26.04.2024

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Folge 36-21 vom 10. September 2021 / Östlich von Oder und Neiße / Zeichen gegen Ungeduld der Diplomatie / Deutsche Oberschlesier exhumieren Soldaten der Roten Armee

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-21 vom 10. September 2021

Östlich von Oder und Neiße
Zeichen gegen Ungeduld der Diplomatie
Deutsche Oberschlesier exhumieren Soldaten der Roten Armee
Chris W. Wagner

Schier endlos reiht sich Grab an Grab auf dem Friedhof sowjetischer Soldaten im oberschlesischen Kandrzin [Kędzierzyn]. Etwa 20.000 Rotarmisten fanden auf dieser Nekropole ihre letzte Ruhestätte, die damit die größte ihrer Art in der Republik Polen ist. Unter den Rotarmisten ruhen in Kandrzin Russen, Ukrainer, Weißrussen, Tataren und Polen aus der Gegend um Lemberg. Zuletzt wurden Überreste sowjetischer Soldaten 1953 dorthin umgebettet. Am 4. September kamen etwa 50 weitere hinzu, und zwar mit einer Gedenkfeier für die Exhumierten. Den Gottesdienst hielt Erzpriester Stanisław Strach, Pfarrer der Polnisch-Orthodoxen Kirche in Kandrzin, in Russisch, Ukrainisch und Polnisch, verlas aber auch einen Teil der Liturgie in deutscher Sprache, weil an der Feierlichkeit auch zwei deutsche Kriegsveteranen teilnahmen. „Das war beeindruckend und zeugte von Respekt“, so Waldemar Golasz, der zweite Vorsitzende der Stiftung „Silesia“, welche die Exhumierungen durchführte.

Ob der stellvertretende Botschafter Weißrusslands in Polen, Ministerialrat Aleksander Czesnowski, der russische Generalkonsul, Ivan Kosanogov, oder Vertreter von Kombattantenorganisationen – alle sprachen von der Wichtigkeit des Gedenkens an die Soldaten, die für Europas Freiheit gekämpft hätten. Czesnowski betonte, dass „die Geschichte von den Siegern geschrieben wird“.

Roland Dubowski, Vorsitzender des Verbandes der Erben Polnischer Kombattanten des Zweiten Weltkrieges, bemängelte einen ab 1989 eingetretenen Trend zur Entfernung von Gedenkstätten des Zweiten Weltkrieges aus der Öffentlichkeit. „In unserem Vaterland wird derzeit eine Politik der Zerstrittenheit mit unseren Nachbarn geführt. Diplomatie scheint ungesund zu sein“, sagte der Warschauer. „Ich hoffe, dass die Weißrussen und Aleksandr Lukaschenko nicht erlauben werden, dass in Weißrussland die ,bunte Revolution‘ Oberhand gewinnt und ihr Staatskapital nicht an das sogenannte ausländische Kapital verscherbelt wird“, mahnte Dubowski.

Kosanogov dankte den Mitarbeitern der Stiftung „Silesia“ für ihre Arbeit in Sachen Bewahrung des Gedenkens sowjetischer Soldaten und der polnischen Regierung für die Pflege dieser Grabstätten. Andrzej Latussek, Vorsitzender der Stiftung „Silesia“, ging als einziger auf den besonderen Ort und die Umstände ein, die zu der späten Bestattungsfeierlichkeit führten. „Der Großteil der ‚Silesia‘-Mitarbeiter sind deutsche Oberschlesier. Unsere Großväter haben gegen diese sowjetischen Soldaten gekämpft. Dieses Moment und dieser Ort sind einer der geeignetsten Orte des Vergebens“, so Latussek, der seit zwölf Jahren nach gefallenen Soldaten sucht, um sie an einen Ort zu bringen, der ihnen eine würdige Ruhestätte sein kann.

Die Überreste der Rotarmisten fanden Latussek und seine Mitstreiter in Langlieben [Długomiłowice] bei Cosel [Koźle]. Der Langliebener Golasz wurde im August durch den Ortspolizisten auf einen Fund aufmerksam gemacht. „Im Januar 1945 fanden in Langlieben Exekutionen von Kriegsgefangenen statt. Als bei uns neue Wasserleitungen gelegt wurden, hatte man Knochen gefunden. Es waren Überreste von etwa 30 Menschen“, so Golasz. Magdalena Przysiężna-Pizarska vom Geschichtsinstitut der Universität Oppeln, die mit der Stiftung zusammenarbeitet, fand heraus, dass es sich nicht um exekutierte Gefangene, sondern um Soldaten handelt. Überreste von weiteren 18 Rotarmisten wurden in Bielau [Biała Nyska] bei Neisse [Nysa] gefunden. Golasz weiß, dass in seinem Heimatort noch etwa tausend sowjetische Soldaten vergraben sind. Es liegen ihm Gefallenenlisten aus russischen Archiven vor, die dies belegen. Hilfe beim Lesen der Dokumente bekam er von Menschen, die nach Kriegsende aus dem sogenannten Ostpolen nach Oberschlesien kamen. „In meiner Familie haben viele ihr Leben im Krieg verloren. Sie sind auch nie gefunden worden. Indem ich den unbekannten Soldaten eine Identität zurückzugeben versuche, hoffe ich, dass andere dies auch für meine Angehörigen tun werden“, erklärt der deutsche Oberschlesier seine Motivation.

Für die Silesia-Mitstreiter gibt es noch viel zu tun. Latussek berichtet von etwa 60.000 Soldaten allein in Schlesien, die noch nicht geborgen wurden. Doch die Suche und vor allem die Exhumierungen sind sehr kostspielig. Seine Stiftung (fundacjasilesia.eu) lebt von Spenden und Nachlässen und die Arbeit der Mitglieder ist ehrenamtlich. Am Anfang hatte Latussek sehr eng mit dem Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge zusammengearbeitet, aber nachdem dessen Chef in den Ruhestand gegangen war, fand Latussek keinen rechten Draht mehr zum neuen Vorstand. „Der Bund greift jetzt lieber auf unsere polnischen Kollegen zurück“, sagte er.