurden, womit eine neue Phalanx antiwestlicher Gruppierungen entstand.

Doch damit nicht genug: Es fehlte zudem immer wieder an brauchbaren Plänen für die Zeit nach dem Sturz des Ancien Régime. Ein Übergang von der Diktatur zur Demokratie gelingt bekanntlich am besten, wenn allgemein anerkannte Vorbilder existieren. Die freilich fehlen in der islamischen Welt. Deshalb reicht es nicht, einfach auf das Beste zu hoffen, wie George W. Bush im November 2003 oder Barack Obama, Nicolas Sarkozy und David Cameron im April 2011. Die beiden US-Präsidenten und der französische Staatspräsident sowie der britische Premier meinten naiverweise, der Sturz der Gewaltherrscher Saddam Hussein und Muammar al-Gaddafi werde im Irak und in Libyen gleichsam automatisch zur Errichtung eines Verfassungsstaates nach westlichem Vorbild führen. Hier orientierte man sich offenkundig am Regimewechsel in Deutschland nach dem Tode Adolf Hitlers und dem Sieg über die Nationalsozialisten: Durch eine Mischung von politischem Druck, sukzessiver internationaler Einbindung und materieller Hilfe fand Westdeutschland seinerzeit schnell wieder in die demokratische Staatengemeinschaft zurück. Ernsthaft zu glauben, man könne einen islamischen beziehungsweise arabischen Staat mit der jungen Bundesrepublik vergleichen, war indes ein Wunschdenken erster Güte.

Peter Scholl-Latour hatte gewarnt

Dessen Ursache lag nicht zuletzt in der erschreckenden Unkenntnis der Verhältnisse im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika. Dass dies auch anders geht, stellten Russland und der Iran unter Beweis: Beide Mächte schätzten die Situation sehr viel realistischer ein und konnten dadurch wesentlich erfolgreicher agieren. Der weitgehend agnostische und materiell orientierte Westen ignorierte beispielsweise die alles entscheidende Bedeutung der Religion für die Menschen in der islamischen Welt. Gleichzeitig beging er auch noch den fatalen Fehler, den Anhängern der gestürzten Machthaber die ökonomische Basis zu entziehen. Dadurch wandten sich diejenigen, welche ihren mehr oder weniger bescheidenen Wohlstand verloren hatten und nun vor dem absoluten Nichts standen, verstärkt dschihadistischen Gruppen zu. 

Darüber hinaus war aber selbst der militärisch und finanziell so hochpotente Westen zu schwach, um den gesamten Raum zwischen der südlichen Mittelmeerküste und dem Hindukusch zu dominieren. Deshalb musste er permanent zwischen den Regionalmächten lavieren und Partnerschaften zur Erhaltung des „Gleichgewichtes der Kräfte“ eingehen, welche ihn einerseits unglaubwürdig machten, wenn er „Freiheit“ und „Menschenrechte“ predigte, und ihm andererseits neue Feinde bescherten. Das heißt, der Westen mutierte zusätzlich auch zum Blitzableiter für innerislamische, ethnische und interkulturelle Konflikte, in die er vor seinem Engagement in puncto Regimewechsel überhaupt nicht involviert gewesen war. Deshalb warnte der 2014 verstorbene Altmeister der Nahost-Reportage Peter Scholl-Latour in seinem letzten Sachbuch „Der Fluch der bösen Tat. Das Scheitern des Westens im Orient“ auch ganz ausdrücklich: Hände weg von der islamischen Welt! Insbesondere werde der Versuch, die Verhältnisse dort zu ändern, zu keinem Austrocknen des Terrorismus, sondern zu noch mehr Terror führen. Und genauso kam es dann ja bekanntlich auch.