01.05.2024

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Folge 35-21 vom 03. September 2021 / Politik / Die Lethargie des bürgerlichen Lagers wird bedrohlich / Nach Jahren der Verweigerung politischer Auseinandersetzungen ist heute niemand in Sicht, der dem Land eine Orientierung geben könnte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-21 vom 03. September 2021

Politik
Die Lethargie des bürgerlichen Lagers wird bedrohlich
Nach Jahren der Verweigerung politischer Auseinandersetzungen ist heute niemand in Sicht, der dem Land eine Orientierung geben könnte
René Nehring

Wie die Historiker eines Tages die Ära Merkel bewerten werden, weiß heute niemand. Der aktuelle Wahlkampf zum 20. Deutschen Bundestag dürfte gleichwohl in der Rückschau späterer Jahre einen besonderen Platz einnehmen. Denn noch nie in unserer Geschichte gab es die Situation, dass die Anhänger aller Parteien mit ihrer jeweiligen Führung gleichermaßen so unzufrieden waren wie jetzt. Waren frühere Wahlkämpfe wahre Schlachten, in denen auf Plakaten, an Infoständen, in Stadthallen und in den Fernsehstudios über große Schicksalsfragen gerungen wurde, so sind  die Deutschen – Politiker wie Wähler – im Laufe der Regierungszeit Angela Merkels in einen Zustand tiefer Ruhe verfallen. 

Die Folgen dieser Entwicklung zeigen sich jetzt, vor allem für die regierende Union. Diese hatte sich seit der Wiedererringung des Kanzleramts 2005 an die Art Merkels, Politik zu gestalten – oder besser: das Fähnlein stets nach dem Wind des Zeitgeists auszurichten – gewöhnt. Dass dabei zahlreiche einstige Grundüberzeugungen abgeräumt wurden, störte offenkundig niemanden. Ganz im Gegenteil eröffnete das Abwerfen von „ideologischem Ballast“ Möglichkeiten für neue Koalitionsbildungen – und somit weitere Optionen für den Machterhalt. 

Allerdings funktioniert dieses Modell nur „von oben“, solange man an der Spitze steht und mit stiller Hand den Bürgern scheinbar endlos das Gefühl vermitteln kann, in guten Händen zu sein. Doch wenn man wie nun Armin Laschet quasi von außen versucht, das Kanzleramt zu erobern, rächt es sich, dass CDU und CSU den Wählern kaum noch sagen können, was sie bekommen, wenn sie ihnen am Wahltag ihre Stimme geben. 

Hinzu kommt, dass die Union derzeit auch personell kaum zu überzeugen vermag. Wer springt dem Kanzlerkandidaten in dessen Not – die ja auch die Not seiner Partei ist – bei? Wo sind die großen Figuren vergangener Tage, die von Heimat über Familie und Innere Sicherheit bis hin zu Wirtschaft und Soziales jahrzehntelang ein breites Themenspektrum abdeckten und der Union einen Kompetenzvorsprung gegenüber den Wettbewerbern sicherten? 

Auch die anderen schwächeln

Die Lage der Wettbewerber ist freilich nicht besser. Während die Grünen mit ihrem „Kampf gegen den Klimawandel“ zumindest noch ein Großthema haben, geben vor allem die bürgerlichen Parteien der verschiedenen Schattierungen ihren Anhängern kaum Orientierung. Wann zum Beispiel war zuletzt eine Aussage von Christian Lindner zu vernehmen? War der FDP-Vorsitzende im Laufe der Corona-Pandemie einer der deutlichsten Kritiker der Einschränkung bürgerlicher Freiheiten, vermittelt er heute – in Erwartung einer Regierungsbeteiligung nach der Wahl – das Gefühl, bloß keinen potentiellen Koalitionspartner verärgern zu wollen. 

Und die AfD? Sie wird bis auf weiteres durch den Richtungsstreit zwischen denjenigen, die das bestehende politische System reformieren und denjenigen, die es überwinden wollen, gelähmt. So hat die Partei bislang kaum gezeigt, worin – jenseits der Ablehnung der Politik der eta-blierten Konkurrenten – die in ihrem Namen versprochene „Alternative“ besteht. 

Das beinahe Absurde an der Lage ist, dass von der Schwäche der verschiedenen bürgerlichen Parteien bislang ausgerechnet der Sozialdemokrat Olaf Scholz profitiert. „Ausgerechnet“ deshalb, weil Scholz seinen Aufstieg in den Meinungsumfragen einer maximalen Distanzierung von seiner eigenen Partei und deren Linkskurs der letzten Jahre verdankt. Damit belegt er jedoch, dass die Menschen dieses Landes mehrheitlich noch immer eine bürgerliche Politik wünschen. 

Das Paradoxe freilich ist, dass die Deutschen angesichts der Lage schon bald eine gänzlich andere Regierung bekommen könnten: zwar an der Spitze einen Kanzler mit bürgerlichem Image, jedoch eingerahmt von linken Ideologen, denen eine grundsätzliche Neuausrichtung der Republik vorschwebt.