20.04.2024

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Folge 39-21 vom 01. Oktober 2021 / Östlich von Oder und Neiße / Nur Teil einer hybriden Identität? / Oberschlesische Familien möchten die deutsche Muttersprache weitergeben, aber scheuen ein Bekenntnis zu ihr als identitätsstiftend

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-21 vom 01. Oktober 2021

Östlich von Oder und Neiße
Nur Teil einer hybriden Identität?
Oberschlesische Familien möchten die deutsche Muttersprache weitergeben, aber scheuen ein Bekenntnis zu ihr als identitätsstiftend
Chris W. Wagner

„Wie viele Sprachen du sprichst, sooft bist du Mensch“ sagte bereits der alte Goethe. Zwei Mal Mensch ist der Oberschlesier sicherlich durch die polnische Sprache und die wasserpolnische Mundart. Der deutsche Oberschlesier jedoch kämpft in vielen Fällen dafür, dass sein Nachwuchs sogar drei Mal Mensch sein kann. Dabei will ihm das Haus der deutsch-polnischen Zusammenarbeit mit der Kampagne „Bilingua – einfach mit Deutsch!“ helfen und organisiert Familientreffen zum Thema zweisprachige Erziehung.

Am 19. September fand im Geburtsort des Dichters der Romantik Joseph von Eichendorff im oberschlesischen Lubowitz, zehn Kilometer vor Ratibor, so ein „Familientreffen“ statt – zum ersten Mal nun auch in der oberschlesischen Woiwodschaft „Schlesien“. Dort versammelten sich Eltern, die ihre Kinder deutsch-polnisch erziehen oder dieses noch vorhaben. Während dieser Begegnung gab es organisierte Spiele für die Kleinen in deutscher Sprache. Die Erwachsenen konnten in dieser Zeit Vorträgen lauschen, bei Veranstaltungen mitmachen und an Diskussionen teilnehmen. In dem Teil Oberschlesiens, der zur Woiwodschft Oppeln gehört, werden solche „Familientreffen“ jedes Jahr seit fast zehn Jahren organisiert. Seit zwei Jahren gibt es sie auch in Ostpreußen, zuletzt in Allenstein. 

Auch Lucjan Dzumla, Chef des Hauses der deutsch-polnischen Zusammenarbeit, erzieht seine Kinder zweisprachig und weiß um viele Fragen, die sich Eltern dabei stellen. Denn solange eines der Elternteile Deutsch als Muttersprachler spricht, scheint es einfacher zu gehen. Aber was, wenn jemand die Sprache vermitteln soll, der diese selbst nicht hundertprozentig durchdringt? Diese Angst solle den Eltern genommen werden, denn wichtiger sei dabei die Konsequenz im Gebrauch der Sprache im Alltag, versicherte Dzumla. Dies konnten Experten und weitere „geübte“ Eltern bestätigen.

Anita und Robert Jonczyk hatten noch während ihres Germanistikstudiums in Breslau beschlossen, ihre Kinder zweisprachig aufwachsen zu lassen. Deutsch haben die Ratiborer bereits zu Hause gelernt, und das wollten sie auch an ihre Kinder weitergeben. An ihre Grenzen sind die Eltern gestoßen, wenn sie den Sprösslingen zum Beispiel erklären sollten, wie ein Betonmischer funktioniert. Immer wieder mussten sie nach entsprechender Literatur suchen. Und weil sie wussten, dass es vielen Eltern ähnlich erging, haben sie beschlossen, einen Verlag mit Kinderbüchern zu gründen. Seit fast drei Jahren sind sie mit dem Verlag „Sam“ (allein) in Ratibor erfolgreich. Besonders gefragt seien Publikationen zur zweisprachigen Erziehung, sagt die Verlegerin und Mutter von zwei Jungen. 

Auch das Haus der deutsch-polnischen Zusammenarbeit hat ein Handbuch für Eltern zur Einführung der Zweisprachigkeit herausgegeben. Immer wieder werden die Vorteile einer zweisprachigen Erziehung aufgelistet: Denkprozesse werden durch stärkere Verbindungen beider Gehirnhälften angeregt, weitere Sprachen können leichter erlernt werden, das Speichern von Informationen und ihre Konzentration funktionieren besser als bei einsprachigen Altersgenossen. Aber sollte neben diesen Aspekten nicht auch ein für die deutsche Volksgruppe ebenso wichtiger im Vordergrund stehen –nämlich, dass Sprache identitätsstiftend ist? „Woran 

erkennt man eine Minderheit? An der Sprache!“, predigte stets der Mitbegründer der Organisation der Deutschen, Friedrich Schikora, der am 8. September verstorben ist. Stattdessen spricht selbst Verlegerin Jonczyk von ihrer „hybriden Identität“.

Und an dieser Stelle beißt sich die Katze in den Schwanz. Allein der Terminus der „hybriden Identität“ ist durch Mittlerorganisationen der Bundesrepublik ebenso lanciert worden wie durch den Konsum des deutschen Fernsehens. Ein ständiges Dilemma ist dabei auch der antrainierte Fluchtpunkt vieler Oberschlesier, sich anderen gegenüber nicht als Deutsche, sondern zunächst als Oberschlesier zu bekennen. Das lässt eigentlich erst auf dem Umweg den Rückschluss zu, derjenige „könnte“ zugleich auch deutschen Bekenntnisses sein.