29.03.2024

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Folge 38-21 vom 24. September 2021 / Politik / Konsequente Verweigerung gegenüber den Wählern / Bis zuletzt kreisen Politik und Medien im Wahlkampf 2021 vor allem um sich selbst. Unabhängig davon steht das Land vor einer Richtungsentscheidung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-21 vom 24. September 2021

Politik
Konsequente Verweigerung gegenüber den Wählern
Bis zuletzt kreisen Politik und Medien im Wahlkampf 2021 vor allem um sich selbst. Unabhängig davon steht das Land vor einer Richtungsentscheidung
René Nehring

Was haben der frühere britische Premier Tony Blair, der ehemalige US-Präsident Donald Trump und der französische Präsident Emmanuel Macron gemeinsam? Sie alle haben auf dem Weg an die Macht mit knackigen Schlagworten ihre politischen Botschaften vermittelt – und so Millionen Wähler für sich gewonnen: Blair 1997 mit „New Labour. New Britain“, Trump 2016 mit „Make America Great Again“ und Macron 2017 mit „La République en Marche“. 

In Deutschland hat man derlei programmatischen Schwung schon lange nicht mehr vernommen. Seit Jahren schon wurden die Wahlkämpfe mitsamt den Spitzenkandidaten von Mal zu Mal – gelinde gesagt – trockener. Doch erstmals in der Geschichte der Republik stehen wir nun vor der Situation, dass die übergroße Zahl der Deutschen bei ihrer Wahl kein positives Votum für einen Kandidaten abgibt, sondern sich vielmehr bei der Stimmabgabe von der Frage leiten lässt, wen man noch weniger im Kanzleramt sehen will als die anderen – und dann denjenigen mit den wenigsten Minuspunkten wählt. 

Die von den Bürgern empfundene inhaltliche Leere erstaunt nicht nur angesichts des bevorstehenden Endes einer Ära sowie einer innen- wie außenpolitisch hoch dramatischen Lage, sondern auch, weil die Parteien in ihren Programmen durchaus lang und breit erklären, wohin sie unser Land führen wollen: die SPD auf 65, die FDP auf 67 Seiten, CDU und CSU auf 140 Seiten, die Linke auf 155 Seiten, die AfD auf 206 und die Grünen auf sage und schreibe 258 Seiten! 

Die meisten Parteien haben so viel Textbausteine zusammengetragen wie nie zuvor. So kam die Linkspartei 2017 noch mit 127 Seiten aus, die AfD mit 74 und CDU/CSU mit 75 Seiten. Die Grünen boten auch damals schon mit 239 Seiten den größten Lesestoff. FDP und SPD hatten übrigens mit 148 beziehungsweise 113 Seiten deutlich längere Wahlprogramme als diesmal. Vielleicht erklärt dies, warum es gerade für sie vergleichsweise gut läuft. 

Warum so viele Worte?

Doch warum schreiben die Strategen der Parteien überhaupt Programme von dutzenden und hunderten Seiten, wo sie doch wissen, dass die Wähler des digitalen Zeitalters gewohnt sind, Informationen nur noch in kleinen Häppchen serviert zu bekommen? Ist es ein Zeichen von Unsicherheit; dass sie gar nicht mehr wissen, wofür sie stehen sollen, weshalb sie möglichst viel erzählen in der Hoffnung, dass schon irgendetwas bei den Bürgern hängen bleibt? Oder ist es ein Beleg dafür, dass die politischen Führer unserer Zeit längst jegliche Profilierung scheuen aus Angst, irgendeine Gruppe zu verschrecken? 

Oder richten sich die Parteiprogramme in Wahrheit gar nicht an die Wähler, sondern vielmehr an die Funktionsträger in den eigenen Reihen? Quasi als eine Art Vergewisserung, dass deren Interessen im eigenen „Laden“ weiterhin gut verankert sind. Schließlich ist die Basis jeder Macht im modernen Parteienstaat nicht das Wahlvolk, sondern der Rückhalt in der eigenen Mannschaft. Doch ist es dann wirklich ein Wunder, wenn die Bürger und der professionelle Politikbetrieb nicht mehr zueinander finden? 

Fakt ist: In wenigen Tagen sind die Bürger zur Wahl gerufen. Trotz des Ausblendens gewichtiger Themen wie innere und äußere Sicherheit, Stabilität des Euro und Weiterentwicklung der EU oder Wirtschaft und Bildung nach Corona stehen diese und weitere drängenden Probleme auf der Agenda. Und unabhängig von allen Bekenntnissen und Abgrenzungen zeigt der Blick in die Wahlprogramme (siehe die Seiten 4 und 5), dass die Parteienlandschaft im Wesentlichen noch immer aus zwei Lagern besteht: einem bürgerlichen, dessen Repräsentanten trotz aller Unterschiede im politischen Stil für persönliche und unternehmerische Freiheiten eintreten, sowie aus einem dirigistischen Lager, dessen Protagonisten die Gesellschaft trotz aller gescheiterter Experimente noch immer mit Vorgaben und Verboten zum Besseren – beziehungsweise: zu dem, was sie dafür halten – bekehren wollen.