16.04.2024

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Folge 36-21 vom 10. September 2021 / Schicksale / Vom afghanischen Minister zum Fahrradkurier in Leipzig / Sayed Sadaat war Kommunikationsminister beim mittlerweile geflohenen Präsidenten Aschraf Ghani: Heute fährt er Essen aus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-21 vom 10. September 2021

Schicksale
Vom afghanischen Minister zum Fahrradkurier in Leipzig
Sayed Sadaat war Kommunikationsminister beim mittlerweile geflohenen Präsidenten Aschraf Ghani: Heute fährt er Essen aus
Bodo Bost

Sayed Sadaat, der ehemalige afghanische Kommunikationsminister, lebt seit Dezember 2020 in Leipzig mit einem britischen Pass und verdient seinen Lebensunterhalt als Fahrradkurier. Er lieferte jetzt auch tiefe Einblicke in das korrupte System Ghanis vor dessen Fall.

Dass ein ehemaliger Asylsucher in Deutschland Staatspräsident eines afrikanischen Staates wird, geschah vor einigen Jahren in Gambia. Dass aber ein ehemaliger Minister eines 40-Millionen-Landes Asylsucher in Deutschland wird, geschah jetzt mit dem 50-Jährigen aus Afghanistan zum ersten Mal. Sadaat war einst Mitglied im Kabinett des nach der Machtübernahme der Taliban mit einem Hubschrauber voller Bargeld geflüchteten afghanischen Präsidenten Aschraf Ghani. Sadaat hat in nur zwei Jahren ganz Afghanistan mit einem Mobilfunknetz versorgt. Jetzt aber saust er mit einem gebrauchten Mountainbike durch die Straßen von Leipzig und liefert Essen aus.

Dabei hätte er auch die Möglichkeit gehabt, nach Großbritannien zu gehen, dessen Pass er besitzt. Nach seinem IT-Studium in Oxford blieb Sadaat dort und spezialisierte sich auf die Entwicklung von SIM-Karten. Erst nachdem er sich zusehends einsam gefühlt habe in Europa, sei er 2016 nach Afghanistan zurückgekehrt, mit einem britischen Pass. Dort erhielt er unter Präsident Ghani einen Posten im Kommunikationsministerium, nach vier Monaten rückte er an dessen Spitze, nachdem seinem Chef wegen Korruption gekündigt worden war. Schätzungsweise zehn Millionen Menschen in Afghanistan hätten durch ihn Zugang zu Mobilfunknetzen erhalten, so Sadaat, bevor auch er 2018 zurücktrat, weil er bemerkte, dass Regierungsmitglieder Regierungsgelder abzweigten, um die eigene Flucht vorzubereiten. Sie wollten auch an Sadaats Budget, doch er habe sich dagegen gesträubt, sagte er der „Leipziger Volkszeitung“. Deshalb habe ihm Ghanis Regierung klargemacht, dass seine Dienste nicht mehr gewünscht seien. 

Warum gerade Deutschland?

Deshalb flüchtete er Ende 2020 nach Leipzig. Als britischer Bürger galt die Freizügigkeit in der EU noch bis Ende 2020, als diese Frist durch den Brexit endete. Warum aber ein Mann mit dem besten Oxford-Englisch gerade nach Deutschland wollte, dessen Sprache er nicht sprach, ist nicht ganz schlüssig. Mit seinen Abschlüssen in IT und Telekommunikation hatte Sadaat gehofft, eine Arbeit in einem entsprechenden Bereich zu finden. Da er aber kein Deutsch spricht, waren seine Chancen gering. 

Bei Beantragung von Sozialhilfe hätte er nach Großbritannien abgeschoben werden können, deshalb war die Arbeit beim Lieferdienst die einzige Lösung. Auch seine Familie und Freunde wollen das Land verlassen – wie Abertausende, die Afghanistan ebenfalls den Rücken kehren möchten. Die Zahl afghanischer Asylsucher in Deutschland ist seit Anfang des Jahres um mehr als 130 Prozent gestiegen, wie Daten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zeigen. Vielleicht war die Sorge um seine Angehörigen sogar der wichtigste Grund, aus dem Sadaat nach Deutschland wollte, denn Deutschland scheint das Hauptaufnahmeland und das am einfachsten zu erreichende Land der Afghanistan-Auswanderer zu werden.

Für die Taliban hat der Ex-Minister angesichts seiner eigenen Erfahrung mit der Korruption des alten Systems Sympathie in den sozialen Medien geäußert. Auf Facebook hat er geschrieben: „Eine neue Phase beginnt. Und mit ihr das Hoffen auf ein fortschrittliches und sicheres Afghanistan.“ Warum er und seine Angehörigen dann gerade nach Deutschland wollen, konnte (oder wollte?) er allerdings nicht sagen.