26.04.2024

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Folge 39-21 vom 01. Oktober 2021 / Die Kanzlerin von aussen gesehen / „Merkel hat Deutschland geschwächt und Europa gespalten“ / Anders als die meisten deutschen Medien zieht die Presse in Großbritannien zum Abschied der Kanzlerin eine kritische Bilanz

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-21 vom 01. Oktober 2021

Die Kanzlerin von aussen gesehen
„Merkel hat Deutschland geschwächt und Europa gespalten“
Anders als die meisten deutschen Medien zieht die Presse in Großbritannien zum Abschied der Kanzlerin eine kritische Bilanz

Überwiegend sieht das Ausland die scheidende deutsche Kanzlerin positiv. Laut Umfragen in verschiedenen Ländern glaubt eine Mehrheit, dass Angela Merkel gut für Deutschland gewesen sei. In internationalen Zeitungen liest man jetzt häufig wehmütige Leitartikel zu ihrem Abschied. Merkel, die als „Königin Europas“ und „mächtigste Frau der Welt“ bezeichnet wurde, habe das Land stabil durch Krisen geführt. 

Aber es gibt von Zeit zu Zeit auch erstaunlich kritische Analysen, die sich von den Schönfärbereien abheben. „Angela Merkel hat Deutschland geschwächt und Europa gespalten“, lautete die Überschrift eines scharfen Leitkommentars in der „Times“ ein paar Tage vor der Bundestagswahl. Autor Roger Boyes stellt vor allem Merkels fatale Asylpolitik ins Zentrum. Ihre einsame Entscheidung im September 2015, die Grenze vor den ankommenden Tausenden Syrern, Irakern und Afghanen zu öffnen, habe Deutschland und Europa gespalten. 

„Sie hat die politische Landschaft verändert, die Gesellschaft polarisiert, das europäische Asylsystem ruiniert und Land gegen Land gestellt“, kritisiert Boyes, der langjährige Deutschland-Korrespondent des britischen Blatts. Merkel habe diese Entscheidung, die „Deutschland zum Super-Magnet für Hunderttausende Migranten“ machte, ohne Rücksprache mit europäischen Partnerländern, mit ihrem Koalitionspartner, ohne demokratischen Beschluss des Parlaments getroffen. 

Der Deutschlandkenner nennt sich einen „Angela-Skeptiker“. „Es gab einfach zu viele unnötige Irrtümer in ihrer langen Herrschaftszeit. Historiker werden sie einmal weit hinter Kohl, Adenauer, Brandt und Helmut Schmidt in der Aufzählung der Nachkriegskanzler einreihen.“ Irritierend findet er auch ihre Energiepolitik mit der Atom-Kehrtwende nach Fukushima, die dazu führte, dass Deutschland heute länger Kohle verfeuert und abhängig von russischen Gaslieferungen wurde.

Ebenfalls kritisch, aber aus anderen Gründen, beurteilt das Magazin „The Economist“ die Hinterlassenschaft Merkels nach 16 Jahren im Kanzleramt. Die liberale, teils linksliberale Zeitschrift hat weniger auszusetzen an Merkels Asylpolitik, hier sieht das „Economist“-Autorenteam sogar „Gründe für Optimismus bei der Integration der Migranten von 2015 und 2016“. 

Kurz vor der Bundestagswahl warb der „Economist“ für den Sozialdemokraten Olaf Scholz und eine Ampel-Koalition. Trotz des Respekts für Merkel („mehr Monarchin als Kanzlerin“) sieht man eine „dunkle Seite“, gefährliche Hinterlassenschaften der Merkel-Ära: soziale Ungleichheit, Investitionsstau und marode Infrastruktur, schwerfällige Bürokratie, Rückstand bei der Digitalisierung, insgesamt ein Mangel an Reformen. „Erstaunlicherweise findet man keine einzige weitreichende Reform, die von einer der vier Merkel-Regierungen beschlossen wurde.“ Und trotz des Geredes über die „Klimakanzlerin“ sei die CO₂-Bilanz Deutschlands heute schlechter als die vieler anderer EU-Länder, was auch an der speziellen Energiewende liege.

Das Land sei heute nicht ausreichend zukunftsfähig, die Basis seines Wohlstands gefährdet, so das Urteil des international angesehenen Wirtschaftsmagazins. „Schwächen im deutschen Modell fangen schon jetzt an sichtbar zu werden.“ Damit meint es vor allem die Verletzbarkeit des Exportmodells, wenn die Globalisierung einmal nicht mehr so weitergeht. Die mächtige Autoindustrie wackelt durch die technologische Disruption, die politisch gewollte Umstellung vom Verbrennungs- auf Elektroantriebe, die viele Arbeitsplätze bedroht. Hinzu kommen Sozial- und Rentensysteme, die den finanziellen Folgen der kommenden demographischen Umwälzungen kaum gewachsen sind. All das zeige, dass in der Zeit „After Angela“, wie der „Economist“ sein Dossier überschreibt, die Zukunft der Deutschen ungesichert sei. R.M.