29.03.2024

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Folge 38-21 vom 24. September 2021 / Ursachen eines Unbehagens / Im Wahlkampf 2021 verweigern Politik und Medien beharrlich die Debatte über brennende Fragen. Dennoch – oder gerade deshalb – zeichnen sich Umrisse der Entwicklung für die Zeit nach der Kanzlerschaft Angela Merkels ab

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-21 vom 24. September 2021

Ursachen eines Unbehagens
Im Wahlkampf 2021 verweigern Politik und Medien beharrlich die Debatte über brennende Fragen. Dennoch – oder gerade deshalb – zeichnen sich Umrisse der Entwicklung für die Zeit nach der Kanzlerschaft Angela Merkels ab
Werner J. Patzelt

Was ist in Deutschland los, wo unmittelbar vor einer als wichtig angesehenen Bundestagswahl ein Großteil der Wähler noch unentschieden ist? Wo es weder eine klare Wechselstimmung gibt noch Lust auf bloßes Weitermachen? Wo die Mehrheit weder ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis wünscht noch die bisherige „große“ Koalition? Wo die meisten sich gezwungen fühlen, unter mehreren Übeln das kleinste zu wählen?

Einen ersten Hinweis auf mögliche Ursachen geben vielerlei Klagen über einen „inhaltsleeren Wahlkampf“. Wie sollte der auch anders sein, wenn jene Themen durch Journalisten und Parteien aus dem öffentlichen Gespräch herausgehalten werden, die vielen Leuten auf den Nägeln brennen: Zuwanderung, Integration, Rentenfinanzierung, die Rolle von Nationalstaaten in der sich wandelnden Europäischen Union? Und was sollte dem Wahlkampf Inhalte geben, wenn fast alle Parteien sich einig sind über die großen Anliegen (Stabilisierung des Erdklimas, soziale Gerechtigkeit, ausreichende und bezahlbare Energie …), es aber sorgsam vermeiden, in die vom Wahlsieger dann auszugestaltenden Einzelheiten zu gehen: Welchen anderen Einfluss auf das Weltklima kann das kleine Deutschland haben als den eines Vorbilds, an dessen Wesen die Welt genesen möge? Schafft man soziale Gerechtigkeit eher durch Steuererhöhungen oder durch Wirtschaftswachstum? Wie wird Deutschland aussehen, sobald – wie erstrebt – zwei Prozent der Landesfläche mit Wind- und Solarparks bebaut sind? 

Klagen über das Personal

Einen weiteren Hinweis geben die Klagen über das konkurrierende Personal. Teile der Union machten sich sogar ans Demontieren des eigenen Kanzlerkandidaten. Die SPD wollte ihren jetzigen Spitzenmann um keinen Preis als Parteivorsitzenden. Und die Traumfrau der Grünen entpuppte sich als Leichtgewicht, das grüne Sprechblasen besser beherrscht als die Fakten. Was besagt es eigentlich über unsere Berufspolitiker und die Bedingungen ihres Karriereerfolgs, wenn diese drei wirklich das Beste sind, was unser Land für die Kanzlerschaft aufzubieten hat? 

Und einen dritten Hinweis auf die Ursachen unserer Wahlkampfmalaise bietet, dass die AfD in Sachsen stärkste Partei werden dürfte, im übrigen Osten wohl die zweitstärkste, und dass sie ihre – halb so zahlreiche – Anhängerschaft im Westen auch nicht verlieren wird. Wie wirkt es sich da auf die Bürgerschaft aus, wenn die Ursachen des Aufstiegs und der Verstetigung der AfD im Wahlkampf keine Rolle spielen – gerade so, als hätte man die Haltung zur AfD nicht jahrelang wie eine Schicksalsfrage unseres Landes behandelt? Doch unseren Politikern scheint es inzwischen zu reichen, sogar Gespräche mit dieser unerwünschten Konkurrenzpartei auszuschließen, während zugleich viele Unions- und SPD-Wähler abseits der Öffentlichkeit wie AfDler reden. Offenbar wird die politische Klasse von sehr anderen Anliegen bewegt als die Bürgerschaft. Dann freilich muss es nicht wundern, wenn so viele den Wahlkampf als inhaltlich unbefriedigend empfinden.

Unübersehbar trugen zu dieser Lage unsere etablierten, immer noch sehr reichweitenstarken Medien bei. Bemerken deren Journalistinnen und Journalisten wirklich nicht, dass sie allzu oft genau das aussparen, was sehr viele Leute sogar vorrangig interessiert – etwa: Wie passen wir unsere Integrationspolitik der mangelnden Integrationsbereitschaft von vielen ins Land Gelangten an? Wie gehen wir am besten um mit Clankriminalität und Gewaltbereitschaft von „südlich Aussehenden“? Wie mit jenem Islam, der nicht nur viele zum Flüchten bringt, sondern obendrein jene Gesellschaften verändern möchte, die muslimische Geflüchtete aufnehmen? Gibt es ernstzunehmende Gewalt nicht auch von links? Wie hängt sie zusammen mit der inzwischen selbstverständlichen kulturellen Hegemonie von Linken und Grünen in Deutschlands großen Städten? Alimentiert vielleicht unser Staat selbst deren Umfeld durch die üppige Finanzierung des „Kampfs gegen rechts“, der dann eben mit aller Macht geführt wird – und zwar auch gegen unliebsame Leute aus der politischen Mitte? 

Nach der Ära Merkel ist alles möglich

Beim Nachdenken über das alles hilft es zu wissen, dass – ausweislich entsprechender Umfragen – rund zwei Drittel unserer Medienleute mit Grünen, Sozialdemokraten und Linken sympathisieren. Dazu passt auch der bei den „Triellen“ minutengenau angestrebte Proporz zwischen den wechselseitig Koalitionswilligen von SPD und Grünen sowie dem Kandidaten der Union. Hätte man da Annalena Baerbock wirklich nicht den das Kanzleramt ebenfalls verfehlenden Christian Lindner an die Seite stellen können? Anscheinend wollten die Medienleute jene Zweidrittelmehrheit unter den prominent platzierten Spitzenkandidaten. Warum auch nicht, hat die CDU doch seit vielen Jahren dem linksgrünen Meinungsdruck einfach nachgegeben. Was immer der beseitigen wollte, wurde zunächst nicht mehr verteidigt und dann aufgegeben: die friedliche Nutzung der Kernenergie, eine Zuwanderungssteuerung gemäß den Interessen des eigenen Landes, auch die jahrtausendelang für vorrangig gehaltene Ehe zwischen Mann und Frau – samt so vielen Kindern, dass die Bevölkerung eines Landes weder überaltert noch schnell schrumpft. 

Als sich dann mehr und mehr bisherige Unionsanhänger einer Partei zuwandten, deren Namensgebung auf Behauptungen der Kanzlerin reagierte, ihre Politik sei „alternativlos“, da musste als Erklärung herhalten, solche Leute wären immer schon Rassisten und Faschos gewesen; wie gut, dass die Union sie endlich los sei! Wenn man Journalisten und der Unionskonkurrenz von links solchen strategischen Weitblick zutrauen wollte, so könnte man gar formulieren: Erst drückte und lockte man die Union so weit in die linke Mitte, dass sie viele Anhänger nach rechts außen verlor; dann verlangte man von der Union die Abgrenzung von den heimatlos Gemachten und diffamierte Bemühungen um deren Wiedergewinnung; und inzwischen kann man die jahrzehntelang politisch dominante Union in solche Koalitionen zwingen, die sie zum besonders leichten Angriffsziel der AfD machen. Doch das alles wurde im Wahlkampf auch dort nicht thematisiert, wo es um künftige Regierungsbündnisse ging. Muss man sich dann über das inhaltliche Unbehagen am Wahlkampf wundern?

Grüne und Linke beherrschen jedenfalls die Medien – und die Union beherrscht nicht einmal den Umgang mit ihnen; Rezo lässt grüßen. Unter medialem Eindruck kehrt aber nun eine jahrelang von der Union hofierte Laufkundschaft zum sozialdemokratischen und grünen Original zurück. Sie hat nämlich begriffen, dass dessen begabteste Kopistin die – wirtschaftlich denn doch vertrauenswürdigere – Union nicht länger auf dem von links her erwünschten Kurs halten wird. Überhaupt fällt Angela Merkel als stabilisierender Schlussstein im Gewölbe unseres Parteiensystem fortan aus. Deshalb wird nun alles möglich – auch ein Linksbündnis gegen mehrheitliche Bürgerwünsche. 

Im politischen Grenznutzenbereich

Derweil bemerkt die Union, dass ihre lange Zeit hohen Zustimmungswerte nicht ihr als Partei galten, sondern allein der von ihr getragenen Kanzlerin. Die aber orientierte sich viel mehr an demoskopischen Befunden und journalistischen Meinungsführern als an den Wünschen jener Parteibasis, die noch im Alltag der Bürgerschaft verwurzelt ist. Auf diese Weise hob die Union von großen Teilen des Wahlvolks ab, das ihr lange Zeit vertraute. Im medialen Luftraum findet sie trotzdem keinen Platz. Das alles macht viele CDUler so unzufrieden mit dem Wahlkampf ihrer Partei. 

Doch noch mehr prägt diesen Wahlkampf, wenn auch unterschwellig: Viele Leute spüren, dass gar nicht wenige bislang bewährte Politiken in ihren Grenznutzenbereich gelangt sind, also trotz steigenden Aufwands immer weniger an politischem oder persönlichem Nutzen erbringen. Weder von mehr Globalisierung und Europäisierung noch von einer weiteren Liberalisierung aller Lebensbereiche, auch nicht von höheren Ausgaben für unseren Sozialstaat erwarten die meisten mehr Vorteile als Nachteile für unser Land. Doch die reichweitenstarken Medien und etablierten Parteien tun so, als gäbe es da keine grundsätzlichen Probleme. Obendrein werden als wichtig empfundene und tatsächlich in Deutschland lösbare Probleme – von der Regulierung der Zuwanderung bis zur Sicherung einer preisgünstigen Energieversorgung – dadurch aus dem öffentlichen Diskurs verdrängt, dass sie eine starke moralische Aufladung der Streitpositionen erfahren. Dann scheinen auf der einen Seite „die Guten und Vernünftigen“ zu stehen, auf der anderen aber die „Dummen und Verstockten“. 

Warten auf bessere Zeiten

Wer alsbald von Edelmenschen angegriffen wird, die nicht nur für ihre Sache brennen, sondern auch um keinen eigennützigen Schachzug verlegen sind, der duckt sich klugerweise ab und wartet solange, bis üble, zuvor für unmöglich erklärte Entwicklungen eben doch eintreten. Nur geschieht dann viel vermeidbarer Schaden. Das vorauszusehen, macht die innere oder zumindest kommunikative Emigration natürlich nicht angenehmer. Obendrein ist unser politischer Diskurs inzwischen zerfallen zwischen jenen, die auf die etablierten Medien schwören, und denen, die ihre Filterblasen und Echokammern nur noch in der Absicht verlassen, auf die Bewohner anderer Meinungshöhlen einzuschlagen.

Wie kommen wir aus diese Lage? Wahrscheinlich werden wir abwarten müssen, bis die linksgrünen Hegemonen ihre Machtposition so sehr übernutzt haben, dass ihre Glaubwürdigkeit schwindet. Das tröstliche Sprichwort dafür lautet: „Nicht nachgeben gewinnt auch!“ Und alle, die Besserndes beitragen wollen, könnten sich obendrein an eine altrömische Spruchweisheit halten: Worte belehren nur, Beispiele hingegen ziehen mit. 






Prof. Dr. Werner J. Patzelt lehrte bis 2019 Vergleichende Politik­wissenschaft an der Technischen Universität Dresden. Zuletzt erschien „Parlamentarismusforschung. Eine Einführung“ (Nomos 2020).

http://wjpatzelt.de