26.04.2024

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Folge 38-21 vom 24. September 2021 / Konrad Theodor Preuss / Viele Quellen führen zu Wissen / Der in Preußisch-Eylau geborene Wissenschaftler zählt zu den Mitbegründern der modernen Ethnologie

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-21 vom 24. September 2021

Konrad Theodor Preuss
Viele Quellen führen zu Wissen
Der in Preußisch-Eylau geborene Wissenschaftler zählt zu den Mitbegründern der modernen Ethnologie
Wolfgang Kaufmann

Am Oberlauf des Río Magdalena im südkolumbianischen Departamento del Huila befindet sich das einstige Zentrum der San-Agustín-Kultur, die von etwa 3300 v. Chr. bis 1530 n. Chr. existierte und im Zeitraum zwischen 200 vor und 700 nach Christi monumentale Steinfiguren mit beeindruckenden Götter- und Dämonendarstellungen von bis zu vier Metern Höhe hervorbrachte. Zu den ersten Wissenschaftlern, die hier Ausgrabungen vornahmen, zählte Konrad Theodor Preuss. Dabei weilte der gebürtige Ostpreuße zwar nicht als Archäologe in San Agustín, sondern als Völkerkundler, doch gehörte es zu seinem fachlichen Credo, vielerlei Quellen zu nutzen, wenn es um die Erforschung der Glaubens- und Vorstellungswelt mittelamerikanischer Völker ging. Das machte Preuss zu einem Mitbegründer der modernen Ethnologie.

Der spätere Lateinamerika-Experte kam am 2. Juni 1869 in Preußisch Eylau auf die Welt und studierte in Königsberg und Berlin Geographie, Geschichte und Völkerkunde. Seine Ausbildung schloss er 1894 mit einer Promotion über „Die Begräbnisarten der Amerikaner und Nordostasiaten“ ab. Damit beschritt Preuss erstmals den Weg der Amerikanistik und Vergleichenden Religionswissenschaft, den er zeitlebens nicht mehr verlassen sollte. Entscheidenden Anteil daran hatte seine Anstellung am Königlichen Museum für Ethnologie in Berlin-Dahlem, wo der Nachwuchswissenschaftler 1900 zum Assistenten des Begründers der deutschen Mexikanistik und Erforschers der Maya-Schrift Eduard Seler aufstieg. Deshalb führte seine erste Forschungsreise fast zwangsläufig in die mexikanische Sierra Madre Occidental. Dort erkundete Preuss von 1905 bis 1907 die Sitten, Gebräuche und Mythen der Cora und Huicholes. Dabei hielt er sich monatelang bei indigenen Gruppen auf und studierte eingehend deren Sprache. Nach der Rückkehr wurde der fachlich nunmehr bereits hoch angesehene Forscher 1908 Nachfolger Selers als Kustos der Amerika-Abteilung sowie 1912 des Weiteren Professor an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität.

Mit der nächsten großen Expedition wollte Preuss ein neues Arbeitsfeld erschließen und sich zugleich auch von seinem wissenschaftlichen Ziehvater Seler emanzipieren. Deshalb wählte er als Ziel Kolumbien aus. Am Anfang der Erkundungen standen die eingangs erwähnten Ausgrabungen in der Region von San Agustín, die vom 20. Dezember 1913 bis zum 30. März 1914 dauerten. In diesem Zeitraum entdeckte Preuss ein Dutzend bislang unbekannte Steinskulpturen. Anschließend zog es ihn ins kolumbianische Amazonas-Gebiet und in die unwegsame Sierra Nevada de Santa Maria, wo er zunächst Feldforschungen beim Stamm der Uitoto und hernach auch bei den Kágaba durchführte. Dabei sammelte Preuss bis zum April des Jahres 1915 eine Unmenge von Material über diese Völkerschaften, darunter sogar Tonaufnahmen.

Da inzwischen der Erste Weltkrieg ausgebrochen war, konnte der Ethnologe zunächst nicht in die Heimat zurückkehren. Die Wartezeit in dem Städtchen La Esperanza nutzte er zur Aufarbeitung seiner Aufzeichnungen und Vorbereitung von Publikationen. Hierzu zählten vor allem die je zwei Bände von „Religion und Mythologie der Uitoto“ und „Forschungsreise zu den Kágaba Beobachtungen, Textaufnahmen und sprachliche Studien bei einem Indianerstamme in Kolumbien, Südamerika“, die zwischen 1921 und 1927 erschienen. Ansonsten sorgte Preuss, der ab 1919 wieder in Berlin weilte, auch noch für die Übersendung von insgesamt 35 kleineren Statuen aus San Agustín an das Museum in Dahlem. Dabei umging er das Ausfuhrverbot der kolumbianischen Regierung kurzerhand dadurch, dass er die kulturhistorisch wertvollen Objekte fälschlicherweise als „Mineralien“ deklarierte.

Ab 1920 bekleidete Preuss den Posten des Direktors der nord- und mittelamerikanischen Abteilung, den er bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1934 innehatte. In dieser Eigenschaft veröffentlichte er nicht nur seine Forschungsberichte, sondern auch andere Standardwerke wie „Tod und Unsterblichkeit im Glauben der Naturvölker“ (1930), „Der religiöse Gehalt der Mythen“ (1933) und „Lehrbuch der Völkerkunde“ (1937). Darin vertrat er konsequent die Ansicht, dass es keinen grundsätzlichen Unterschied im Denken und Fühlen von primitiven Naturvölkern und hochentwickelten Kulturvölkern gebe. In diesem Zusammenhang setzte er sich auch kritisch mit dem Konzept des mythischen beziehungsweise magischen Denkens auseinander und postulierte aufgrund seiner eigenen Erfahrungen in Lateinamerika ein untrennbares Nebeneinander von prälogischen und rationalen Denkweisen. Ebenso widersprach Preuss den Thesen zum Hochgottglauben bei Naturvölkern, denen zufolge sich bereits in einfachen Naturreligionen eine „Uroffenbarung“ des christlichen Gottes ankündige. 

Preuss blieb auch als Ruheständler Mitglied der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte. Im Jahre 1938 wählte sie ihn zum Vorsitzenden. Unmittelbar nach dem Erhalt der entsprechenden brieflichen Nachricht erlag Konrad Theodor Preuss am Morgen des 8. Juni 1938 einem Herzanfall.