29.03.2024

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Folge 39-21 vom 01. Oktober 2021 / DDR / Ungelöste Widersprüche / Die Journalistin Cerstin Gammelin hält eine Debatte über noch bestehende Unterschiede in West- und Mitteldeutschland für dringend erforderlich

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-21 vom 01. Oktober 2021

DDR
Ungelöste Widersprüche
Die Journalistin Cerstin Gammelin hält eine Debatte über noch bestehende Unterschiede in West- und Mitteldeutschland für dringend erforderlich
F.-W. Schlomann

Cerstin Gammelin, die aus der DDR stammt und Journalistin ist, strebt eine Debatte über die damalige Zeit an, die nicht nur aus Sicht des Westens, sondern auf Augenhöhe mit dem Osten erfolgen müsse. Schließlich seien das die Menschen der DDR gewesen, welche die Mauer einstürzten und heute als die Verlierer wahrgenommen würden. Dieser Widerspruch sei bis heute nicht debattiert worden. 

Wenn ein bekannter westdeutscher Historiker meint, die DDR sei lediglich eine Fußnote in der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland, so beweise dies nur die übliche westdeutsche Arroganz sowie die Unterschätzung des Lebensalltags und der Menschen. Der „Osten“ sei immer noch bloß die verlängerte Werk-bank der westlichen Industrien und Absatzmarkt für Konsumketten. Wenn man wirklich die Einheit wolle, muss nach Ansicht der Autorin die bestehende Ungleichheit im Lohngefüge und der personellen Besetzung wichtiger Positionen in der Verwaltung, den Hochschulen und den Medien beseitigt werden.

Dass man im Westen vorpresche, um als Erster zu gewinnen, sei das genaue Gegenteil der in der DDR trainierten Verhaltensweise. Dort lernte man, sich zunächst im Hintergrund zu halten und die Lage abzuschätzen. Die gesamtdeutsche CDU nahm 1990 bewusst DDR-Frauen auf. Am besten geeignet erschienen ihr solche, von denen sie glaubte, dass diese wenig widerspenstig wären. Helmut Kohl unterschätzte, wie selbstbewusst Frauen aus dem Osten waren – am meisten die durchsetzungsstarke Merkel. Ihr gelang es, sämtliche politische Konkurrenten kaltzustellen. Diese stolperten über ihr traditionelles Frauenbild, ihre ideologischen Vorurteile, ihr gesamtes Nicht-Wissen über die Menschen im anderen Teil der Bundesrepublik. 

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble gestand kürzlich ein, in der Pan-demie seien die Mitteldeutschen im Vorteil, weil sie Erfahrung haben in wechselnden Situationen. Man sei dort weniger parteigebunden als im Westen. Die Menschen wählten primär starke Persönlichkeiten, die ihre Versprechen durchsetzen – auch gegen Forderungen aus Berlin. 

Im Osten standen Landtagswahlen bevor. Ihre Wahlergebnisse werden mitbestimmen, welche politischen Bündnisse in Berlin geschmiedet werden können. Abschließend meint die Verfasserin, Wahlen würden nicht im Osten gewonnen, könnten dort aber verloren werden. Die Auswirkungen ihres Votums könnte die CDU in ihrem Verhältnis zur AfD in schwere Verlegenheit bringen „und im schlimmsten Fall das eingeübte politisch-demokratische Gefüge der Bundesrepublik verändern“. 

Cerstin Gammelin: „Die Unterschätzten“, Econ-Verlag, Berlin 2021, gebunden, 302 Seiten, 22,99 Euro