26.04.2024

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Folge 39-21 vom 01. Oktober 2021 / Analyse / Die Stunde Null der deutschen Christdemokraten / Nach dem Wahldebakel steht die CDU am Scheideweg. Entweder sie erneuert sich nach dem Vorbild ihrer österreichischen Schwesterpartei ÖVP – oder sie folgt der italienischen DC in den Untergang

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-21 vom 01. Oktober 2021

Analyse
Die Stunde Null der deutschen Christdemokraten
Nach dem Wahldebakel steht die CDU am Scheideweg. Entweder sie erneuert sich nach dem Vorbild ihrer österreichischen Schwesterpartei ÖVP – oder sie folgt der italienischen DC in den Untergang
Klaus Kelle

Es hat ein wenig gedauert, bis in der Union der Prozess der Erkenntnis einsetzte und das Ergebnis der Bundestagswahl in seiner ganzen Dimension verstanden wurde: Die Parteienfamilie aus CDU und CSU hat die schlimmste Wahlschlappe bei einer Bundestagswahl seit Gründung der Bundesrepublik kassiert. Zusammen gerade einmal noch 24,1 Prozent – das ist nicht nur desaströs, das ist vernichtend. 

Und wie reagierte die CDU zunächst darauf? Generalsekretär Paul Ziemiak dankt den Parteifreundinnen und Parteifreunden und dem Spitzenkandidaten für die tolle Aufholjagd. Und Armin Laschet verkündet, er wolle jetzt Kanzler werden und mit den Verhandlungen über eine Regierungsbildung beginnen. Wenn es nicht so eine Tragödie wäre, dann könnte man schallend lachen. 

Armin Laschet und die Union haben verloren. Olaf Scholz und die SPD haben gewonnen. So einfach ist das. Und weil Armin Laschet im tiefsten Inneren seiner Seele das auch weiß, baute er zu Wochenbeginn schon mal vor und versuchte, sich wenigstens den CDU/CSU-Fraktionsvorsitz im Bundestag zu sichern, was naturgemäß dem Amtsinhaber Ralph Brinck-haus nicht sonderlich gefällt.

Doch das sind persönliche Befindlichkeiten, die eigentlich belanglos sind, denn Armin Laschet ist Geschichte. Er weiß es nur noch nicht. Aber die CDU ist noch da und wird auch noch eine Weile da sein.

Ursachen des Niedergangs

Vor der Therapie steht beim Doktor eine Diagnose nach einer ausgiebigen Untersuchung. Und die Krankheit ist beim Patienten CDU leicht zu benennen.

Die jahrelange inhaltliche Aushöhlung der Partei durch die sogenannte „Modernisiererin“ Angela Merkel ist der Kern des Problems. Niemand will – und niemand braucht – eine Union, die sich dem rot-grünen Zeitgeist anbiedert, die um den alleinigen Preis des Kanzleramtes willen vom Koalitionspartner die Mittelschicht mit Abgaben und den Mittelstand mit Bürokratie quälen lässt. Abschaffung der Wehrpflicht, ein Heer von „Gleichstellungsbeauftragt_*innen“, Ausstieg aus Atom- und Kohleenergie einhergehend mit einer flächendeckenden „Verspargelung“ der Landschaften durch Windräder sowie nicht zuletzt eine fahrlässige und unkontrollierte Massenzuwanderung aus teilweise islamistischen Steinzeitstaaten – das ist nicht das, warum man einst CDU-Mitglied geworden ist oder lange die Partei Konrad Adenauers und Helmut Kohls wählte.

Die Entkernung der Partei, die Anbiederung an „C“-fremde Milieus, ohne dass dies wenigstens zu einem Wählerzuwachs geführt hätte, und dann ein unterirdisches Personalangebot nicht nur an der Spitze, sondern auch in der Etappe, hat zu dem geführt, was jetzt ist. So dürften selbst Insider des Politikbetriebs bislang kaum etwas von Silvia Breher gehört haben. Dabei ist diese Frau tatsächlich eine stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU – und keiner weiß, warum ... Die Namen der früheren Generalsekretäre Heiner Geißler und Kurt Biedenkopf sind selbst Laien immer noch ein Begriff. Das ist der Unterschied zur CDU unserer Tage. 

Die Rückkehr des Sozialismus

In diesem Zusammenhang muss jedoch ein Punkt unbedingt betrachtet werden. Deutschland hat sich verändert, die CDU hat sich verändert, weil die Bürger das anscheinend so wollen. Ausdruck der Misere ist ganz aktuell ein Volksbegehren in Berlin, wo sage und schreibe 56,3 Prozent für die Verstaatlichung von Immobilienkonzernen votiert haben. Der Sozialismus ist zurück, und nicht nur in Berlin.

Der Wunsch nach einer Vollkasko-Gesellschaft, in der man mit möglichst wenig eigener Anstrengung möglichst gut versorgt ist und es auch noch für ein Auto und zwei Mal im Jahr Urlaub reicht, ist allgegenwärtig. Wir leben in einer Gesellschaft, in der die einen produktiv arbeiten und Steuern zahlen, eine Familie gründen und Kinder großziehen – und die anderen auf Kosten der Erstgenannten den Wohlstand genießen oder gar aktiv an der Umgestaltung unserer freiheitlichen Gesellschaft arbeiten. Und die Erstgenannten, auf deren Schultern das alles passiert, das sind größtenteils die Wähler von CDU und CSU sowie auch der FDP.

Aufbruch – oder Untergang

Für die CDU gibt es nur zwei Wege: den der kompletten Runderneuerung nach dem Vorbild der österreichischen Schwesterpartei ÖVP oder den totalen Absturz ins Nirwana wie die „Democrazia Cristiana“ (DC) in Italien, einstmals die alles beherrschende Partei – so ähnlich wie es die Union einst in Deutschland war.

Sebastian Kurz hat die heruntergewirtschaftete ÖVP bei 19 Prozent Zustimmung übernommen und komplett auf den Kopf gestellt. Eineinhalb Jahre später wurde er nach einem fulminanten Wahlsieg mit 38 Prozent Bundeskanzler. Solche Geschichten gibt es, aber die CDU hat keinen Sebastian Kurz. Friedrich Merz im dritten Anlauf? Nicht vorstellbar. Armin Laschet? Satire. Jens Spahn, der ewige Hoffnungsträger? Nach Corona und den Gerüchten um seinen privaten Immobilienkauf nicht geeignet, um eine lethargische Partei hochzureißen.

Vielleicht versteckt sich irgendwo in der dritten oder vierten Reihe der Union noch ein Ausnahmetalent, von dem wir noch gar nichts wissen, da es bisher nicht aufgefallen ist. Sebastian Kurz war auch mal so einer. Bei internationalen Treffen christdemokratischer Jugendverbände sei der Österreicher oft allein mit seinem Bier herumgestanden, weil ihn die anderen für dröge hielten, erzählte jüngst ein früheres Vorstandsmitglied der Jungen Union. Heute ist Kurz ein Erfolgsmodell und Vorbild für eine moderne konservative Partei, die in der Neuzeit angekommen ist.

Carsten Linnemann, smarter Chef der Mittelstandsvereinigung (MIT) der Union, könnte nach Meinung vieler Parteifreunde der Mann werden, der die CDU aus dem Tal der Tränen herausführt. Aber dazu müsste er endlich mal seinen Mut zusammennehmen und aufstehen und die unzufriedenen Parteifreunde zu einer politischen Kraft zusammenführen. Da gibt es jetzt ganz viele – doch nur am Tisch sitzen und zuhören sowie ab und zu ein paar gepflegte Worte einstreuen, das reicht jetzt nicht mehr aus. 

Die Parteispitze muss gehen

Die CDU muss sich komplett neu aufstellen. Für kleine Korrekturen und ein oder zwei Bauernopfer ist die Lage zu desaströs. Natürlich muss Armin Laschet als Bundesvorsitzender zurücktreten, natürlich muss der gesamte Bundesvorstand der CDU zurücktreten, inklusive Generalsekretär Paul Ziemiak. 

Und dann werden die Karten ganz neu gemischt – und zwar mit einem überzeugenden Anführer und vielen frischen Gesichtern, die die Bandbreite einer Volkspartei repräsentieren. Und dazu gehören ganz weit vorn auch die in den vergangenen Jahren arg gerupften Konservativen. 

Die Alternative ist – siehe oben – das Schicksal der italienischen Christdemokraten. 

Klaus Kelle ist Publizist und Gastautor bei „Bayernkurier“, „Welt am Sonntag“ und „Focus online“. Zuletzt erschien sein Buch „Bürgerlich, christlich sucht...“.

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